Angst - Gift für die Seele? Antworten der Medizin
14. Oktober 2005Wie die Theologie ihre Herangehensweise an die Angst hat (siehe Teil 1), so besitzt auch die Medizin ihren eigenen Blickwinkel. Klaus Bergdolt ist Professor am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Köln. Er schaut vor allem auf die medizinische Entwicklung im Lauf der Jahrhunderte. Und wie sich in seinen Studien zeigt, hat auch die Naturwissenschaft sehr viel mit Glauben zu tun. "Es ist kaum etwas schwieriger zu definieren als der Begriff der Angst", erklärt Bergdolt. "Im 19. Jahrhundert hat man gedacht, man kann die Angst einfach abschaffen. Man hat den Leuten von naturwissenschaftlicher, von medizinischer Seite her suggeriert: Es dauert noch einige Zeit, dann wird die Wissenschaft die großen Gefahren, die die Menschheit seit Jahrtausenden bedrohen, abgeschafft haben. Wir wissen heute, dass das anders gelaufen ist."
Für Bergdolt haben sich die Inhalte der Angst verschoben: "Vor 200 Jahren waren Feuer, Erdbeben und Blitzeinschläge die ursprünglichen Gründe für Ängste. Wir wissen, dass die Beseitigung dieser Ängste zu anderen Ängsten geführt hat, die dann eher die Domäne der Psychiater und vor allem der Analytiker und Philosophen geworden sind. Wir haben plötzlich gesehen, dass die Festigung der Umweltbedingungen mitnichten die Angst aus dem Leben der Menschen vertrieben hat."
Fortschritt ist kein Angstkiller
Der Technikglaube des 19. Jahrhunderts fußte auf einer schlichten Reduktion. Die Wissenschaft wurde zur Heilslehre und weckte übertriebene Erwartungen. Ohne Zweifel haben technischer und medizinischer Fortschritt das Leben in den vergangenen 150 Jahren in vielen Bereichen sicherer gemacht.
Doch weniger ängstlich geworden sind die Menschen keineswegs. Die Angst hat sich nur verändert, wie Bergdolt verdeutlicht: "Wenn vor 150 Jahren jemand von Frankreich oder Belgien aus nach England fuhr, dann war immer eine gewisse Gefahr dabei. Die Schiffspassage über den Kanal war gefährlich und da hatte man Angst. Heute hat kein Mensch mehr Angst, wenn er nach England fährt. Aber das heißt nicht, dass die Menschen, die nach England reisen, ohne Angst wären. Die haben heute Angst vor der Zukunft, vor der Alterssicherheit. Sie haben vielleicht Angst vor Kälte in der Gesellschaft."
Die Gründe für Angst sind unsichtbar geworden
Die Gewohnheit oder auch nur die Suggestion von Sicherheit, so Klaus Bergdolt, macht die Menschen angreifbar. In den Pestzeiten des Mittelalters war der Tod schrecklicher Alltag. Die Menschen mussten mit ihm leben. Heute sind wir von diesem Anblick befreit, deshalb aber verunsichern uns Flut-Katastrophen wie in Südostasien oder New Orleans umso mehr. Angst ist ein Gefühl, das alle Menschen kennen. Doch kann sich Angst auch zu etwas entwickeln, das weit über das normale Maß hinaus den Einzelnen bedrängt und einschränkt. Rund zehn Prozent der Erwachsenen leiden an einer solchen Angststörung.
Professor Joachim Klosterkötter, Leiter der Psychiatrischen Uniklinik Köln, hat ständig mit Menschen, zu tun, für die Angst mehr ist als ein unangenehmes Gefühl. Angst vor bestimmten Gegenständen oder Situationen bezeichnet er nicht als Furchst, sondern als Phobie. "Da gibt es ja vielfältige Arten von Phobien, ob man da an die Spinnen denkt oder an enge Räume oder große Höhen. Es gibt aber auch soziale Phobien, zum Beispiel, wenn Menschen sich gar nicht in irgendwelche Kreise hineinbegeben können, ohne in Schweiß auszubrechen oder an der Wand entlangzuschleichen."
Verschiedene Arten der Angst
Um die Unterschiede der verschiedenen Ängste zu erklären, benutzt Klosterkötter den historischen Begriff der "Angstneurose" als Ausgangspunkt, geprägt vom Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud. "Wir unterscheiden heute verschiedene Formen von Angststörungen. Wir haben die Panikstörung, panikartige Angst, die den Menschen überflutet und immer mit körperlichen Einengungsgefühlen einhergeht. Das ist im Grunde eine Art Todesangst, die einen da überfällt - oft verbunden mit einem Gefühl, dass man den Kontakt zur Wirklichkeit verliert und glaubt, verrückt zu werden."
Angst bewirkt viele Krankheiten, ohne dass man die Angst direkt erkennen könnte. Und umgekehrt äußern sich viele Krankheiten sich in einer übersteigerten Angst. Wie zum Beispiel die Depression. Klosterkötter drückt den Kreislauf der Angst-Depression so aus: "Ich bin derjenige, der versagt, der seiner Alltagsanforderung nicht gerecht wird, der sich schuldig macht. Schließlich bin ich auch ein moralischer Versager, ich bin meinem Leben nicht gewachsen. Das geht dann in Richtung Suizidalität - ein Riesenrisiko und etwas, das wir am meisten überhaupt fürchten."
Die Selbstmordgefährdung wird in der Öffentlichkeit deutlich unterschätzt. Jedes Jahr sterben in Deutschland fast doppelt so viele Menschen durch Selbstmord wie im Straßenverkehr, zuletzt waren es mehr als 11.000.
Angst als volkswirtschaftliches Risiko
Einem deutlich anderen Aspekt der Angst hat sich der Soziologe und Diplom-Kaufmann Professor Winfried Panse gewidmet. "Kostenfaktor Angst" heißt sein Buch, das er gemeinsam mit seinem Kollegen Wolfgang Stegmann Mitte der 1990er Jahre veröffentlicht hat. Ein Bestseller. Eine der Thesen Panses: "Es ist wichtig, sich zu seiner Angst zu bekennen, sie als etwas Normales anzusehen, denn dann kann ich sie überwinden und in Erfolg ummünzen."
Panse geht von 100 Milliarden Euro aus, die der Wirtschaft jedes Jahr durch Angst entgehen. Falscher Umgang mit den Mitarbeitern und eitles Machtgebaren führten zu kontraproduktiver Angst, so Panse: "Wenn ich als Chef laufend meinen Mitarbeitern die Anerkennung verweigere, dann bin ich der Schuldige, der diese Mitarbeiter in die innere Kündigung bringt. Warum sollten die denn noch Leistung bringen, wenn sie keine Anerkennung bekommen?" Für alle Angstgeplagten hat Panse einen Ratschlag: "Versuchen Sie, selbst zu überlegen, wo es im Leben Facetten gibt, die Ihnen helfen, die Angst zu überwinden. Mit jeder kleinen Angst, die man überwunden hat, wird man mutiger."