Anime und Suppe
30. März 2003Japanische Nudelsuppen namens "Raamen" kennt in Japan jedes Kind. In Berlin sind sie der letzte Schrei. Zum abendlichen Lesen von japanischen Comics - auch Mangas genannt - in der Comic-Bibliothek in der Tucholskystraße in Berlin-Mitte wurden die Suppen den Besuchern jüngst als "Starterpack" gereicht. Beim Konsum von Suppe und grünem Tee konnten die Fans fernöstlicher Comic-Kunst gemeinsam ihrer Leidenschaft frönen. "Nachmittags kann man bei einer Tasse Tee in Mangas blättern," sagt ein Besucher, "abends gibt es Suppe und Animes."
Natürlich sind es weniger die Nudeln, nach denen die Fans hungern. Im Mittelpunkt steht das Anime, ein kurzer Film aus Bildern im Manga-Stil. "Anime" ist das japanische Wort für Comicfilm. Was der unkundige Besucher außerdem erfährt: Neben den kulleräugigen Dragonballs und anderen Figuren, die aus den Jugendprogrammen der Privatsender bekannt sind, hat die Comic-Szene noch viel mehr zu bieten. Dies aufzuzeigen ist erklärtes Anliegen der Betreiber der RENATE-Comic-Bibliothek.
Klassisches und Kurioses
"Kinder in aller Welt kennen Asterix und Mickey Mouse," sagt Herr Auge Lorenz, wie sich der Gründer von RENATE nennt. "Aber es gibt noch viel mehr zu entdecken, was genau so schön oder spannend oder abgefahren ist." In den Regalen im Hochparterre der kleinen Ladenwohnung stehen rund 5.000 Comicbände und weitere 5.000 Heftchen zum Verleih. Quer durch alle Sparten der sogenannten "Neunten Kunst" findet sich hier alles, was das Herz des Sprechblasen-Liebhabers höher schlägen lässt: Klassisches und Kurioses, bekannte Knaller neben Geheimtipps.
Auge Lorenz ist hier ständig anzutreffen - er betreibt das Projekt schon seit zehn Jahren. Auge, der selbst glubschäugige Figuren namens "Novoman" und "Ravi" zeichnet, heißt eigentlich Peter. Doch auf seinen Vornamen hörte der schlaksige Enddreißiger mit dem wasserstoffblonden Wuschelkopf schon vor seiner eigenen Comic-Karriere nicht mehr. Heute verbreitet der ehemalige Punk sein Fachwissen auch in Vorträgen. Über die "Anfänge des Comics", über "Nazis im Comic" und über "Superhelden" hat er bereits referiert.
Treffpunkt für Leser, Zeichner und Verleger
Die Kultur der gezeichneten Geschichten wollen Lorenz und andere Comic-Fans in vielfacher Weise näher bringen. Dabei interessieren vor allem auch "die kleinen Perlen abseits des Mainstream." Die Bibliothek ist jedoch kein Ort nur für Comic-Leser. Viele der Besucher greifen wie Herr Lorenz selbst zum Zeichenstift und sind in Berlin bereits einem breiterem Publikum bekannt.
Bernd Schmucker beispielsweise beglückt die Magazine der Hauptstadt seit zehn Jahren mit "Nettmann", einem Helden, der in vielem vom üblichen Superhelden-Schema abweicht. Der entgegenkommende Maskenmann bringt den Müll runter, hilft schwangeren Frauen über die Straße und sorgt für gutes Benehmen. Pünktlichkeit allerdings ist seine Sache nicht. Bereits 2001 wollte er die Weltherrschaft übernehmen, so ist auf seiner Homepage zu erfahren. Geglückt ist es bislang nicht.
Auch in einer neueren Nettmann-Episode kommt der Held zu spät. Ein junger Mann, der von seinem Lungentumor weiß, hat sich gerade von der Berliner Gedächtniskirche gestürzt. Nettmann kann nur noch auf die Blutlache blicken und sagen: "'Tschuldigung, Sie haben da was verloren."
Her mit den Zeichnungen
Einfälle wie diese Bildgeschichte sammelt RENATE seit kurzem in einem überdimensional großen, streng limitierten Format. "Rorschach", so der sprechende Titel der Zeitung, ist ein Zufallsprodukt. Spontane Zeichnungen im Sinne der Tintenklecks-Assoziation des berühmten Psychologen Hermann Rorschach sind gefragt. Für Comic-Zeichner ist die Zeitung ein tolles Forum: "Dein Beitrag wird gedruckt", lautet das Leitmotiv des Blatts, das deutlich sichtbar auf einem Holzkasten prangt, der seit einigen Wochen bei RENATE steht. Wem der Weg nach Berlin zu weit ist, der kann seine Zeichnung auch per Mail an die Zeitung schicken.