Angolas Protestbewegung will Polizeigewalt trotzen
21. Juni 2023"Das angolanische Regime unterdrückt die letzte Hochburg der Demokratie: die Straße" - so haben mehrere zivilgesellschaftliche Gruppen und Aktivisten in einem offenen Brief an die Regierung die Ereignisse des vergangenen Wochenendes in den größten Städten Angolas zusammengefasst.
In der Hauptstadt Luanda und fast allen Provinzhauptstädten waren Tausende junger Leute, darunter viele Fahrer von Sammel- und Motorradtaxis, auf die Straße gegangen, um gegen hohe Spritpreise und für mehr Freiheit und Demokratie zu demonstrieren. Auch Studenten, Straßenverkäuferinnen und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen protestierten. In Luanda zeigten Jugendliche Schilder mit Aufschriften wie "Wir haben Hunger" und "Nieder mit dem Elend".
Luanda: Tränengas, Schlagstöcke und scharfe Munition
Die Polizei reagierte mit Repression: Tränengas, Schlagstöcke und sogar scharfe Munition kamen zum Einsatz. Es gab Verletzte und viele Verhaftungen. "In Luanda haben wir 32 Demonstranten festgenommen und in Benguela 55. Die Demonstranten waren gewalttätig und haben unter anderem versucht, Straßenbarrieren mit brennenden Benzinkanistern und Gummireifen zu errichten", sagte Polizeisprecher Mateus Rodrigues auf einer Pressekonferenz.
Der Aktivist Dito Dali, einer der Organisatoren der Demonstration in Luanda, widerspricht der Darstellung der Polizei. "Wir waren friedlich. Die Polizei hat völlig grundlos Gewalt eingesetzt", sagt Dali im DW-Gespräch. Ihnen lägen hunderte Fotos und Videos von Verletzten vor. "Nur unserer Besonnenheit ist es zu verdanken, dass es keine Toten gab." Dali erinnert an eine Demonstration in Huambo am 5. Mai, bei der mindestens fünf Demonstranten starben.
Erhöhung der Spritpreise löst Protestwelle aus
Der Auslöser der jüngsten Protestwelle in Angola war eine Erhöhung des subventionierten Benzinpreises von 165 Kwanza (0,25 €) auf 300 Kwanza (0,48 €) pro Liter, die am 1. Mai verkündet wurde und schon zwei Tage später in Kraft trat. Die angolanische Regierung hatte damit dem Druck der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) nachgegeben, die bereits seit langem den Abbau der Sprit-Subventionen fordert. Ähnliche Maßnahmen traf vor Kurzem auch die Regierung in Nigeria, was auch dort zu Protesten führte.
Beide Länder gehören zwar zu den größten Rohölproduzenten Afrikas, haben aber nicht genug Raffinerien, um den Eigenbedarf an Diesel und Benzin zu decken und müssen deshalb einen Großteil des Sprits teuer importieren. In Angola wurden die Spritpreise über Jahrzehnte subventioniert und so für Endverbraucher sehr niedrig gehalten. Die Kehrseite: Im Jahr 2022 belasteten die Treibstoffsubventionen den angolanischen Staatshaushalt mit circa 3,2 Milliarden Euro. Im laufenden Jahr werden noch höhere Kosten erwartet.
Opposition: "Benzinpreiserhöhung sozial abfedern"
Dass die Subventionierung der Spritpreise auf Dauer widersinnig ist und deshalb schrittweise abgebaut werden sollte, bezweifeln die wenigsten Wirtschafts- und Finanzfachleute in Angola. Selbst die angolanischen Oppositionsparteien sprechen sich regelmäßig für die Reduzierung der Benzinsubventionen aus: "Importierten Sprit mit so viel Geld künstlich zu verbilligen, ist widersinnig", sagt Nataniel Fernandes, Finanzexperte der größten Oppositionspartei UNITA und designierter "Finanzminister" der Schattenregierung, im DW-Interview.
Fernandes betont indes: "Die Preiserhöhungen hätten besser erklärt und in kleinen Schritten vorgenommen werden sollen. Man sollte die Maßnahmen auch sozial abfedern, denn gerade die sozial schwachen Menschen haben darunter sehr zu leiden, denn mit den Spritpreisen steigen auch die Lebensmittelpreise."
Die angolanische Analystin Emília Pinto weist im DW-Interview darauf hin, dass die Regierung tatsächlich vorhabe, einige besonders betroffene Wirtschaftszweige für die Spritpreiserhöhungen zu kompensieren. So sollten Taxifahrer oder Bauern, die Grundnahrungsmittel produzierten, Spritkarten ausgegeben bekommen, mit denen sie weiterhin Kraftstoffe zu den alten, niedrigeren Preisen kaufen können.
Das sei aber nicht so einfach zu organisieren, sagt die Expertin, denn es müsse erst einmal geklärt werden, wer tatsächlich berechtigt sei. "Die Lage ist schwierig. Und wir werden so bald kein Licht am Ende des Tunnels sehen. Im Gegenteil, denn unsere Währung, der Kwanza, ist unter starkem Druck und verliert gegenüber dem Dollar stark an Wert. Das Risiko sozialer Unruhen steigt."
Auch Angolas Straßenhändlerinnen in Not
"Es ist unerträglich, dass die Regierung unser Leben immer weiter erschwert", sagt Custódia dos Santos, die in den Straßen der Hauptstadt Luanda MIneralwasser verkauft, dem DW-Reporter. "Deshalb haben wir uns den Taxifahrern bei ihren Protesten gegen die Erhöhung des Benzinpreises angeschlossen. Unser Überleben und das Überleben unserer Kinder ist in Gefahr." Und dann berichtet sie von den täglichen Schikanen, denen sie als Straßenhändlerin ausgesetzt sei: "Wir werden regelmäßig von Sicherheitsleuten oder von der Polizei festgehalten. Wir müssen ihnen immer wieder Geld geben, um überhaupt weiterarbeiten zu dürfen."
Die Provinzregierung von Luanda verschärft seit Monaten ihre Maßnahmen gegen den informellen Straßenhandel: Immer wieder werden Lagerhäuser zwangsgeräumt und informelle Straßenmärkte aufgelöst. "Die Regierung will uns unsere Arbeit verbieten. Die Leute sollen nur noch in den großen Kaufhäusern und Einkaufszentren einkaufen. Aber wovon sollen wir leben?", fragt Custódia dos Santos.
Nichtregierungsorganisationen unter Druck
Zusätzlichen Auftrieb bekamen die Proteste der Taxifahrer und Straßenverkäuferinnen durch hunderte Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, die ebenfalls zur Teilnahme an den Protesten aufriefen: Für deren Unruhe sorgt vor allem ein Gesetzentwurf, der vorsieht, dass Nichtregierungsorganisationen und Vereine künftig stärker reglementiert werden sollen. Dafür solle extra eine neue staatliche Aufsichtsbehörde geschaffen werden. Mehrere angolanische NGOs starteten diese Woche eine landesweite Kampagne gegen das vorgeschlagene Gesetz und warnten, dass das Ziel der Regierung vor allem darin bestehe, "Organisationen zu kontrollieren". Das sei verfassungswidrig.
"Wenn dieses Gesetz durchgesetzt wird, werden wir es schwer haben, unsere Arbeit fortzusetzen", sagt Guilherme Neves, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation "Mãos Livres", die sich seit Langem um die Betreuung von verfolgten Aktivisten und Journalisten kümmert. Das neue, von der Regierungspartei MPLA eingebachte Gesetz sei eine Art "Freibrief, um nicht regierungskonforme NGOs auszulöschen".
Angolas Präsident João Lourenço hatte seit Amtsantritt 2017 eine Reihe von Reformen eingeleitet, um die Korruption nach fast vier Jahrzehnten unter Vorgänger dos Santos zu beenden. Heute beklagen Vereine und Menschenrechtler, die Regierung werde zunehmend autoritärer und wolle alles kontrollieren.
"Die Proteste vom vergangenen Wochenende waren nur der Anfang unserer landesweiten Widerstandsbewegung", sagt der Aktivist Dito Dali. "Sie werden sich daran gewöhnen müssen, dass wir nicht mehr still bleiben. Die Erhöhung der Benzinpreise war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat."
Mitarbeit: Borelho Ndomba (Luanda)