Angst vor Rache
29. Januar 2012Die 3-jährige Mutonyi sitzt auf einem schmutzigen Bett im städtischen Krankenhaus in Ostkongos Provinzhauptstadt Goma. Eine Kugel hat das Handgelenk des kleinen Mädchens zerfetzt. Neben ihr sitzt ihre Schwester Murekatete. Auch sie hat eine Kugel ins Bein getroffen. Ein erschöpfter Arzt versorgt die Wunden.
Massaker an Dorfbewohnern
Seit Wochen treffen fast täglich Schwerverletzte ein. Sie stammen aus den kleinen Dörfern tief im Dschungel, die von der ruandischen Hutu-Miliz FDLR kontrolliert werden. In der FDLR tummeln sich zahlreiche Täter des Völkermordes in Ruanda 1994, in welchem 800.000 Tutsi ermordet wurden. Nach dem Genozid sind diese Täter in den Ostkongo geflohen und malträtieren seit 17 Jahren die kongolesische Bevölkerung. Auch in den vergangenen Wochen, berichtet Lukonge Mwami. Er ist der Gemeindevorsteher einer Ansammlung von Dörfern unweit von Goma.
Der erste Angriff auf die Dörfer von Mwamis Gemeinde geschah genau ein Tag vor den Wahlen, am 27. November 2012, an einem Sonntagmorgen. "Sie schossen und töteten drei Menschen", berichtet Mwami. Viele Bewohner seien daraufhin geflohen und konnten am Wahltag nicht abstimmen. Einige Wochen später töteten sie elf Menschen mit Macheten und brannten fünf Dörfer nieder. Kurz vor Weihnachten ereigneten sich weitere brutale Übergriffe in verschiedenen Siedlungen. "Sie schnitten einigen Menschen die Köpfe ab und stellten diese vor der Kirche und auf dem Marktplatz auf", berichtet Mwami. Alle 20.000 Bewohner seiner Gemeinde seien geflohen. 46 Menschen seien getötet worden, "19 von ihnen wurden enthauptet", sagt er.
Diese brutalen und symbolischen Tötungsaktionen dienen als Warnung der FDLR an die Bevölkerung, sich nicht gegen die Rebellen aufzulehnen und keine rivalisierenden Milizen mit Lebensmitteln zu versorgen.
FDLR-Anführer in Deutschland vor Gericht
Seit Jahren versuchen Kongos und Ruandas Armeen die FDLR zu zerschlagen. Militäroperationen wurden durchgeführt – doch sie waren fast vergeblich. Zwar wurden viele einfache FDLR-Kämpfer gefangen genommen oder sie ergaben sich freiwillig. Doch die Kommandostruktur blieb erhalten. Die FDLR verfügt über einen politischen Verwaltungsapparat und eine quasi-Armee. Im Prinzip wie ein Staat im Staat. FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und dessen Stellvertreter Straton Musoni dirigierten diesen de-facto Staat knapp 10 Jahre lang von Deutschland aus. Beide waren in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt. Seit vergangenem Mai stehen sie nun wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Stuttgart vor Gericht. Dies hat die Miliz im Dschungel stark geschwächt.
Jetzt setzen Kongos und Ruandas Regierung auf eine neue Strategie, die FDLR zu bekämpfen. Sie haben Jugendliche aus den Dörfern rund um das FDLR-Hauptquartier im Busch mit Waffen ausgerüstet. Die jungen Männer kennen im Dschungel jeden Trampelpfad. Sie nennen sich "Kräfte zur Verteidigung der Kongolesen", kurz: FDC.
Angriff auf das FDLR-Hauptquartier
Diesen FDC-Jungen ist es nun gelungen, den Rebellen in ihrem eigenen Hauptquartier aufzulauern, berichtet der geflohene FDLR-Kämpfer Fabian Havugimana.
"Es war nachts gegen drei Uhr. Die FDC schlich sich an", erinnert er. Sie fanden die Hütte der Stabschefs und schossen. Dann setzten sie die Hütte in Brand, berichtet er: "Der Angriff war schlimm für uns. Der Stabschef war ein wichtiger Kommandant in der Führungsstruktur. Alle trauern um ihn und haben Angst vor weiteren Attacken. Die Kampfmoral ist am Boden", sagt Havugimana. Die jungen Kämpfer wollten nun Rache üben. "Aber es gibt noch keine genauen Befehle“, sagt er.
Wie Havugimana, so desertieren nach dem Angriff auf das Hauptquartier nun täglich Dutzende FDLR-Kämpfer. Sie haben Angst um ihr Leben. FDLR-Experten sehen bereits den Zerfall der einst so mächtigen Rebellengruppe. Doch um welchen Preis? Aus Angst vor Rache sind in den vergangenen Wochen im Ostkongo rund 100.000 Menschen aus ihren Dörfern geflohen. Sie suchen Schutz in Städten wie Goma, Walikale oder Masisi, wo UNO-Blauhelme stationiert sind.
Autorin: Simone Schlindwein
Redaktion: Lina Hoffmann