Arabische Allianzen
9. November 2011Die Einladung des saudischen Königs Abdullah klang paradox: Marokko und Jordanien, schlug der Monarch im Mai dieses Jahres vor, sollten dem Golf-Kooperationsrat (GCC) beitreten. Was viele Beobachter schlicht für eine Schnapsidee hielten, kann auch als ein Schritt auf dem Weg zur Neuordnung der arabischen Welt interpretiert werden. Schließlich haben sich die acht arabischen Monarchien mit der Ausnahme von Bahrain in den vergangenen Monaten als auffallend stabil erwiesen, während die autoritär regierten arabischen Republiken ins Wanken geraten sind.
Gescheiterte Personaldiktaturen
In Tunesien, Ägypten und Libyen wurden die langjährigen Staatschefs gestürzt, im Jemen und in Syrien zeichnet sich ebenfalls ein Machtwechsel ab. "Wie lange sich das syrische Regime noch halten kann, ist schwer zu sagen", sagt Sadik Al-Azm, syrischer Philosoph und Fellow am Käte-Hamburger-Institut der Universität Bonn. "Aber in gewisser Hinsicht ist es schon erledigt. Das System Assad kann nicht mehr zurück zu dem, was es einmal war – nach allem, was passiert ist."
Mit dem arabischen Frühling scheint das Modell der republikanisch verfassten Personaldiktaturen gescheitert zu sein, das die arabische Welt seit den 1950er und 1960er Jahren dominiert hatte. Von der Protestwelle besonders betroffen sind diejenigen Länder, deren Staatschefs versucht haben, ihren Sohn als Nachfolger aufzubauen und eine dynastische Erbfolge zu etablieren – so, wie es der ehemalige syrische Präsident Hafiz Al-Assad vorgemacht hatte.
Ehemalige Verbündete
Die jüngsten Regime-Wechsel in den Republiken wirken sich in der gesamten Region aus. Mit dem Sturz von Ägyptens Präsidenten Hosni Mubarak hat Saudi-Arabien einen langjährigen Verbündeten verloren. Ägypten war neben Saudi-Arabien die prowestliche sunnitische Führungsnation der arabischen Welt. Seit 1990 stand das bevölkerungsreichste arabische Land auf Seiten der Saudis – und war damit ein Gegner sowohl von Saddam Husseins Irak als auch vom pro-iranischen Lager mit Syrien, der libanesischen Hisbollah sowie der palästinensischen Hamas.
In welche Richtung sich Ägypten jetzt entwickelt, ob es eine liberale Demokratie nach westlichem Vorbild wird, ist noch unklar. Kein Wunder also, dass das politisch wie wirtschaftlich einflussreiche Saudi-Arabien nach neuen Allianzen sucht. Das Ursprungsland des Islams mit den heiligen Städten Mekka und Medina beansprucht eine Führungsrolle in der gesamten arabischen Welt.
Bündnis der Monarchien
Bereits seit dreißig Jahren ist Saudi-Arabien – genauso wie die kleineren Golf-Staaten Kuwait, Katar, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman – Mitglied im Golf-Kooperationsrat, einem Bündnis der eher konservativen sunnitischen Ölmonarchien. Zusammengehalten wurde das Bündnis von Beginn an durch seine Gegner. Denn zu Beginn der 1980er Jahre sahen sich die Golf-Monarchien einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt: der islamischen Revolution, die der schiitische Iran in die arabische Welt exportieren wollte, und der Herausforderung durch die revolutionären und republikanischen Staaten wie dem kommunistischen Südjemen.
Der Kooperationsrat stellt die bisher erfolgreichste regionale Integration arabischer Staaten dar. Seit die Republiken in der arabischen Welt von Protestwellen und Unruhen erschüttert werden, hat der GCC noch weiter an Gewicht gewonnen. Galt früher vor allem Ägypten als Vermittler, zum Beispiel zwischen Israel und den Palästinensern, tun sich nun besonders Saudi-Arabien und das superreiche Katar politisch hervor.
Saudische Initiativen
Die Saudis haben nach dem Fall ihres Verbündeten Mubarak zunächst ihre eigene Herrschaft abgesichert. Mit einer Mischung aus sozialen Wohltaten, dosierten Reformen wie der Ankündigung des Frauenwahlrechts einerseits und Repressionsdrohungen andererseits haben sie ein Überschwappen der Unruhen ins eigene Land bisher verhindert. Mit ihrer Intervention in Bahrain haben sie das dortige Königshaus gestützt. Dazu trugen auch Subventionen des GCC bei, die auch an das von sozialen Protesten heimgesuchte Sultanat Oman gezahlt wurden. Diese Maßnahmen haben die Stabilität der Golf-Staaten bewahrt.
Zugleich gingen die Monarchien in die Offensive: Sie forderten, militärisch gegen den libyschen Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi vorzugehen. Der Revolutionsführer galt unter den arabischen Staatschefs als Außenseiter und als Feind der Golf-Monarchien. Neben direkter militärischer Hilfe gewährte der GCC den libyschen Rebellen in großem Umfang finanzielle, politische und propagandistische Hilfe. Seit Mitte des Jahres richten sich die Angriffe der Saudis und ihrer Verbündeten immer mehr gegen Syrien. Das Ziel scheint zu sein, Syrien aus seiner Allianz mit dem Iran herauszulösen und die Herrschaft der Alawiten zugunsten der syrischen Sunniten zu beenden.
Konkurrenz der Systeme
Mittlerweile sind die arabischen Monarchien derart aktiv, dass manche Beobachter eine Neuauflage des arabischen Kalten Krieges zwischen Republiken und Monarchien fürchten, wie er zu Zeiten des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nassers in den 1950er und 1960er Jahren herrschte. Tatsächlich dürfte Ägypten Führungsansprüche erheben, sobald es sich innenpolitisch wieder stabilisiert hat – und das könnte in einem Konflikt mit den ehemals verbündeten Saudis münden. Die haben mit ihrer Einladung an die beiden anderen, vergleichsweise armen arabischen Monarchien Jordanien und Marokko bereits versucht, ihren Einflussbereich zu erweitern.
"Seit dem Tod Nassers ist es keiner einzigen arabischen Macht gelungen, zur unangefochtenen Führungsmacht innerhalb der arabischen Staatenwelt zu werden", sagt Henner Fürtig, Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. "Auch Saudi-Arabien konnte sich nicht unangefochten durchsetzen. Insofern müssen auch die Saudis Verbündete suchen. Viele arabische Staaten orientieren sich neu, Ägypten befindet sich auf einem anderen politischen Kurs – und da fällt es Saudi-Arabien schwer, die entsprechenden Verbündeten zu finden."
Machtpolitischer Konflikt
Unklar ist noch, welche Rolle der Irak künftig spielen wird. Seit dem Sturz Saddam Husseins muss Bagdad noch seinen Platz zwischen den beiden Regionalvormächten Iran und Saudi-Arabien finden. Diese prallen nicht nur aus ideologisch-konfessionellen Gründen aufeinander: Die traditionalistische sunnitische Monarchie in Riad und das schiitisch-revolutionäre Regime der Mullahs in Teheran liefern sich auch einen machtpolitischen Konflikt um die Vorherrschaft am Persischen Golf und die damit verbundene Kontrolle über seine Ölvorkommen.
Autorin: Anne Allmeling
Redaktion: Daniel Scheschkewitz