Antisemitische Attacken gegen jede dritte jüdische Gemeinde
6. Dezember 2023Jede dritte jüdische Gemeinde in Deutschland hat einer Umfrage zufolge in den vergangenen Wochen antisemitische Taten wie Schmierereien und Beleidigungen verzeichnet. Unisono sei psychischer Druck über Drohanrufe und Drohmails angegeben worden, erklärte der Zentralrat der Juden. "Das sind erschütternde Berichte", betonte Zentralratspräsident Josef Schuster.
Mehr als 100 Gemeinden befragt
Der Rat hatte die Jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik vom 20. bis 30. November nach den Auswirkungen des israelischen Kriegs gegen die Terrororganisation Hamas nach deren Angriff vom 7. Oktober gefragt. Laut Zentralrat beteiligten sich Führungspersonen von 98 der 105 Gemeinden. Fast 80 Prozent gaben demnach an, es sei seit dem 7. Oktober unsicherer geworden, in Deutschland als Jude zu leben und sich so zu zeigen. Leidtragende seien vor allem jüdische Senioren, Familien mit Kindern und Jugendliche.
Zugleich sei aber bemerkenswert, dass 96 Prozent der befragten Gemeinden zufrieden mit der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden seien. Neben der Politik und Kirchengemeinden gehöre die Polizei zu den wichtigsten Partnern der Gemeinden. "Die Ambivalenz der Ergebnisse ist in dieser Form eine wirkliche Neuigkeit und eine wichtige Erkenntnis", sagte Schuster. Antisemitismus sei immer auch ein Angriff auf die offene Gesellschaft und den Rechtsstaat. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten ganz gleich welcher Couleur unser Gemeinwesen gefährden."
In einem Interview der Wochenzeitung "Die Zeit" beklagte Schuster, dass es in Deutschland Probleme vor allem mit dem Antisemitismus unter Migranten mit arabischen und türkischen Wurzeln sowie aus dem linken Spektrum gebe. "Man darf den Einfluss der israelfeindlichen Auftritte von Präsident Erdogan und seines Lobes für die Hamas nicht zu klein einschätzen." Auch seien seit den Hamas-Attacken vom 7. Oktober antisemitische Äußerungen und Aktionen verstärkt aus "linken, leider auch akademischen Kreisen" zu beobachten. "Die Bedrohung aus dem rechtsextremen Lager ist nicht verschwunden. Nur haben die anderen gerade die lautere Stimme", betonte Schuster.
"20 Prozent haben antijüdische Vorurteile"
"Ungefähr 20 Prozent der deutschen Bevölkerung haben antijüdische Vorurteile. Das heißt: Die Mehrheit denkt nicht so. Zu schaffen macht mir aber die Gleichgültigkeit", so der Zentralratspräsident weiter: "Die Hamas ruft den Tag des Zorns aus, Eltern haben Angst, ihre Kinder in jüdische Kindergärten zu schicken oder zum Sport, aber sehr vielen ist das völlig egal. Sie denken nichts. Sie sagen nichts. Der Hass auf uns berührt sie nicht." Dieses Schweigen sei bitter.
Ausdrücklich betonte Schuster in dem Interview, dass er volles Verständnis für Menschen in Deutschland habe, die für die Zivilbevölkerung in Gaza auf die Straße gingen. "Nur habe ich kein Verständnis, wenn die Hamas völlig außen vor und damit Ursache und Wirkung ausgeblendet bleibt. Und wenn in dem Zusammenhang das Existenzrecht Israels angezweifelt wird, dann ist es blanker Antisemitismus." Die Hamas wird von Israel, Deutschland, der EU, den USA und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft.
"Bin kein Freund der Koalition mit radikalen Siedlern"
Ergänzend wies Schuster in einem Beitrag für die "Jüdische Allgemeine" darauf hin, dass die israelische Armee viel tue, um im aktuellen Krieg zivile Opfer zu vermeiden. Aber sie habe es mit einem Gegner zu tun, der Zivilisten als Schutzschilde benutze, so Schuster. "Die Hamas muss vernichtet werden, zum Wohle aller." Das sei schmerzhaft, aber der einzige Weg für eine friedliche Zukunft. Zugleich kritisierte er die israelische Regierung, insbesondere die geplanten Veränderungen in der Justiz. "Ich bin auch kein Freund der Koalition mit radikalen Siedlern." Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sei kein "Pfuscher", sondern entscheide sehr bewusst. "Das ist fast noch problematischer."
sti/qu/pg (afp, dpa, epd, kna)