Annäherung an Israel: Riad scheut Vorwurf des "Verrats"
10. September 2020Die Freitagspredigt, die der Imam der Großen Moschee von Mekka, Abdulrahman al-Sudais, vergangene Woche verlas, hat in Teilen der arabischen und islamischen Welt für Wirbel gesorgt. Der saudische Prediger hatte für Toleranz gegenüber Nicht-Muslimen geworben und war dabei auch positiv auf das Verhältnis des Propheten Mohammed zu den Juden eingegangen.
Da die Ankündigung der historischen, in arabischen und islamischen Ländern teils stark umstrittenen Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) erst wenige Wochen zurückliegt, wurde die Predigt von vielen als politische Botschaft verstanden.
"Verrat von der heiligen Kanzel aus"
In arabischen sozialen Netzwerken monierten Kritiker nicht zuletzt den Zeitpunkt: Obwohl es bisher keine zufriedenstellende Perspektive für einen Palästinenserstaat und für den Status der auch Muslimen heiligen Stadt Jerusalem gebe, bereite der Prediger aus Mekka mit schönen Worten bereits den Boden für eine Normalisierung auch der saudischen Beziehungen mit Israel vor, so der Vorwurf. Dies sei "Normalisierung und Verrat von der heiligen Kanzel aus", schimpfte beispielsweise der ägyptische Islamgelehrte Mohammed al-Sagheer auf Twitter.
Dabei sind kleinere, durchaus konkrete Veränderungen im israelisch-saudischen Verhältnis längst eingetreten. So erklärte Riad Anfang September, seinen Luftraum für Flüge zwischen Israel und den VAE zu öffnen. Die Erklärung folgte kurz auf die Übereinkunft zwischen den VAE und Israel, in deren Folge erstmals ein israelisches Flugzeug in Abu Dhabi gelandet war. Bereits vor mehr als zwei Jahren, im März 2018, hatte Riad der Luftfahrtgesellschaft Air India die Erlaubnis erteilt, den saudischen Luftraum für Direktflüge zwischen Neu Delhi und Tel Aviv zu nutzen.
Blickt man auf die offiziellen Verlautbarungen aus Riad, so gibt es derzeit jedoch wenig Anzeichen dafür, dass Saudi-Arabien bald dem Beispiel der Emirate folgen und volle diplomatische Beziehungen zu Israel aufnehmen könnte. Bedingung dafür sei eine international anerkannte Lösung der Palästina-Frage einschließlich Ost-Jerusalems, hieß es zuletzt mehr oder weniger deutlich von Seiten Riads, zuletzt am Mittwoch (09.09.2020) bei einem Treffen der Arabischen Liga in Kairo.
Zuvor hatte bereits Staatsoberhaupt König Salman in einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump eine "faire" Lösung für die Palästinenser angemahnt. Außenminister Faisal bin Farhan beeilte sich bereits Anfang September, in einem arabischsprachigen Statement auf Twitter zu beteuern: "Die Position des Königreichs im Hinblick auf die Sache der Palästinenser ist fest."
Nicht ohne die Palästinenser
Offensichtlich geben in Riad derzeit eher vorsichtige Kräfte den Ton an. Diese Kräfte dürften der Ansicht sein, dass sich gerade Saudi-Arabien mit seinem Gewicht als regionale Führungsmacht und Hüter der heiligen islamischen Stätten keinen Deal leisten könne, der von Kritikern und politischen Gegnern als "Verrat" an den Palästinensern und muslimischen Ansprüchen auf Jerusalem angeprangert werden könnte. Die "Financial Times" zitierte dazu einen nicht namentlich genannten Offiziellen mit den Worten: "Die VAE sind kleiner und haben auch dieses religiöse Element nicht. Was die VAE zu verlieren haben, ist viel weniger als wir." Es gebe in Saudi-Arabien Sorge, vom Rest der muslimischen Welt beschimpft zu werden.
Doch wenn die mächtigen Saudis zögern, schnell dem emiratischen Beispiel zu folgen, dürften sich andere ebenfalls zurückhalten, meint Hugh Lovatt, Nahost-Experte beim European Council on Foreign Relations (ECFR). "Man darf annehmen, dass Saudi-Arabiens derzeitige Ablehnung von direkten Beziehungen mit Israel für andere Golfstaaten wie Bahrain oder Oman ein Grund oder zumindest Vorwand ist, um entsprechende amerikanische Erwartungen zu dämpfen", so Lovatt im DW-Interview.
Auch andere Staaten winken derzeit ab. Im Sudan beteuerte die dortige Übergangsregierung schon im August gegenüber Washington, sie verfüge gar nicht über das notwendige Mandat, um über eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel entscheiden zu können. Ein sudanesischer Regierungssprecher, der sich kurz zuvor öffentlich über künftige Beziehungen mit Israel gefreut hatte und heftige öffentliche Kritik dafür einstecken musste, wurde kurzerhand gefeuert.
Kosovo statt Bahrain?
US-Präsident Trump, der anlässlich des Deals zwischen Israel und den VAE bereits euphorisch baldige weitere historische Übereinkünfte mit arabischen und islamischen Staaten in Aussicht gestellt hatte, steht diesbezüglich bislang mit weitgehend leeren Händen dar.
Außer der Öffnung des Luftraums für Israel-Flüge durch Saudi-Arabien sowie ebenfalls durch dessen Verbündeten Bahrain kann er vor der Unterzeichnung des Abkommens zwischen Israel und den VAE am 15. September bislang nur einen eher symbolischen Achtungserfolg im fernen Europa verkünden. Dort hat immerhin die kleine, mehrheitlich muslimisch geprägte Republik Kosovo auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens offiziellen Beziehungen mit Israel zugestimmt.
Was die arabische Welt betrifft, so verweist Nahost-Experte Lovatt darauf, dass die derzeitige Politik der Führungsmacht Saudi-Arabien intern durchaus umstritten sei. Sie könne sich noch ändern, wenn König Salman, wie schon in anderen Bereichen, auch auf dem Feld der Israel- und Palästina-Politik Einfluss zugunsten seines vermutlichen Nachfolgers verlieren sollte. Der neue, zunehmend starke Mann im Land, Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS), stehe der palästinensischen Führung viel kritischer gegenüber, meint Lovatt. Außerdem dürfte er auch aus wirtschaftlichen Gründen und zwecks Eindämmung des gemeinsamen regionalen Gegners Iran stark daran interessiert sein, gute Beziehungen zu Israel aufzubauen. Lovatt: "Da MbS vermutlich das nächste Oberhaupt des Königreichs sein wird, werden sich die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel in Zukunft wahrscheinlich noch ändern."
Unterhalb der Schwelle offizieller Beziehungen tun sie dies schon jetzt. Nur soll es eben nach außen hin nicht wie ein "Verrat" an den Palästinensern aussehen.