Argentiniens Wirtschaft im Würgegriff
11. Februar 2013In argentinischen Supermärkten wird der Mate-Tee knapp. Das kommt im Land am Rio de la Plata einem nationalen Notstand nahe. Mate ist das Nationalgetränk der "Gauchos". Doch auch Zucker und Mehl werden bereits rationiert: Einige Geschäfte beschränken die Abgabe auf wenige Packungen pro Person. In Läden, in denen das nicht so gehandhabt wird, finden die Argentinier leere Regale vor.
Selbst die als regierungsfreundlich geltende Zeitung "Página 12" berichtet davon am Freitag (08.02.2013) auf ihrer Internet-Startseite, betont aber gleichzeitig, ein größerer Mangel sei bisher nicht zu erkennen.
Anfang der Woche fror das argentinische Wirtschaftsministerium die Preise für Lebensmittel und Haushaltswaren für 60 Tage ein. Offiziell heißt es, man habe sich mit dem Einzelhandel auf diese Regelung geeinigt.
Unglaubwürdige Regierung
Seit Jahren lässt die Regierung die offizielle Inflationsrate schönrechnen. Während das Statistikamt Indec für 2012 10,8 Prozent angibt, kommen unabhängige Institute auf 25,6 Prozent. "2007 hat die Regierung Schlüsselpositionen im Statistikamt mit ihren Leuten besetzt", erzählt der Ökonom Federico Foders. Für den Lateinamerika-Experten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft kommt die Preiskontrolle einem Eingeständnis der Regierung gleich: "Es gäbe keinen Grund die Preise festzusetzen, wenn die Inflation nicht extrem hoch wäre."
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) bemängelt diese Praxis seit langem. Zuletzt rügte er die argentinische Regierung am 1. Februar dieses Jahres in einem offiziellen Schreiben für die schlechte Vertrauenswürdigkeit ihrer Wirtschaftsdaten.
Kirchner fingiert Kampf gegen die Inflation
Laut Foders geht es Kirchner dabei nicht nur um die Beschönigung von Wirtschaftsdaten. Der Ökonom vermutet zwei ganz konkrete Hauptziele hinter diesem Vorgehen: "Zum einen sollen die Löhne, die sich an der Inflationsrate orientieren, nicht so schnell steigen und zum anderen will die Regierung damit Geld sparen." Argentinische Staatsanleihen beinhalten nämlich Bonuszinsen, die an die Inflation gekoppelt sind. Das bedeutet, je höher die Geldentwertung ist, desto mehr Zinsen muss der Staat seinen Gläubigern zahlen.
Mit dieser Absicht ist es Cristina Kirchner so ernst, dass mittlerweile das Veröffentlichen anderer Zahlen unter Geld- und sogar Gefängnisstrafe gestellt wurde. Private Forschungsinstitute und Banken umschiffen diese Konsequenzen, indem sie ihre Daten Abgeordneten zur Verfügung stellen. Diese genießen - auch unter Kirchners Regierung - Immunität und können die Informationen straffrei in die Öffentlichkeit tragen.
Warum die Regierung nicht einfach wirksame Mittel gegen die Inflation ergreift, erklärt Foders so: "Die argentinische Regierung fährt seit mehreren Jahren eine expansive Geld- und Fiskalpolitik." Die sei nicht so einfach umzukehren. Doch der Wirtschaftsexperte unterstellt Kirchner auch mangelndes Interesse, der Inflation wirklich Herr zu werden: "Die Regierung verfolgt eine populistische Politik mit vielen Subventionen und staatlichen Transfers und legt wenig Wert auf Preisstabilität."
Schwarzmärkte in Sicht
Auch die Kontrolle der Preise kann die Inflation nicht nachhaltig bremsen: schon fünf Tage nach dem Preisstopp werden die Regale in den Supermärkten leerer. "Das ist die logische Folge von Preiskontrolle: Die Unternehmer produzieren weniger und die Händler bieten weniger an. Schließlich wollen sie ihre Produkte nicht unter Wert verkaufen."
Deshalb könnten sich schon bald Schwarzmärkte bilden, auf denen die fehlenden Waren dann noch mehr kosten. Für Devisen, deren Einfuhr streng reguliert ist, gehen die Wechselkurse bereits auseinander: Offiziell kostet der US-Dollar 4,99 argentinische Pesos, auf dem Schwarzmarkt werden schon mehr als sieben Pesos gezahlt.
Bremse für die Wirtschaft
Preiskontrollen gab es in Argentinien schon häufiger, zum Beispiel während der tiefen Rezession 2001/2002, die im Staatsbankrott endete. Aktuell betreffen sie nur den Einzelhandel. Doch Carl Moses, Argentinien-Korrespondent der Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland GTAI, fürchtet, dass schon bald weitere Wirtschaftszweige und damit auch deutsche Unternehmen betroffen sein könnten: "Die Regierung hat durchblicken lassen, dass auch die Preisentwicklung von Zulieferern streng beobachtet wird."
Die bereits in Argentinien aktiven Firmen treffe das nicht unvorbereitet: "Deutsche Unternehmen und ihre lokalen Konkurrenten kennen das. Sie passen sich an, so gut es geht, und machen bisher trotzdem gute Geschäfte." Für Neueinsteiger seien andere Märkte der Region derzeit interessanter, glaubt Moses: "Peru und Chile liefern derzeit eine spannendere Wachstumsstory, Brasilien und Mexiko bieten grundsätzlich einen größeren Markt."
Die Argentinier indes erhoffen sich laut Moses einen Aufschwung durch gute Ernten ihrer wichtigen Exportprodukte Soja und Mais. Ob sich dadurch die Supermarktregale wieder füllen, bleibt abzuwarten.