Räume der Erinnerung - Daniel Libeskind wird 75
11. Mai 2021Der Ruhm kam spät: Daniel Liebeskind war schon Mitte 50, als der Bau des Jüdischen Museums in Berlin ihm zum internationalen Durchbruch verhalf. Doch danach häuften sich die wichtigen Aufträge: Er entwarf unter anderem das Militärmuseum in Manchester und verwirklichte einen Teil seiner Ideen beim New Yorker Mahnmal "Ground Zero". In Erbil, im Norden des Iraks, in der Autonomen Region Kurdistan, wollte er ein Museum und Kulturzentrum errichten, doch wegen der Unruhen in der Konfliktregion liegt das Vorhaben noch auf Eis.
Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist das große Thema, das Libeskind auch mit 75 Jahren noch bewegt. Bei der Umsetzung seiner architektonischen Ideen geht es oft um Erinnerungen und den hoffnungsvollen Blick in die Zukunft. Und so durchbricht oder ergänzt Libeskind historische Gebäude gern symbolisch mit spitz in die Höhe ragenden, geometrischen, glitzernden Gebäudeteilen aus Stahl und Glas, die wie Kristalle wirken.
Der Davidstern als Symbol für das jüdische Museum
Auch das Jüdische Museum in Berlin, 2001 fertiggestellt, lässt die historische Symbolik schon von außen erkennen. Das mit Zink verkleidete Gebäude ist ein Wahrzeichen der Hauptstadt. Der zackige Grundriss soll an einen zerbrochenen Davidstern erinnern. Ein Symbol für die Juden, die in Nazideutschland in den Konzentrationslagern inhaftiert und umgebracht wurden.
Als Libeskind den Auftrag zum Bau des Museums bekam, war er als Architekt noch unbekannt - aber seine Idee überzeugte. "Es gab keinen Wettbewerb für ein jüdisches Museum, sondern einen Wettbewerb für ein Berliner Museum mit jüdischer Abteilung", erzählt er anlässlich seines 75. Geburtstags im Gespräch mit der DW. "Es war also eine ganz andere Idee, die ich dann zu meinem Design umgewandelt habe." Man könne Juden nicht als eine Art Abteilung der Geschichte behandeln, fand Libeskind. Sie seien schließlich ein Teil der Stadt und des öffentlichen Lebens.
Im Inneren des Museums schuf Libeskind Räume der Erinnerung; ein leerer zugespitzter Raum etwa, der bei den Besuchern ein beklemmendes Gefühl hinterlässt. "Ich habe etwas geschaffen, das für die Vergangenheit, aber mit einem Hoffnungsstrahl auch für die Zukunft Berlins unvergesslich ist."
Vom Holocaust geprägt
Am 12. Mai 1946 wurde Libeskind als Sohn jüdischer Eltern in der polnischen Stadt Łódź geboren. Daniel Libeskinds eigene Geschichte ist mit dem Holocaust eng verknüpft. Vater und Mutter überlebten das Konzentrationslager der Nationalsozialisten. 1957 emigrierte die Familie zunächst nach Israel, drei Jahre später dann in die USA. 1989 zog Daniel Libeskind mit seiner Familie und seinem Studio nach Berlin, um dort das Jüdische Museum zu planen.
Eigentlich ist Daniel Libeskind studierter Musiker, er galt als begabter Akkordeonspieler. Auch heute noch initiiert er gelegentlich musikalische Projekte. Zur Architektur kam er erst relativ spät. "Ich habe nur mein Instrument gewechselt von Musik zur Architektur", sagt Libeskind. "Architektur ist schon rein akustisch gesehen ein musikalischer Raum." So habe ein gutes Gebäude auch eine gute Akustik, die Orientierung biete. Musik wie Architektur kommunizierten nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen und der Seele.
Gebäude erzählen ihre Geschichten
Daniel Libeskind sucht in Gebäuden und an Orten die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit: Holocaust, Krieg, Zerstörung und Neubeginn. "Man muss vor Ort sein, und auf die Stimmen der Geschichte hören und die Dinge betrachten, die nicht direkt ins Auge fallen", erklärt Libeskind seine Herangehensweise bei der architektonischen Umsetzung. "Man muss das Ohr auf den Boden legen und auf die Stille hören", sagt er, dann falle einem auf, was nicht im Internet zu finden sei. "Dann machst du eine Skizze und kannst mit etwas Glück das Gebäude realisieren."
Einer dieser zerstörten Orte ist in New York der Platz, auf dem einst die "Twin Towers" des World Trade Centers gestanden hatten. Am 11. September 2001 wurden sie durch Terroranschläge zerstört. 2977 Menschen kamen ums Leben. Nachdem Daniel Libeskind im Februar 2003 die Architekturausschreibung zur Neubebauung des Areals rund um das einstige World Trade Center gewonnen hatte, zog er nach New York und richtete dort ein neues Studio ein, mit seiner Frau Nina Libeskind als Geschäftsführerin.
Ground Zero, ein Projekt mit Hindernissen
Wegen der Kosten und der Ausführung der Pläne von Libeskind gab es allerdings bei der Realisation Streitigkeiten, auch vor Gericht. Dennoch ist Daniel Libeskind heute stolz auf seine Beteiligung. Viele sagen zwar, von seinen ursprünglichen Entwürfen sei nicht viel geblieben, doch Libeskind erkennt ganz klar seine Handschrift. "Es stimmt nicht, dass es so sehr von meinem Masterplan abweicht. Wenn sie auf der Webseite meine Zeichnungen sehen, da ist vieles verwirklicht", sagt er. Es sei ein lebendiger Ort geblieben, kein Heiligtum. Auch die Wasserfälle seien seine Idee gewesen und dass man nicht genau dort ein neues Gebäude errichten könne, wo Menschen gestorben sind.
Dabei bezieht sich Libeskind auf das große tiefe Loch im Boden, wo einst die beiden Türme des Handelszentrums standen. Die Wasserfälle an den Seiten ziehen die Blicke des Betrachters wie einen Sog in die Tiefe. Die Lage und Höhe der Gebäude und auch der Charakter der Straßen folge seinen Zeichnungen, so Libeskind. Und der "Freedom Tower", das "One World Trade Center", sei - wie von ihm geplant - 1776 Fuß hoch. Eine Zahl, die das Jahr der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika symbolisiert.
Am Geburtstag zurück in Berlin
Offiziell lebt Daniel Libeskind immer noch in New York. Seit einigen Monaten weilt er aber in Berlin, wo ein Teil seiner Familie zu Hause ist. Hier wird er auch seinen Geburtstag feiern. Gerade im Jahr der Pandemie habe er sein Zuhause neu kennengelernt, sagt er. "Berlin war eine ganz andere Stadt, als ich 1989 vor dem Mauerfall hier gelebt habe", erzählt er. Jetzt habe sich Berlin wirklich zu einer der besten Städte Europas entwickelt. "Es ist so ruhig im Vergleich zu New York. Die breiten Straßen, die vielen Parks, viel Zeitlupe - das ist wunderschön."
Überhaupt hat Libeskind die Liebe zur Natur und zum guten Klima entdeckt. Er plädiert dafür, nachhaltiger zu leben und auch in der Architektur auf neue Technologien und nachhaltige Materialien zurückgreifen. Und auch der Blick auf die Geschichte ist für ihn letztendlich nachhaltig: "Wenn Sie sich an etwas erinnern, ist das auf lange Sicht Ein Zeichen von Nachhaltigkeit. Denn wenn Sie etwas wegwerfen, hat es kein Gedächtnis, es ist bedeutungslos. Aber was Sie nicht wegwerfen, behalten Sie es für immer."
Im bekannten Berliner Park Tiergarten will er an seinem Geburtstag spazieren gehen. Am Abend wird er mit der Familie feiern - um dann nach Athen zu fliegen, wo er sich auf die geschichtsträchtige Akropolis freut.