Bürgerrechtlerin findet geraubten Enkel
6. August 2014"Ich wollte nicht sterben, ohne ihn umarmt zu haben", erklärte die 83-jährige Estela de Carlotto (Artikelbild) auf einer Pressekonferenz in Buenos Aires. Ihre Tochter Laura, eine linke Gegnerin des Militärregimes, war 1977, im dritten Monat schwanger, verhaftet und in ein Gefangenenlager gebracht worden. Dort wurde sie zwei Monate nach der Geburt ihres Sohnes "Guido" getötet.
Das Baby wurde von einem Militärangehörigen an eine Familie übergeben, die es nach de Carlottos Angaben vermutlich ohne Wissen um seine genaue Herkunft aufnahm. Der inzwischen 36-jährige Direktor einer Musikschule lebt in Olavarría 350 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Buenos Aires. Nach Angaben der argentinischen Justiz und von Angehörigen unterzog er sich freiwillig einem Gentest, um seine Herkunft zu klären. "Er ist sehr glücklich und aufgewühlt, wir werden ihn bald sehen", sagte seine Tante Claudia Carlotto.
Inhaftierten Regimegegnern Babys zu rauben, gehörte zu den perfidesten Verbrechen der Militärjunta, die in Argentinien von 1976 bis 1983 mit Gewalt und Terror herrschte. Carlottos Menschenrechtsorganisation "Abuelas de Plaza de Mayo" schätzt, dass rund 500 Säuglinge ihren Müttern in Folterzentren weggenommen und heimlich Adoptiveltern übergeben wurden. Diese waren in der Regel Anhänger des Regimes. Die inhaftierten Frauen wurden meist ermordet. "Guido" ist der 114. Enkel, den die "Großmütter der Plaza de Mayo" bislang ausfindig machen konnten. Insgesamt wurden während der Diktaturzeit rund 30.000 Menschen ermordet.
Gefängnis für Ex-Diktator
Im Juli 2012 wurde der ehemalige Diktator Jorge Rafael Videla wegen Kindesentziehung zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Bundesgericht in Buenos Aires erklärte den Ex-General zum Hauptschuldigen für den systematischen Raub von Babys politischer Gefangener. Sechs mitangeklagte ehemalige Militärs erhielten zehn bis 40 Jahre Haft. In dem Prozess wurden exemplarisch 35 Fälle verhandelt.
Die "Großmütter" sind eine Parallelorganisation der bekannteren "Mütter des Plaza de Mayo", die schon vor während der Diktatur Aufklärung über verschwundene Menschen im "schmutzigen Krieg" der Junta verlangten. Der Name kommt vom Platz vor dem Präsidentenpalast in Buenos Aires, auf dem die "Mütter" sich regelmäßig versammelten.
wl/SC (dpa, afp, epd)