Biedermänner als Brandstifter
16. März 2016Deutschland 2015/2016: Brandsätze fliegen durch Fenster von Flüchtlingsheimen. Benzinkanister werden dort in Fluren entzündet. Auf der Straße klatschen Anwohner Beifall oder schauen weg. Diejenigen, die Flüchtlingen helfen, bekommen Morddrohungen, so wie Daniel Molitor von der Flüchtlingsunterkunft Dresden: "Zwei habe ich schon erhalten. Man sollte mich am Baum aufknüpfen", berichtet er.
Immer hemmungsloser und offener wird zugeschlagen, inzwischen beinahe täglich und nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die Statistik des Bundeskriminalamtes belegt die drastische Entwicklung. Seit dem Jahr 2011 stiegen die Attacken auf Heime für Flüchtlinge und Asylbewerber von damals 18 Übergriffen auf rund 900 im Jahr 2015. Nur in wenigen Fällen konnten die Täter bislang ermittelt werden.
Das Operative Abwehrzentrum Sachsen (OAZ) geht in dem ostdeutschen Bundesland gegen solche Taten vor. Größte Herausforderung für die Ermittler sei ein verändertes Täterprofil, sagt OAZ-Chef Bernd Merbitz: "Den klassischen Rechten mit Bomberjacke und Springerstiefeln finden wir schon lange nicht mehr". Immer häufiger seien unter den Tätern nicht polizeibekannte, sondern lange bisher unbescholtene Bürger aus der Mitte der Gesellschaft, meist Männer zwischen 18 und 35 Jahren.
Angeblicher Rückhalt in der Bevölkerung
Das Unrechtsbewusstsein scheint in Teilen der Bevölkerung offenbar gering zu sein, wie regelmäßig Stimmen von Bürgern am Rande von Tatorten zeigen: Es sei schon schlimm, gab vor einem Jahr ein Anwohner angesichts des angezündeten Flüchtlingsheims in Tröglitz (Sachsen-Anhalt) zu Protokoll, aber der Angriff zeige eben den Unmut der Bevölkerung, weil "das mit den Flüchtlingen Überhand nehme". Es fühle sich angeblich keiner mehr sicher, so der Anwohner.
Solche rechtfertigenden Äußerungen entsetzen Anetta Kahane von der Flüchtlinge unterstützenden Amadeu-Antonio-Stiftung immer wieder. "Wenn solche Gewalttaten verübt werden, die vermeintlich nur einer bestimmten Gruppe gelten, nämlich den Flüchtlingen, dann löst das auch einen gewaltigen Rassismus im Rest der Bevölkerung aus."
Diese sich gegenseitig aufschaukelnde und stützende Stimmung in Teilen der Bevölkerung, angefeuert von politischen Scharfmachern kennt auch Frank Zobel. Er arbeitet in der mobilen Beratung für Opfer rechter und rassistischer Gewalt (Ezra) in der Nähe von Erfurt. "Diese rassistische Grundstimmung in Gesellschaft und Politik unterstützt sozusagen das, was die Täter machen." Diese fühlten sich quasi legitimiert, im Auftrag der Bevölkerung Anschläge zu begehen. Gerichtsprotokolle von verurteilten Tätern belegen, dass sie tatsächlich so denken, auch wenn es in der Verteidigung oft heißt, sie seien "betrunken" gewesen.
Engagierte Bürger können Schaden kaum reparieren
Wie viele andere Vertreter von Nichtregierungsorganisationen kann Anetta Kahane aber auch belegen, dass es an den Orten der Anschläge ebenfalls "die andere Seite" gibt, also Menschen, die wirklich um die Integration der Flüchtlinge bemüht sind.
Aber die müssten sich immer häufiger für ihren Kampf gegen Anschläge und Anfeindungen rechtfertigen. "Das ist noch viel zu wenig beachtet worden, dass der Konflikt mitten durch eine Kleinstadt geht und es auch innerhalb der Familie zu ganz großen Konflikten gekommen ist", so Kahane. Hoffnung auf einen positiven Stimmungsumschwung hat sie kaum: "Eindämmen und beenden kann man das so schnell nicht, weil Deutschland doch ein erhebliches Potenzial an purem Rassismus hat." Der Prozess einer Veränderung werde noch eine Weile dauern.
Traurige Geschichte der Anschläge
Für diese Einschätzung spricht, dass es Angriffe auf Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbewerber bereits seit 25 Jahren gibt. Anfang der 1990er Jahre begann die erste Welle in Städten wie Hoyerswerda, Rostock, Aschaffenburg, Speyer und Immenhausen. In Hünxe (Nordrhein-Westfalen) erlitten 1991 zwei sechs und acht Jahre alte Mädchen schwere Brandverletzungen. 1996 starben in Lübeck (Schleswig-Holstein) in einem in Brand gesteckten Asylbewerberheim zehn Menschen. Bisher wurde dafür niemand verurteilt.
Im Jahr 2000 konnten sich in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) Kinder nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen. Schwere Verbrennungen waren die Folge. In den Jahren danach setzten sich die Brandanschläge fort. Aufzählungen rechtsextremistischer Straftaten auf Flüchtlingsunterkünfte füllen bei Polizei, Staatsanwaltschaften, den Organisationen Pro Asyl und der Amadeu-Antonio-Stiftung hunderte Seiten.
Seitdem immer mehr Flüchtlinge kommen, nehmen die Straftaten zu. Es werden nicht mehr nur Gebäude für geplante Unterkünfte zerstört, sondern - wie in den 1990er Jahren - erneut auch Einrichtungen angegriffen, die bereits bewohnt sind.
Molotowcocktail im Kinderzimmer
Im August des vergangenen Jahres traf es dann Salzhemmendorf. Völlig unvermittelt, wie der Bürgermeister des kleinen Ortes in Niedersachsen sagt. Es gab dort bislang keine Spuren einer rechten Szene, eher viele Unterstützer von Flüchtlingen. Umso brutaler das Vorgehen der Täter. Sie suchten kein unbewohntes Heim aus, sondern riskierten den Tod der dort wohnenden Menschen. Nur ein Zufall verhinderte, dass der in ein Kinderzimmer geschleuderte Molotowcocktail niemanden traf. Die mutmaßlichen Täter, eine Frau und zwei Männer, müssen sich jetzt vor Gericht verantworten.
Die schlimme Konsequenz solcher Taten für die Flüchtlinge in Deutschland beschreibt Frank Zobel von der Opferhilfe Ezra: "Viele trauen sich nicht mehr, ihre Unterkunft zu verlassen. Ihre Bewegungsfreiheit ist komplett eingeschränkt." An eine Integration der Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft, so Zobel, sei unter diesen Umständen unmöglich.