Entrechtet. Entwürdigt. Beraubt. Die "Arisierung" in Nürnberg und Fürth.
17. November 2012"Arisierung" nannten die Nazis die Enteignung jüdischen Besitzes und Vermögens zugunsten von Nichtjuden, den sogenannten Ariern. Im Klartext bedeutete das den Ausschluss der deutschen Juden aus dem Wirtschaftsleben. In Nürnberg und Fürth verlief die "Arisierung" auf besondere Weise: Während sonst zumeist staatliche Stellen für die Enteignung verantwortlich zeichneten, waren es in Franken, also der Region um Nürnberg und Fürth, die NSDAP und ihre Organe. An der Spitze stand Julius Streicher, NSDAP-Gauleiter von Franken und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer".
Die Ausstellung im Dokumentationszentrum in Nürnberg, wo bis 1938 die Reichsparteitage stattfanden, zeigt Opfer und Gewinner sowie die Akteure des "Arisierungsnetzwerkes". Dabei spiegelt die Art und Weise, wie die Ausstellungsstücke präsentiert sind, die bürokratische Pedanterie des NS-Regimes wieder: Es sind rund 2.000 Schriftstücke, die fein säuberlich in einem 40 Meter langen Gang neben und übereinander aufgereiht sind, eingetaucht in schummriges, lila-bläuliches Deckenlicht. Der Flur ist beklemmend und unheimlich: Die Wände auf beiden Seiten sind mit Gesetzen, Aktennotizen und antisemitischen Verordnungen buchstäblich zugekleistert. Diese lieferten die Grundlage, um die Juden in Deutschland in die Verarmung zu drängen. NS-Biedermänner mit Hakenkreuz-Anstecknadeln am Revers, dokumentieren akribisch, wie die Enteignung jüdischen Eigentums mit Hilfe einer willfährigen, eiskalt planenden Bürokratie funktionierte.
Slogans finden Verbreitung
Von polternden Nazi-Größen, Gestapo-Dienststellen oder Einrichtungen der NSDAP über devote Bürgermeister und Stadtverwaltungen bis hin zu einfachen Beamten in den Finanzämtern - alle machten mit. An das System zur Enteignung der Juden erinnert ein überdimensionales Organigramm im labyrinthischen Ausstellungsparcours. Auf 50 ineinander verschachtelten Stellwänden sind die dumpfen Parolen der NS-Propaganda zu lesen. Slogans wie "Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!" oder "Die Juden sind unser Unglück" stießen in weiten Kreisen auf Resonanz und fanden schnell Verbreitung. Aufrufe in Tageszeitungen, namentlich genannte jüdische Geschäfte zu boykottieren, wurden gehorsam befolgt. "Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter", hieß es lapidar.
Schon am 1. April 1933, rund zwei Monate nach Hitlers Machtübernahme, riefen die Nationalsozialisten zu einem reichsweiten Boykotttag gegen jüdische Geschäfte, Anwaltskanzleien und Arztpraxen auf. Während im übrigen Land weitere Einzelaktionen gegen Firmen von Juden ausblieben, hielt man in Nürnberg und Fürth sogar während der Adventszeit und der Reichsparteitage daran fest. Zugute kam das den "arischen" Einzelhändlern, die sich für das Umsatzplus zu Lasten jüdischer Geschäftsleute artig bei der Orbigkeit bedankten.
Die Gewinner der "Arisierung"
Vor dem Hintergrund einer zunehmend aggressiver werden Expansionspolitik gewannen die antisemititschen Gesetze und Verordnungen ab 1937 eine neue Qualität. Aber auch die Quantität nahm zu. Vor der physischen Vernichtung in den Lagern stand sozusagen die Vernichtung der ökonomischen Existenz der deutschen Juden.
In Nürnberg und Fürth stellten die Juden nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, doch ihre wirtschaftliche Bedeutung war groß. Die Vereinigten Papierwerke in Nürnberg und Heroldsberg mit den bekanntesten Produkten wie den Camelia-Damenbinden und den Tempo-Taschentüchern waren in jüdischer Hand. Jüdische Unternehmen waren das Maß der Dinge in der Fahrradherstellung und in der Spielzeugproduktion. Zweiräder von Hercules, Victoria oder Triumph waren ein Begriff, Spielzeuge von Schuco oder Trix weithin populär. Nebenbei förderten die Unternehmen den Wohlstand dieser Städte. Doch nun musste die Leitung in "arische" Hände gelegt werden. Profiteure waren der Versandhaus-Chef Josef Neckermann, der sich die Wäschefirma von Karl Joel - Großvater des US-Musikers Billy Joel - einverleibte. Der Fotohändler Hanns Porst konnte eine Spielefabrik günstig erwerben.
Ein weiterer Nutznießer der nationalsozialistischen Enteignungspolitik war Gustav Schickedanz, Chef des Versandhauses Quelle und frisch gebackener Inhaber eines Papierwerks und einer Brauerei. Er wusste offenbar, wem er dies zu verdanken hatte: Er erwies Gauleiter Julius Streicher in Form einer Spende von 20 000 Reichsmark seine Reverenz.
Es waren Streicher und sein Stellvertreter Holz, die nach der Pogromnacht vom November 1938 , als sich der von den Schlägertrupps der SA geschürte Volkszorn an der jüdischen Bevölkerung und ihren Geschäften entlud, einen wahren Raubzug organisierten. Persönliche Gier, Korruption und behördliche Willkür waren beispiellos. Nicht-jüdische Geschäftsleute machten kräftig Kasse: Der Reingewinn belief sich auf mindestens 35 Millionen Reichsmark, nach heutigem Wert rund 110 Millionen Euro.