Merkel kritisiert Schließung der Balkanroute
5. Oktober 2016Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Kritik an der Schließung der Balkanroute erneuert. Der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte Merkel: "Wenn Sie mich also fragen, ob die Schließung der Balkanroute das Problem gelöst hat, sage ich klar Nein. Sie hat in den Wochen, bevor das EU-Türkei-Abkommen in Kraft trat, zwar dazu geführt, dass weniger Flüchtlinge in Deutschland ankamen - aber dafür 45.000 in Griechenland." Umgerechnet auf die deutsche Einwohnerzahl wären das 360.000 gewesen, "also fast doppelt so viele wie wir im schwierigsten Monat November hatten", rechnete Merkel vor. Daran zeige sich, dass nur das EU-Türkei-Abkommen eine nachhaltige Lösung bringe, sagte die Kanzlerin.
Auch Deutschland wollte keine Verteilungsquote
Merkel trat zugleich dem Eindruck entgegen, sie habe einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik vollzogen. Zwar habe sie seit dem September 2015 eine Reihe von Maßnahmen in Gang gesetzt, in der Grundhaltung aber sei ihre Politik konstant geblieben. Ihre Aussage, es seien Fehler gemacht worden, habe sie auf "das ganze System der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik" bezogen.
Für die Unzulänglichkeiten der sogenannten Dublin-Regelung sei Deutschland mit verantwortlich: "Denn wir haben uns vor Jahren dagegen gewehrt, dass der Schutz der Außengrenzen europäisiert wurde. Und wir haben damals auch die Verteilungsquoten nicht gewollt, die wir uns heute für alle Mitgliedsstaaten wünschen."
Abschottung löst die Flüchtlingsfrage nicht
Ihr Amtseid beziehe sich auf das Wohl Deutschlands, dieses sei aber heute "allein mit der Konzentration auf Deutschland selbst dauerhaft nicht zu erreichen", fügte die CDU-Vorsitzende hinzu. "Wenn ich als deutsche Bundeskanzlerin dafür sorgen will, dass es uns Deutschen gut geht, dass die Europäische Union zusammenhält, muss ich mich auch darum kümmern, dass es in Europas Nachbarschaft so zugeht, dass Menschen dort Heimat auch als Heimat empfinden können."
Als "strategisch hochwichtige Frage" bezeichnet Merkel einen neuen Umgang mit Afrika und kündigte ein verstärktes Engagement Deutschlands an. Die Kanzlerin beginnt diesen Sonntag eine dreitägige Afrika-Reise. Sie sei überzeugt, "dass unsere Sicherheit, unser Leben in Frieden und unsere nachhaltige Entwicklung mit der Lebenssituation von Menschen, die weit weg von uns wohnen, zusammenhängen". Und fügte hinzu: "Ich glaube nicht daran, dass wir dieses Problem durch maximales Ignorieren, durch Distanz und Abschottung wieder verschwinden lassen können. Ich bin Realistin, und das ist eine Realität."
GfbV: Keine Zusammenarbeit mit Gewaltherrschaft
Anlässlich von Merkels Afrika-Reise kritisierte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Flüchtlingspolitik Deutschlands und der Europäischen Union. "Fluchtursachen könnten nicht in Zusammenarbeit mit Gewaltherrschern beseitigt werden, die ihre eigene Bevölkerung verfolgen und terrorisieren und so zur Flucht zwingen", sagte GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius. Merkel müsse bei ihrer Reise deutliche Worte finden. Nur Engagement gegen Unterdrückung und Vertreibung sei langfristig ein wirksames Mittel, um Fluchtursachen erfolgreich zu bekämpfen.
cw/sc (dpa, kna)