Angst vor einer mächtigeren Hamas
24. Januar 2006Israel und die Palästinenserorganisation PLO waren 1993 und 1995 in ihren historischen Verträgen von Oslo übereingekommen, dass Anfang 1996 die ersten freien Wahlen in den - noch besetzten - palästinensischen Gebieten stattfinden sollten. Sie sollten den Grundstein legen zu einer friedlichen und demokratischen Entwicklung - und sie sollten Palästinensern wie Israelis zeigen, dass die Vereinbarungen ihrer Führer erste Früchte bringen.
Im Januar 1996 wurde dann erstmals ein palästinensischer Präsident gewählt - erwartungsgemäß der damalige PLO-Chef Jassir Arafat - und wenige Monate später fanden Wahlen zum "Legislativrat" statt, dem Parlament des Noch-Nicht-Staates Palästina. Aber so hatten die Unterzeichner der Osloer Abkommen sich das wohl kaum vorgestellt: Ein neuer Präsident wurde erst nach Arafats Tod Ende 2004 gewählt. Und bis zur Neuwahl des Parlaments sollten ganze zehn Jahre verstreichen.
Dramatische Veränderungen
Wenn am Mittwoch (25.1.2006) zum zweiten Mal im Westjordanland und im Gazastreifen gewählt wird, dann hat sich gegenüber dem ersten Mal viel geändert: Arafat lebt nicht mehr und sein Nachfolger Mahmud Abbas ist schwach und wenig durchsetzungsfähig. Die Autonomie ist durch die Kämpfe der zweiten Intifada - dem palästinensischen Widerstand gegen Israel - sehr stark beschädigt worden. Und die politischen Gewichte scheinen sich dramatisch zu verlagern: weg von der einst unbestrittenen führenden Kraft unter den Palästinensern, der Fatah-Bewegung Arafats und Abbas', hin zur islamistischen Hamas-Organisation, die die Oslo-Verträge ebenso abgelehnt hat wie bisher jeden Gedanken an ein friedliches Nebeneinander mit Israel.
Kopf-an-Kopf-Rennen
Abbas befürwortet eine Beteiligung der Hamas an den Wahlen, denn er hofft, dass diese dadurch einen gemäßigteren Kurs einschlagen werde. Eine Hoffnung, die durch nichts untermauert wird, die aber demonstriert, auf welch schwacher Basis die Fatah operiert. Prognosen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Fatah und Hamas voraus, wobei beide etwa ein Drittel der 132 Mandate errängen, während das letzte Drittel an unabhängige Kandidaten gehen dürfte.
Knapp unter anderthalb Millionen Palästinenser sind wahlberechtigt, darunter etwas über 100.000 in dem von Israel annektierten Ostteil Jerusalems. Israel wollte die Wahlen dort zunächst unterbinden, schließlich gestattete es dann aber doch wieder die Regelung von 1996: Es darf in Postämtern gewählt werden - gleichsam als Briefwahl. Aber in den Genuss dieser Regelung kommen nur etwa 6000 Wähler, die anderen müssen zur Wahl in das benachbarte Westjordanland fahren, ein schwieriges und zeitraubendes Unterfangen. Wahlkampf darf in Ostjerusalem auch nicht geführt werden.
Keine "alten Männer" mehr
Der traditionellen Führung der Fatah laufen die Wähler fort, weil die Zeit der "alten Männer" aus dem Exil zu Ende ist und man diesen auch noch - gewiss nicht zu Unrecht - unterstellt, Korruption zu pflegen, die in der arabischen Welt bisher groß geschrieben war. Statt der Alten aus dem Exil will man junge Leute, die die Besatzung seit 1967 miterlebt und sich dieser widersetzt haben. Die Fatah drohte daran fast zu zerbrechen. Erst in letzter Minute gelang es mühsam, die Reihen zu schließen.
Wahlkampf aus einem israelischen Gefängnis heraus
Der Spitzenkandidat der jungen Fatah-Hoffnungsträger kann sich nur per Fax, Telefon und neuerdings über den qatarischen Fernsehsender "Al Dschasira" in den Wahlkampf einmischen - und das von außerhalb der palästinensischen Gebiete: Der 47-jährige Marwan Barguti sitzt in einem israelischen Gefängnis, seitdem Israel ihn im Jahre 2004 zu fünf Mal Lebenslänglich plus 40 Jahre wegen angeblicher terroristischen Tätigkeit und der direkten Verantwortung für fünf Morde verurteilt hatte. So krass diese Verurteilung des ehemaligen Fatah-Generalsekretärs und Führers der Fatah-Jugendorganisation "Tanzim" war: Israel scheint den populären Barguti als möglichen künftigen Führer der Palästinenser - und dann wohl auch irgendwann seine Freilassung - in Kauf zu nehmen.
Israel: Null Akzeptanz einer Hamas-Regierung
Eine erstaunliche Haltung, solange Israel an den Vorwürfen festhält, für die Barguti verurteilt wurde. Denn gleichzeitig hat Israel alles versucht, um eine Beteiligung der Hamas an den Wahlen zu verhindern. Vergeblich. Aber in offiziellen Kreisen Jerusalems macht man keinen Hehl daraus, dass ein Wahlsieg der Islamisten - so unwahrscheinlich er auch sein mag - jede künftige Zusammenarbeit blockieren würde. Dasselbe werde geschehen, wenn eine geschwächte Fatah die Hamas mit in die Regierung aufnähme: Israel werde nicht bereit sein, mit einer palästinensischen Regierung zu verhandeln, in der ein wichtiger Zweig Israels Existenzrecht bestreitet und verantwortlich ist für Terroranschläge.
In diesem Punkt hofft
Israel auf westliche Unterstützung: In den USA und in der EU ist die Hamas bisher als Terrororganisation eingestuft - und man erwartet in Jerusalem, dass eine palästinensische Regierung unter Hamas oder mit Hamas-Beteiligung künftig von diesen Staaten boykottiert würde.