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Anfängliche Angst

14. Oktober 2009

Wie sehen die Bürger in Tschechien das wiedervereinigte Deutschland von heute? Brodeln unter der freundlich-pragmatischen Oberfläche immer noch deutschfeindliche Ressentiments?

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Blick auf Prag über einen Fluss (Foto: DW)
Die tschechische Hauptstadt PragBild: DW

Im Interview: Robert Schuster ist Politologe am Prager Institut für internationale Beziehungen und Chefredakteur der tschechischen Fachzeitschrift "Internationale Politik".

DW-WORLD.DE: Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer gefallen ist, hatten Sie den Eindruck, dass die Bürger der Tschechoslowakei das schon als Vorboten der Demokratisierung auch im eigenen Land wahrgenommen haben?

Robert Schuster im Porträt (Foto: DW)
Politologe Robert SchusterBild: DW

Robert Schuster: Ich denke, dass die meisten damals gesagt haben: Wenn es schon so weit ist, dass die Berliner Mauer geöffnet wird und dieses Symbol nicht mehr im Wege steht, dann wird auch in der Tschechoslowakei die Demokratie bald kommen. Denn der eigentliche Impuls, nach dem viele Tschechen geglaubt haben, es könnte etwas passieren, war ja schon in den Monaten zuvor die Besetzung der westdeutschen Botschaft in Prag durch DDR-Bürger, die dann auf diesem Wege die Ausreise erzwungen haben.

Da haben sich viele gesagt: Das ist der entscheidende Punkt. Wenn diese Regierungen, sowohl die tschechoslowakische als auch die DDR-Regierung, klein beigeben und diesen Leuten entgegenkommen und sie ausreisen lassen, dann kann es mit dem System und mit diesem Regime nicht mehr lange dauern.

Gab es auch so etwas wie Angst vor dem wieder erstarkten Deutschland? Die historischen Erfahrungen mit den deutschen Nachbarn waren im 20. Jahrhundert nicht gerade die besten.

Wiedervereinigungsfeier am 3. Oktober 1990 - Hans-Dietrich Genscher, Helmut Kohl und Richard von Weizsäcker auf Rednertribüne (Foto: dpa)
Viele Tschechen hörten bei den Reden von Kohl, Genscher und von Weizsäcker genau zuBild: AP

Nicht direkt nach dem Mauerfall. Aber sobald sich zeigte, dass es zur Wiedervereinigung kommen würde, hat man schon gewisse Befürchtungen geäußert. Man hat zum Beispiel auch sehr genau die Wiedervereinigungs-Zeremonie am 3. Oktober 1990 beobachtet. Was gibt es da für Symbole? Wer hält Reden und was wird gesagt? Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat damals schon den richtigen Ton gefunden und vielleicht einige Tschechen beruhigt. Aber die Angst vor dem neuen, wiedervereinigten Deutschland hat die tschechische Sicht auf Deutschland sicherlich für die ganzen 1990er-Jahre geprägt. Bevor Tschechien und Deutschland die deutsch-tschechische Erklärung vereinbart hatten, wo die gemeinsame Geschichte und die offenen Wunden angesprochen wurden, aber gleichzeitig auch die Zukunftsperspektiven sehr stark in den Vordergrund gerückt sind, bis zu diesem Zeitpunkt war das ein sehr heißes Thema. Erst nach dieser Erklärung, 1998, ist eine gewisse Entspannung eingetreten.

Welches Verhältnis haben die Tschechen heute zum wiedervereinigten Deutschland? Was sind die wichtigsten Parameter dieser nachbarschaftlichen Beziehung?

Karte Deutschland und Nachbarland Tschechien (DW-Grafik: Peter Steinmetz)
Bild: DW

Man steht nicht mehr in Konkurrenz, ist nicht mehr verfeindet, sondern Mitglied einer Gemeinschaft, der EU, und Mitglied der NATO - dieser sicherheitspolitische Aspekt sollte auch nicht unterbewertet werden. Aber ansonsten ist es glaube ich immer noch eine Generationenfrage. Die jüngere Generation, die die Möglichkeit hatte, nach Deutschland zu fahren, dort zu studieren und junge Deutsche zu treffen, hat sicherlich ein völlig anderes Deutschen-Bild als die Generation "50 plus x", die in den Deutschen oft immer noch eine potentielle Gefahr oder vielleicht das Feindbild schlechthin sieht. Das muss man unterscheiden.

Sie selbst stammen aus Westböhmen, waren zur Zeit des Falls der Berliner Mauer Jugendlicher. Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie?

Man hat es nicht für möglich gehalten, dass es zur Wiedervereinigung Deutschlands kommen könnte. Auch meine Mitschüler, daran kann ich mich erinnern, waren damals sehr angetan von dem ganzen Prozess. Aber ich muss auch sagen: Wir hatten damals am Gymnasium einen Geschichtslehrer, der zwar jung war, aber uns ganz klipp und klar erklärt hat, der 3. Oktober 1990 sei für ihn ein Staatstrauertag, denn es bestehe die potentielle Gefahr, dass dieses Deutschland wieder erstarken könnte. Dieser Geschichtslehrer ist mittlerweile politischer Funktionär der rechtsextremen Nationalen Partei geworden und hat für die Nationale Partei sogar als Spitzendkandidat bei den Europawahlen kandidiert. Da muss man sich nicht wundern, dass er dieses Deutschlandbild hatte - und nach wie vor hat.


Das Interview führte Gerald Schubert.

Redaktion: Susanne Henn