"Auch Schwule und Lesben gehören zu Polen"
19. März 2019Deutsche Welle: Die kirchenkritische, liberale, ökologische Partei "Wiosna" (deutsch Frühling) könnte - laut aktuellen Umfragen - dritte Kraft in der polnischen Politik werden. Ändert sich da etwas in der polnischen Gesellschaft, oder ist das nur eine Trotzreaktion auf die konservative PiS-Regierung?
Robert Biedroń: In der DNA jeder Gesellschaft gibt es eine Gruppe von Bürgern, die Demokratie, die Trennung von Staat und Kirche, saubere Luft und gewisse Standards glücklichen Lebens hoch schätzen. Deshalb ist es kein Phänomen. Es existiert auf natürliche Weise in der polnischen Gesellschaft. Ich glaube, es hat auch vorher existiert, aber es fehlte eine glaubwürdige Alternative. Unsere Partei - Frühling - hat schlicht die Bedürfnisse einer großen Gruppe zum Ausdruck gebracht. Ich bin nicht der Meinung, dass es die Folge einer Übermüdung oder Abneigung gegen die Regierung ist. Aber es gibt einfach Leute, die solche Werte schätzen und dafür politische Vertreter suchen.
Demnach wäre Ihre Partei Frühling kein saisonales Phänomen? Vor acht Jahren gab es in Polen eine ähnliche Bewegung von Janusz Palikot. Sie ist erblüht und schnell verblüht.
Ich glaube, im 21. Jahrhundert wird es Parteien geben, die als Antwort auf Bedürfnisse des Moments entstehen werden und dann verschwinden. Aber in unserem Fall handelt es sich um etwas dauerhaftes. Das wichtigste dabei ist, die Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Man muss treu zu den eigenen Werten stehen.
A propos eigene Werte, vieles deutet darauf hin, dass die polnische LGBT-Community Ziel heftiger Attacken im diesjährigen Wahlkampf sein wird. Werden Sie sie verteidigen?
Ich bin doch selbst Teil der LGBT-Community! Ich muss mich also dabei auch selbst verteidigen. Aber Jarosław Kaczyński, der Chef der PiS Partei, ist damit, wie ich glaube, übers Ziel hinaus geschossen. Heute kann man den Leuten in Polen nicht mehr mit Schwulen und Lesben Angst einjagen. Die Polen wissen: Schwule und Lesben sind ganz klar ein Teil dieser Gesellschaft. Viele haben auch verstanden, dass Gleichberechtigung Teil der Demokratie ist. Man kann nicht für Demokratie kämpfen, ohne für die Rechte der LGBT Leute zu kämpfen.
Nehmen wir an, Sie werden Teil der nächsten polnischen Regierung. Würden Sie eine Abrechnung mit den Maßnahmen der PiS Regierung anstreben?
Natürlich, das haben wir schon angekündigt. Ich bin der Meinung, man kann ansonsten nicht zur nächsten Etappe übergehen.
Und wofür genau wollen Sie PiS zu Verantwortung ziehen?
Dafür, dass sie die Verfassung gebrochen hat! Die Verantwortlichen müssen vor das Staatstribunal gestellt werden. Es war ein Fehler, dass die Bürgerplattform seinerzeit nicht den Mut dazu aufbrachte. Solche Nachsicht führt zu einer Degeneration in der Politik. Der Otto-Normal-Verbraucher kann das nicht nachvollziehen, dass man für den Diebstahl einer Schokoladenwaffel im Knast landen kann, aber nicht zur Verantwortung gezogen wird fürs Aushebeln der Verfassungsordnung und der demokratischen Fundamente.
Welche deutsch-polnischen Beziehungen wünschen Sie sich?
Gute Nachbarschaft! Wir sind Partner. Wir sollten unsere Freunde auf der deutschen Seite wie den besten Nachbarn behandeln. Für uns ist Deutschland der beste Nachbar, es gibt dafür keine Alternative. In unserem Interesse liegt es, gute, freundschaftliche Beziehungen zu diesem wichtigen Player in Europa und der Welt zu haben. Was jetzt in den deutsch-polnischen Beziehungen passiert, ist sehr unvernünftig. Es gibt viele Sachen, die wir mit den Deutschen klären müssen, zum Beispiel Nord Stream 2, aber Deutschland kann für uns ein Partner sein beim Angehen vieler Probleme.
Polen hat aber mit diesem Partner eine komplizierte Geschichte. Sind Sie der Meinung, dass Polen von Deutschland Reparationen für den Zweiten Weltkrieg fordern sollte?
Natürlich nicht, das ist Quatsch. Sollte dann Deutschland von Polen die Rückgabe von Stolp, wo ich Bürgermeister war, oder von Breslau fordern? Die Polen wollen in Deutschland einen guten Nachbarn haben, sie wollen zusammen mit Angela Merkel und Emmanuel Macron an einem Tisch sitzen, um polnische Angelegenheiten in Europa anzugehen. Den Tisch umzuwerfen, ergibt keinen Sinn. Deutschland könnte es sich leisten, Polen als Partner zu verlieren, Polen schafft es, angesichts dessen, was Wladimir Putin in Europa treibt, nicht ohne Deutschland.
A propos Macron, wie stehen Sie zu seinen Reform-Vorschlägen für die EU?
Sie sind mutig. Macron nannte sie selbst eine Renaissance für Europa. Man kann natürlich über Details diskutieren. Aber generell fehlen Politiker, die eine Vision für Europa haben. Mir missfällt zwar dieser egoistische, französische Blick auf die Zukunft des Kontinents. Aber es gibt auch Sachen, die ich sehr gut finde. Zum Beispiel eine gemeinsame Klimapolitik. Das ist sehr wichtig für Polen, wo geschätzte 45.000 Menschen pro Jahr wegen Luftverschmutzung sterben.
Und welche Europäische Union wünschen Sie sich?
Ich bin ein europäischer Fundamentalist. Es liegt in Interesse Polens, in der EU zu sein, um konkrete Probleme anzugehen. Die EU sollte sich nicht mit der Krümmung von Bananen, stattdessen aber mit dem Kampf gegen Krebserkrankungen, Wohnungsnot, Luftverschmutzung, niedrige Löhne befassen.
Europa ist von armen Regionen umgeben. Es gibt einen großen Migrationsdruck aus Afrika und Asien. Wie sollte sich die EU verhalten?
Die EU muss eine vernünftige Politik betreiben, nicht eine Keine-Diskussion-Politik der offenen Türen. In Polen wird man nach all dem, was Jarosław Kaczyński getan hat, die Menschen derzeit nicht davon überzeugen können, dass wir alle nach Europa hereinlassen sollen. Aber man könnte in die Bildung investieren, um die Menschen auf eine Diskussion über Migration vorzubereiten und irgendwann eine ernsthafte Debatte darüber zu beginnen, wie eine vernünftige Migrationspolitik aussehen kann.
Wie bewerten Sie rückblickend die Entscheidung von Angela Merkel, die Grenzen nach Deutschland nicht zu schließen?
Das ist deutsche Politik, das war eine Entscheidung von Frau Merkel. Die polnische Regierung hat einen ganz anderen Weg verfolgt, und ich glaube, es war ein falscher Weg. Aber Angela Merkel hat den Preis für ihre Politik bezahlt. Das zeigt, dass wir eine gemeinsame, europäische Migrationspolitik brauchen, weil sie weder hier noch dort richtig funktioniert hat.
Das Gespräch führte Wojciech Szymański