Arno Geiger: der erste Buchpreis-Gewinner
9. Oktober 2016Hätte er gewusst, dass ihn dieser Roman ins Rampenlicht katapultieren würde, Arno Geiger hätte sich wohl für ein anderes Cover entschieden. "Wie er so auf erwachsen machen will mit seinen zu kurzen Beinen", spottet er. Ein säuerlich drein schauender Junge ziert den Buchdeckel von "Es geht uns gut". Geiger hatte das Foto auf einem Flohmarkt in seiner Wahlheimat Wien gefunden und ahnte nicht, dass viele in diesem Jungen Arno Geiger als Kind sehen würden. "Ich hatte aber keine abstehenden Ohren", protestiert Geiger.
Elf Jahre ist es her, dass die Jury das Buch erst nachnominierte für die Longlist und später zum besten Roman des Jahres 2005 kürte. "Ich habe damals um meine Existenz geschrieben", sagt Geiger und meint die vier Jahre, die er an seinem Gewinnerroman saß - in einer lauten, beengten Wohnung, froh über die niedrige Miete. Denn von der Literatur ließ sich bis dato nur schlecht oder gar nicht leben.
Mit der Auszeichnung, gut dotiert mit 25.000 Euro, fiel ein enormer Druck ab von Arno Geiger. "Ich war vorher jemand mit keinem großen Namen und es war schwierig, Aufmerksamkeit für meine Bücher zu bekommen." Das änderte sich über Nacht. Plötzlich wurde aus dem unbekannten Autor ein gefeierter Literat. Traumauflagen und Lizenzverkäufe ins Ausland folgten. Und der Umzug in eine größere Wohnung.
Familiengeschichte unter Taubendreck
In seinem ausgezeichneten Roman "Es geht uns gut" erzählt Arno Geiger von einer Wiener Erbschaft mit Bürde. Ein Enkel, Philipp, macht sich nach dem Tod der Großmutter lustlos an die eigene Familiengeschichte, die unter Unmengen von Taubendreck vergraben scheint. En passant entspinnt sich daraus ein ausgeklügelter Ritt durch ein Jahrhundert österreichische Geschichte.
Das Buch landete auf den Bestseller-Listen, wurde zu einer Art Türöffner für Arno Geiger. All seine späteren Bücher profitierten vom Erfolg seines Siegerromans. Und der Autor selbst empfand die Auszeichnung als einen Befreiungsschlag. Plötzlich ein großes Publikum, keine Existenzsorgen, die Freiheit weiterzuschreiben.
Männer, die auf Flusspferde starren
Es folgen Bücher wie "Alles über Sally" (2009). Darin wirft Arno Geiger einen ungeschönten und trotzdem liebevollen Blick auf die Ehe von Alfred und Sally. Nach einem Einbruch bekommt die Vorstadtidylle plötzlich Risse, ein Seitensprung bringt zusätzliche Verwirrung. Keine Gewissheiten, nirgends.
Auch in dem Roman "Selbstporträt mit Flusspferd" (2015) verliert jemand von jetzt auf gleich den Boden unter den Füßen. Der frisch verlassene Wiener Student Julian landet auf der Suche nach Trost und Nebenjob bei einem sterbenskranken Professor mit Flusspferd im Garten. Fortan starrt der junge Mann wahlweise das imposante Tier oder Aiko, die schöne unnahbare Tochter des Professors, an.
Klingt erst einmal skurril, aber wie Arno Geiger dieses Beziehungsgeflecht mit Worten durchdringt und die Einsamkeit seiner Protagonisten langsam zum Vorschein bringt, ist große Kunst.
Ein Versprechen auf Glück
Alle diese Texte eint Arno Geigers Sprachgefühl und seine Menschenkenntnis. Seine Romanfiguren arbeiten sich auf ihre Art ab an ihrer Herkunft, ihren Beziehungen, ihrem Hadern mit sich und der Welt. Und werden darin so plastisch und greifbar, dass sie einen noch lange begleiten."Ich weiß nie alles über meine Figuren. Ich versuche, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und von ihnen etwas erfahren", erklärt Arno Geiger. Was ihn als Schriftsteller antreibe, sei letztlich der Wunsch, das menschliche Sein besser zu verstehen. Und dabei hat der Österreicher auch keine Angst vor großen Gefühlen. In seinen Büchern schwingt immer auch das Versprechen auf Glück mit, die Möglichkeit eines Happyends.
Ohne falsche Scheu
Arno Geiger, geboren 1968 in Bregenz, wuchs in Vorarlberg auf, ganz im Westen Österreichs. Sein Dialekt bereitete vielen Wienern anfangs Probleme. Gemocht haben ihn seine Nachbarn trotzdem, den jungen Studenten, mit dem sie Toilette und Bad auf dem Gang teilten und der manchmal höflich darum bat, den Fernseher etwas leiser zu schalten. Seinen Heimatort Wolfurt und seine Familie lernt kennen, wer "Der alte König in seinem Exil" (2011) zur Hand nimmt.
Arno Geiger hatte sich dazu entschieden, ein Buch über seinen dementen Vater August zu schreiben, über den Umgang der Familie mit dieser Krankheit, über ihren Weg aus der anfänglichen Hilflosigkeit. Dieses intime Buch vermag es bis heute, seine Leser nicht nur zum Weinen, sondern auch zum Lachen zu bringen. Als August Geiger schließlich starb, wurde das sogar im Feuilleton vermeldet, so sehr war der verschrobene Eigenbrötler vielen Lesern ans Herz gewachsen. Warum? Sein Sohn hatte nicht das Porträt eines Kranken gezeichnet, sondern das eines Menschen. Und genau dieses Einfühlungsvermögen macht die Literatur von Arno Geiger aus.