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Wenn Hamster Bauprojekte aufhalten

1. August 2024

In Deutschland gibt es strikte Vorschriften, wenn Bauprojekte den Schutz von Wildtieren gefährden. Aber ist es sinnvoll, Millionen auszugeben, nur um ein paar Tiere zu schützen? Sind Käfer oder Fledermäuse so viel wert?

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Ein Feldhamster schaut aus einem Loch im Boden
Die Lebensräume des Europäischen Hamsters wurden zerstört — 99 Prozent der deutschen Population ist ausgerottetBild: Oliver Berg/dpa/picture alliance/dpa

Die provokanten Schlagzeilen empörten die Leser der Bild-Zeitung und machten schnell die Runde in den sozialen Medien in Deutschland und im Ausland. 

Mitte Juli regte sich das Boulevardblatt darüber auf, dass die Stadt Erfurt in Thüringen fast 2,5 Millionen Euro ausgeben will, um "ausgerechnet Hamster" umzusiedeln. Dort stehen 39 Feldhamster einem Schulerweiterungsprojekt im Weg, das 2026 beginnen soll.   

Die Zeitung rechnete vor, dass die Umsiedlung der Tierchen etwa 64.102 Euro pro Hamster ausmachen würde. Die Nachricht kam ein paar Tage, nachdem Bild der Regierung des benachbarten Bundeslandes Sachsen-Anhalt vorgeworfen hatte, Steuergelder "zu verprassen" um Hamster, Lurche und Fledermäuse zu überwachen. 

Auch bei einigen Erfurtern kam die Nachricht nicht gut an. "2,5 Millionen  wo nehmen sie die Zahl her? Die kann man einpacken, die Hamster, und kann sie irgendwo anders ansiedeln. Da brauch ich keine 2,5 Millionen", sagte ein Anwohner dem MDR.  

Warum ist es so teuer, ein paar Hamster umzusiedeln? 

"Im Fall von Erfurt geht es natürlich um wirklich viel Geld", sagte Stefan Petzold, Referent für Siedlungsentwicklung und Stadtnatur beim deutschen Umweltverband NABU

Doch er wies darauf hin, dass es keine einfache Aufgabe sei, ein geeignetes Zuhause für die Tiere zu finden, die zu den am stärksten gefährdeten Säugetieren in Deutschland gehören.

Feldhamster leben fast ausschließlich in tief gelegenen, fruchtbaren Ackerflächen, wo sie sich leicht im weichen, gepflügten Boden eingraben können und zuverlässige Nahrungsquellen finden. Moderne Landwirtschaftstechniken und Pestizide haben in den letzten Jahrzehnten die Lebensräume des Europäischen Hamsters zerstört und 99 Prozent der deutschen Population ausgerottet.    

Freiwillige Helfer des Naturschutzvereins "Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz" (HGON) suchen in einem Stoppelacker unmittelbar nach der Ernte nach Bauen vom Feldhamster
Die Suche nach Hamstern gestaltet sich mitunter schwierig — und dann brauchen sie auch noch ein neues ZuhauseBild: Axel Seidemann/dpa/picture alliance

"Die Tiere haben sich an ihre Umgebung angepasst und können nicht einfach irgendwo leben", so Petzold. Darum müssw erst ein geeignetes Feld gefunden, gekauft und mit vorgebohrten Hamsterlöchern vorbereitet werden.

Und er fügt hinzu: "Es sollte mit Winterweizen, Lupinen und Erbsen bepflanzt werden, um den Tieren die bestmöglichen Überlebenschancen zu bieten. Danach werden die Tiere katalogisiert und eingesammelt, umgesiedelt und dann jahrelang regelmäßig beobachtet, um sicherzustellen, dass sie sich an ihren neuen Lebensraum angepasst haben." 

Verzögert zu strikter Artenschutz Bauprojekte? 

Trotz des Aufwands zur Rettung der Hamster hält Petzold die Empörung der Medien über das Erfurter Bauprojekt für übertrieben. 

"Es sind nicht die Hamster, die dieses Bauprojekt behindern, sondern eine schlechte Planung", sagte er. Hätten die Projektmanager früher von den Hamstern erfahren, hätten sie sich einen alternativen Standort einfallen lassen können.

"Normalerweise sind die Kosten für den Naturschutz bei Bauprojekten recht gering - in der Regel weniger als fünf Prozent der gesamten Baukosten." 

"Der Artenschutz ist eines der größten Bauhindernisse", kritisierte dagegen Klaus-Martin Groth, ein ehemaliger hochrangiger Richter in Berlin, im Mai in der Berliner Zeitung. Investoren wüssten nie genau, ob sie ihre Pläne verwirklichen könnten. 

Groths Firma vertritt eines der beiden Unternehmen, die 60 Millionen Euro in den Cleantech Business Park im Berliner Bezirk Marzahn investieren wollten dann untersagte das Berliner Verwaltungsgericht den geplanten Bau wegen des möglichen Vorkommens der Europäischen Wechselkröte. 

Die strengen Naturschutzauflagen in Deutschland würden "weniger Wohnungen, weniger Schulen [...] und weniger Arbeitsplätze" bedeuten, so Groth.

"Es gibt Menschen, die das grundsätzlich für erstrebenswert halten, aber offenbar ausblenden, dass damit an anderer Stelle vielleicht in bisher unberührte Natur und Landschaften eingegriffen werden muss." 

Die dunkle Silhouette einer Stoff-Fledermaus vor der dunklen Silhouette der im Bau befindliche Waldschlößchenbrücke in Dresden
Der Bau der Waldschlößchenbrücke in Dresden wurde jahrelang wegen geschützten Fledermäusen verzögertBild: Arno Burgi dpa/lsn/dpa/picture alliance

Im Juni hat der Berliner Senat einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der die Planungs-, Genehmigungs- und Bauverfahren in der Stadt beschleunigen soll, insbesondere für den Wohnungsbau. Damit würde unter anderem ein Teil der Gesetze zum Natur- und Artenschutz vereinfacht, soweit dies nach EU- und Bundesrecht zulässig ist.

"Vermeidbare Beeinträchtigungen unterlassen"

Aber Umweltschützer bezweifeln, dass die vorgeschlagenen Änderungen die Prozesse tatsächlich beschleunigen werden  und ob sie rechtlich überhaupt zulässig sind. 

Verena Riedl, Biodiversitätsexpertin beim NABU, hört oft den Vorwurf "dass der Artenschutz Bauprojekte ausbremst" und dass die Vorschriften und langwierigen Planungsverfahren in Deutschland "zu weitreichend und zu streng" seien. 

Nach dem deutschen Naturschutzgesetzsind Bauherren verpflichtet, "Vorkehrungen dafür zu treffen, dass vermeidbare Beeinträchtigungen unterlassen werden". Unvermeidbare Beeinträchtigungen der biologischen Vielfalt seien "auszugleichen" oder zu "ersetzen".   

Das Gesetz basiert auf der Habitat-Richtlinie der Europäischen Union aus dem Jahr 1992, die den Erhalt der wildlebenden Flora und Fauna in Europa zum Ziel hat. Das bedeutet, dass die Regeln für den Schutz gefährdeter Arten in der gesamten EU ähnlich sind, sagt Riedl, aber das sei offenbar nicht allen Beteiligten in Deutschland klar.  

Eine Mauereidechse sitzt an der Baustelle
Auch die Deutsche Bahn musste Wege finden, um unter Schutz stehende Tiere umzusiedelnBild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

Petzold, der früher im Planungsbüro einer großen Ingenieurfirma gearbeitet hat, ergänzt, dass Bauverzögerungen nicht immer auf den Umweltschutz zurückzuführen sind. Oft würden Projektmanager die Naturschutz-Experten erst sehr spät in die Planungsprozesse einbinden.

Und Probleme bei Projekten entstünden häufig durch mangelnden Zusammenarbeit und fehlenden Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen, selbst wenn diese sich im selben Gebäude befänden.  

"Allzu oft wird der Blick auf das große Ganze verstellt", sagte er. Der Rückstand bei der Digitalisierung in Deutschland und das Fehlen von Online-Tools mache es den Bauplanern schwer, auf frühere Unterlagen zu einem Projekt zuzugreifen und den Prozess zu beschleunigen.

Nicht nur Hamster: Umsiedelungsprojekte auch für Fledermäuse, Käfer und Co 

Dies ist nicht das erste Mal, dass Hamster für ein Bauprojekt umgesiedelt wurden. Der US-amerikanische Chiphersteller Intel, der in der Nähe von Magdeburg (Sachsen-Anhalt) eine 30-Milliarden-Euro-Fabrik bauen will, hat bereits Dutzende von Hamstern von dem 400 Hektar großen Gelände entfernt, um sie später wieder auszuwildern. 

Die Deutsche Bahn findet regelmäßig ein neues Zuhause für Tiere, die nahe einer neuen Bahnstrecke oder eines umgebauten Bahnhofs leben.

Im Laufe der Jahre hat die Bahn seltene Vögel und Eidechsen in Baden-Württemberg, Kröten in Nordrhein-Westfalen und sogar ganze Ameisenhaufen aus Bahnhöfen in Berlin und Brandenburg umgesiedelt. In einigen Fällen wird ein Spürhund eingesetzt, um schwer auffindbare Tiere in zugewachsenen Gebieten aufzuspüren.   

Ein Artenspürhund der Deutschen Bahn an einem Absperrgitter einer Baustelle
Artenspürhunde suchen nach unter Schutz stehenden Tieren, damit sie umgesiedelt werden könnenBild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

Einer der bekanntesten Zusammenstöße zwischen Tieren und Bauarbeiten ereignete sich in Dresden. Dort wurde der Bau einer Brücke über den Fluss Elbe jahrelang verzögert, weil die kleine Hufeisennase in der Umgebung vermutet wurde. Diese winzige Fledermausart ist in Deutschland vom Aussterben bedroht.  

Im Jahr 2013 wurde die Brücke schließlich doch gebaut  was das Elbtal den Status als UNESCO-Welterbe kostete. Für die Fledermäuse wurden für 200.000 Euro Strauchpflanzen gekauft, zu ihrem Schutz gilt bis heute teils ein Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde.

Warum sind Hamster und andere Tiere eigentlich so wichtig? 

Wie berechtigt ist also Kritik, dass der Artenschutz nicht immer Priorität haben sollte  vor allem, wenn es um ein paar Dutzend Hamstern geht? Verena Riedl verweist darauf, dass Deutschland unter der UN Habitat Richtline verpflichtet ist, Tiere zu schützen, die vom Aussterben bedroht sind. Es sei eine "kurzfristige Denkweise", den Verlust von biologischer Vielfalt zu ignorieren. Etwa ein Drittel der in Deutschland heimischen Tierarten sind bereits gefährdet oder vom Aussterben bedroht, Die Biomasse von Insektenpopulationen sind in den letzten 30 Jahren um bis zu 75 Prozent zurückgegangen, sogar in Naturschutzgebieten. Und das ist nicht nur ein Problem in Deutschland.     

"Wir müssen die Arten so lange schützen, wie es sie gibt. Denn wenn sie einmal ausgestorben sind, kann man sie nicht mehr zurückholen", sagt Riedl. Jede Tierart spielt eine Rolle in einem gesunden Ökosystem, das sei wie in einem gut funktionierenden Unternehmen. 

"Damit ein Ökosystem funktionieren kann, darf die Zahl der Arten nicht unter ein bestimmtes Niveau sinken - und wir wissen nicht, welche und wie viele Arten für die Aufrechterhaltung eines gesunden Ökosystems entscheidend sind," sagt Riedl. Sogar Mücken haben eine Funktion, etwa als Nahrung für Vögel. 

Artenschutz sei darum kein Luxus, sondern eine absolute Notwendigkeit zur Erhaltung unserer Lebensgrundlage, ergänzt Petzold. 

Natürlich sind Schulen und öffentliche Infrastruktur wichtig. "Aber der Naturschutz liegt genauso im öffentlichen Interesse  dass wir frische Luft atmen können, dass wir Grünflächen zur Erholung haben, die auch anderen Arten Lebensraum bieten." 

"Im Endeffekt geben wir der Natur eine Stimme, die sich selber nicht wehren kann."  

Der Artikel erschien ursprünglich auf Englisch und wurde adaptiert von Anke Rasper.

DW Mitarbeiterin - Anke Rasper for World in Progress
Anke Rasper Anke ist koordinierende Redakteurin, Autorin und Moderatorin in der DW Umweltredaktion.