Artemisia - ein Kraut gegen das Virus?
25. Juni 2020Der einjährige Beifuß, auch bekannt als Artemisia annua, hat sich schon lange bewährt. In der Malariabekämpfung setzen Mediziner den aus der Pflanze gewonnen medikamentösen Wirkstoff Artemisinin seit über 20 Jahren erfolgreich ein.
Eine Forschergruppe am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam hat nun untersucht, inwieweit das Kraut auch bei COVID-19 helfen könnte.
"Bei der neuen Studie haben wir Reinsubstanzen der Artemisia-Pflanze extrahiert und dann mit dem Virus zusammengebracht", erklärt Peter Seeberger vom Max-Planck-Institut, der die Studie zusammen mit dem Chemiker Kerry Gilmore initiiert und geleitet hat. Die Beifuß-Pflanzen für das Projekt wurden in den USA gezüchtet. Auch Virologen der Freien Universität Berlin haben an dem Forschungsprojekt mitgearbeitet.
Einjähriger Beifuß als Multitalent
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten herausfinden, ob und wie Extrakte der Pflanze - reines Artemisinin und verwandte Derivate sowie Gemische davon - gegen SARS-CoV-2 wirken könnten.
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"Nachdem ich mit Verbindungen aus Beifuß-Pflanzen gearbeitet hatte, war ich mit den interessanten Aktivitäten der Pflanzen gegen viele verschiedene Krankheiten vertraut, einschließlich einer Reihe von Viren", sagt Seeberger.
Deshalb seien er und seine Kollegen der Meinung gewesen, dass es sich lohne, die Aktivität dieser Pflanze gegen COVID-19 zu untersuchen.
Virales Wachstum wird behindert
Die Ergebnisse erstaunten die Wissenschaftler: Extrakte des Beifuß sind gegen SARS-CoV-2 aktiv. Die Blätter der Artemisia annua, die in Kentucky in den USA gezüchtet wurden, lieferten bei Extraktion mit absolutem Ethanol oder destilliertem Wasser die beste antivirale Aktivität.
Diese antivirale Aktivität des ethanolischen Extrakts erhöhte sich noch, wenn Kaffee hinzugegeben wurde, so die Wissenschaftler. Artemisinin allein zeigte sich jedoch nur wenig wirksam gegen die Viren.
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"Ich war überrascht, dass Artemisinin-Extrakte merklich besser funktionierten als reine Artemisininderivate und dass die Zugabe von Kaffee die Aktivität weiter steigerte", sagt Klaus Osterrieder, Professor für Virologie an der Freien Universität Berlin. Er führte in der Forschergruppe die Aktivitätstests durch.
Heilsamer Kräutertrunk aus Madagaskar?
Schon seit Ende April preist Madagaskar ein angebliches Wundermittel gegen COVID-19 an. Unter der Bezeichnung "Covid Organics" ist das pflanzliche Gemisch in Umlauf - nicht nur in Madagaskar. Auch aus anderen afrikanischen Ländern trafen bereits Bestellungen ein, beispielsweise aus Tansania, Togo und Tschad, Nigeria und Guinea-Bissau. Wissenschaftliche Beweise dafür, dass das Mittel tatsächlich wirkt, gibt es nicht.
Die deutsche Forschergruppe um Seeberger hätte sich mehr Informationen zu dem madagassischen Kräutertrunk gewünscht. "In den letzten Wochen wurden wir immer wieder darum gebeten, etwas zu dem in Madagaskar produzierten Covid Organics zu sagen. Wir haben intensiv versucht, etwas davon zu bekommen", erklärt Seeberger.
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"Leider haben wir keinerlei Proben davon erhalten. Ich finde das sehr schade. Wenn es tatsächlich wirkt, wäre es natürlich wunderbar, es auch testen zu können. Wissenschaftlich Studien gibt es unseres Wissens bislang nicht." Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt aufgrund der fehlenden wissenschaftliche Belege zur Wirkungsweise eindringlich vor Covid Organics.
Altbekanntes Kraut
In Asien, Afrika und Südamerika werden pflanzliche Extrakte schon lange zur Behandlung von Infektionskrankheiten eingesetzt. Extrakte der Artemisia gelten vor allem bei der Behandlung von fiebrigen Krankheiten als erfolgreiches Mittel, etwa bei Malaria.
Artemisinin ist die Grundlage einer Anti-Malaria-Kombinationstherapie, bei der es nur geringe bis gar keine Nebenwirkungen gibt. Jedes Jahr werden Millionen von Erwachsenen und Kindern damit behandelt.
Mittlerweile gebe es immer häufiger Bedenken und Befürchtungen, dass sich Resistenzen entwickeln könnten, so Seeberger. "Wir möchten diejenigen, die in Malaria-endemischen Gebieten leben, davor warnen, diese Extrakte einzunehmen. Wir sollten wirklich warten, bis kontrollierte, klinische Studien durchgeführt wurden."
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Entdeckt wurde der sekundäre Pflanzenstoff Artemisinin aus dem Einjährigen Beifuß 1972 von der chinesischen Chemikerin und Pharmazeutin Tu Youyou. Für ihre Arbeit erhielt die Wissenschaftlerin 2015 den Medizin-Nobelpreis.
Klinische Studien
Klinische Studien zu Tee und Kaffee mit Artemisia annua sollen jetzt am medizinischen Zentrum der University of Kentucky beginnen. Darüber hinaus wird Artesunate, ein Artemisininderivat zur Behandlung von Malaria, in einer klinischen Phase-1/2-Studie erforscht.
Auch Mexiko hat Interesse angemeldet, klinische Studien durchzuführen. Die sind unbedingt notwendig, um eine verlässliche Aussage über die Wirksamkeit von Artemisia treffen zu können. Darauf weisen auch die Wissenschaftler, die an der Max-Planck-Studie beteiligt waren, immer wieder hin.