Anschlag von Magdeburg: Haben die Behörden versagt?
24. Dezember 2024Die deutschen Behörden müssen sich nach dem schweren Anschlag mit fünf Toten und mehr als 200 Verletzten einigen sehr kritischen Fragen stellen: Warum, zum Beispiel, konnte die Polizei den Weihnachtsmarkt nicht gegen eine solche Tat sichern? Warum wurden die Warnungen, die es offenbar aus Saudi-Arabien gab, nicht weiter verfolgt? Warum haben die verstörenden Posts des Täters in den sozialen Medien keinen Alarm ausgelöst?
Auch wenn manche dieser Fragen schwierig zu beantworten sind, haben die Behörden doch bereits erste Konsequenzen gezogen. So soll es eine erhöhte Polizeipräsenz auf den vielen hundert Weihnachtsmärkten in Deutschland geben, und die Sicherheitsmaßnahmen sollen überprüft werden.
Sicherheit auf Weihnachtsmärkten
Im Dezember 2016 hatte ein tunesischer Asylbewerber einen Lastwagen in einen Berliner Weihnachtsmarkt gefahren und dabei 13 Menschen getötet. Danach wurde sofort die Sicherheit verschärft. Überall in Deutschland wurden Weihnachtsmärkte mit Betonpollern und Straßensperren gesichert und die Polizeipräsenz verstärkt.
Doch die vielen Weihnachtsmärkte überall in deutschen Städten mit ihren jeweils tausenden von Besuchern können niemals ganz gegen Fahrzeuge gesichert werden. Das liegt auch daran, dass Rettungsfahrzeuge Zugang zu den Märkten brauchen und es auch mehrere Fluchtwege für Besucher geben muss.
Der Täter habe die Notzugänge und -ausgänge genutzt, sagte Ronni Krug vom Magdeburger Stadtrat zu Journalisten. Er verwies auf die Duisburger Loveparade von 2010, als 21 Menschen bei einer Massenpanik im Gedränge ums Leben kamen, weil es zu wenige Notausgänge gab. Das Sicherheitskonzept des Magdeburger Weihnachtsmarktes sei "nach bestem Wissen" aufgestellt worden.
Hans-Jakob Schindler von der internationalen Organisation Counter Extremism Project ist nicht ganz zufrieden mit dieser Erklärung. Die Kombination von Barrieren, Polizeikräften und Sicherheitskameras sei zwar das klassische Sicherheitskonzept bei allen größeren öffentlichen Veranstaltungen. Aber: "Es sollte keine Lücke zwischen den Barrieren geben, durch die Autos fahren könnten, die dort nicht hingehören", sagt Schindler der DW. "Selbst wenn es diese Lücken nur zeitweise gab, wusste das der Täter offenbar, denn er mietete den Wagen und fuhr damit zum Weihnachtsmarkt. Er wusste also, dass er damit auf den Markt fahren konnte."
Es gab offenbar Warnungen aus Saudi-Arabien
Doch das war nicht der einzige Fehler. Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamts, nannte den aus Saudi-Arabien stammenden Täter Taleb A. "untypisch". Seine Posts in den sozialen Medien legen nahe, dass er ein Kritiker des saudischen Regimes ist, dass er glaubte, saudische Dissidenten würden von den deutschen Behörden verfolgt, aber offenbar sah er auch Deutschlands liberale Flüchtlingspolitik kritisch und zeigte sich als Befürworter der rechten Partei AfD.
Den zuständigen Bundesbehörden war Taleb A. offenbar spätestens seit Anfang 2015 als potentiell Verdächtiger bekannt. So haben nach Informationen der Deutschen Presseagentur (dpa) Vertreter des Landes Mecklenburg-Vorpommern das Bundeskriminalamt am 6. Februar 2015 über mögliche Anschlagsabsichten des Mannes informiert, der damals in dem ostdeutschen Bundesland lebte.
Auch haben, ebenfalls nach dpa-Angaben, die saudischen Behörden ihre deutschen Kollegen im vergangenen Jahr vor Taleb A. gewarnt und beantragten dessen Auslieferung. Doch vieles auch darüber bleibt im unklaren. So stellt sich die Frage, ob Saudi-Arabien die Auslieferung beantragte, weil er ein Regimekritiker war oder weil man in ihm ein Risiko für die öffentliche Sicherheit sah?
Ohne klare Antworten auf solche Fragen kann man niemanden verantwortlich machen, meint Hans-Jakob Schindler: "Eine Warnung ist nicht immer eine genaue Warnung vor dem, was passieren wird. Es könnte um ganz viele andere Dinge gehen. Diese Warnung war vielleicht nicht so ernst, wie sie hätte sein sollen."
Es gab allerdings Hinweise auf Taleb A.s verwirrendes Verhalten. So war offenbar gegen ihn wegen des Missbrauchs von Notrufen ermittelt worden. Am Tag vor dem Magdeburger Anschlag sollte über einen Einspruch von A. dagegen verhandelt werden, er erschien aber nicht. Auch eine Privatperson hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor A. gewarnt, was das Amt an die zuständigen Stellen weiterleitete.
Die Rolle der sozialen Medien
Die Tatsache, dass Taleb A. in den vergangenen Jahren offenbar sehr aktiv in den sozialen Medien war, wirft weitere Fragen nach der Rolle von Plattformen wie X und Facebook bei einer Radikalisierung auf.
Mehrere deutsche Medien haben berichtet, Taleb A. habe in inzwischen gelöschten Posts auf X erklärt, er gehe davon aus im Jahr 2024 zu sterben. Er habe gedroht, 20 Deutsche zu töten, und er glaube, die deutsche Regierung wolle Europa islamisieren.
Der Fall zeige, sagt Hans-Jakob Schindler, dass es neben den klassischen Kategorien von islamischem Extremismus, Rechts- und Linksextremismus inzwischen eine weitere Kategorie gebe: Menschen, "die ihre eigenen ideologischen, personalisierten Narrative schaffen".
Als Elon Musk 2022 Twitter kaufte, entließ er mehrere tausend Content-Moderatoren, die Inhalte kontrollieren, bewerten und gegebenenfalls blockieren. "Wir dürfen nicht länger hinnehmen", sagt Schindler, "dass diese Unternehmen, die zu den profitabelsten der Menschheitsgeschichte zählen, null rechtliche Verantwortung für die Inhalte auf ihren Plattformen übernehmen und null rechtliche Verantwortung, proaktiv mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten."
Doch eine Regulierung wird Zeit brauchen, bis sie greift. Zunächst befassen sich die Sicherheitsbehörden mit den ganz unmittelbaren Fragen, ob und wie sie den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hätten verhindern können.
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert und aktualisiert.