Angela Merkel: Die Dieselkanzlerin
28. Mai 2018Es ist soweit.Vom 31. Mai an werden in Hamburg wegen zu schlechter Luft zwei Straßenabschnitte im Stadtteil Altona-Nord für ältere Dieselautos und Lastwagen, die nicht die Abgasnorm Euro 6 erfüllen, gesperrt. Weitere Städte könnten dem Beispiel folgen. Gedeckt durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Diesel-Fahrverbote für rechtmäßig erklärt und damit entschieden hat, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Luftqualität Vorrang vor freier Fahrt haben.
Dieser Meinung ist auch die EU-Kommission. Sie hat sechs Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland, wegen zu schmutziger Luft in vielen Städten vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Die Kommission beruft sich auf die EU-Grenzwerte für Stickoxide, die seit 2010 für alle EU-Staaten verbindlich gelten. Acht Jahre später ist Deutschland immer noch weit davon entfernt, diese Werte einzuhalten. In rund 70 deutschen Städten sind die Stickoxidwerte zu hoch. Auch, weil die Bundesregierung kaum etwas dafür getan hat, die EU-Vorgaben rechtzeitig umzusetzen.
Politisches Versagen auf ganzer Linie
Nach wie vor sind elektrisch angetriebene Autos Exoten auf deutschen Straßen. Für potenzielle Käufer sind sie wenig attraktiv. Es fehlt an Ladeinfrastruktur und Strom ist in Deutschland so teuer, dass sich ein Umstieg kaum lohnt. Die Bundesregierung beließ es zu lange bei fruchtlosen politischen Appellen, anstatt den Durchbruch der Elektromobilität finanziell nachhaltig zu fördern. Kaufprämien und Steuererleichterungen kamen zu spät und reichen nicht aus, um die Nachteile auszugleichen.
Den wachsenden Verkehr einzudämmen, das traute sich im Autoland Deutschland aber auch niemand. Warum auch? Hatte die Autoindustrie nicht zugesagt, dass Klimaschutz, Luftqualität und freie Fahrt für freie Bürger auch so unter einen Hut zu bringen seien?
Jahrelang verließ sich die Politik blind auf die Versprechen der Autobosse. Dieselfahrzeuge galten als klimafreundlich, weil sie durch ihren geringeren Spritverbrauch die CO2-Bilanz verbessern sollten. Die Industrie versprach zudem "saubere" Motoren, die weniger schädliche Stickoxide ausstoßen würden. Doch das war eine glatte Lüge. Tatsächlich funktionierte die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand ordnungsgemäß, nicht aber auf der Straße.
Immer noch fliegen Betrüger auf
Gut zwei Jahre nach dem in den USA aufgeflogenen "Diesel-Gate" sind inzwischen alle deutschen Hersteller betroffen. Erst im März rief der Autobauer BMW seine 5er- und 7er-Dieselmodelle zurück. Anfang Mai folgte Audi, dann musste Porsche eingestehen, illegale Abschalteinrichtungen in der Abgasreinigung verbaut zu haben. Das muss sich nun auch Daimler vom Kraftfahrtbundesamt vorwerfen lassen.
Daimler widerspricht zwar, aber wer will dem noch glauben? "Es ist natürlich nicht nur zu kritisieren, sondern eigentlich auch unfassbar, sage ich mal, welches Vertrauen die deutsche Automobilindustrie im Zusammenhang mit dem Dieselskandal verspielt hat", sagte die Kanzlerin kürzlich im Bundestag. Man kann davon ausgehen, dass sie den Autobauern inzwischen ebenfalls skeptisch begegnet. Politische Konsequenzen haben die Autobosse von Seiten der Kanzlerin allerdings nicht zu befürchten.
Die Autokanzlerin
Angela Merkel reagiert wie jemand, deren Schutzbefohlene etwas verbockt haben. Sie schimpft zwar, wechselt aber nicht die Seite. "Es kann nicht in unserem Interesse sein, dass wir durch politische Maßnahmen die Automobilindustrie so schwächen, dass sie keine Kraft mehr für die eigentlichen Zukunftsinvestitionen hat", stellt die Kanzlerin in derselben Rede klar.
Die Automobilindustrie sichert rund 800.000 Jobs in Deutschland und steht für knapp ein Fünftel des gesamten Exports. Die Städte und Landkreise, in denen die Automobilbauer produzieren, sind die wohlhabendsten im ganzen Land. Das soll so bleiben. Das Nachsehen haben die Bürger, die unter der schlechten Luft leiden und die Verbraucher, die im guten Glauben Dieselfahrzeuge gekauft haben und sie nun nicht mehr überall fahren dürfen. Auch der Steuerzahler dürfte bluten - wenn die Klage der EU-Kommission Erfolg haben sollte und Deutschland Strafzahlungen leisten muss.
Es wird teuer, aber nicht für die Autobauer
Ältere Diesel-Fahrzeuge technisch so nachzurüsten, dass sie die Grenzwerte einhalten, das hält Merkel für unsinnig. "Tausende von Euro - egal ob es 2000, 3000 oder 5000 sind - und zwei bis drei Jahre Beschäftigung zahlreicher Ingenieure mit der Frage, wie man die Typenzulassung kriegt, weil man an dem Motor etwas geändert hat: Ist das die richtige Beschäftigung für die Automobilindustrie?", fragte sie im Bundestag und ließ keinen Zweifel daran, welcher Meinung sie ist.
Das enge Verhältnis zwischen Kanzler und Automobilindustrie ist allerdings nichts Neues. Schon Gerhard Schröder, der als niedersächsischer Ministerpräsident im Aufsichtsrat von Volkswagen saß, bevor er 1998 Bundeskanzler wurde, trug den Beinamen "Autokanzler". Einen Titel, den Angela Merkel, die 2005 auf Schröder folgte, nahtlos übernahm.
Fahrverbote wollte Merkel nie. Wenn sie jetzt kommen, dann gegen ihren Willen. Sie wird also kaum die politische Verantwortung dafür übernehmen. Für Millionen Bürger ist das ein Schlag ins Gesicht. In den Jahren 2011 bis 2015 waren sechs von zehn in Deutschland verkauften Audi, BMW, Mercedes oder VW Dieselfahrzeuge. Heute sind für dreiviertel der Stickoxid-Emissionen Diesel-PKW verantwortlich.
Gegenwind aus der SPD
Im Gegensatz zu CDU und CSU plädiert die SPD dafür, die Autobauer zur Hardware-Nachrüstung zu verpflichten. Das Problem ist allerdings, dass das juristisch nicht möglich ist. Bundesumweltministerin Svenja Schulze meint, die Auto-Hersteller seien aber in einer "moralischen Verantwortung" dem Verbraucher gegenüber. "Mir geht es nicht darum, sofort flächendeckend in Deutschland alle Diesel nachzurüsten", sagte Schulze der Tageszeitung "Die Welt". "Ich plädiere für einen Stufenplan und dafür, zunächst gezielt Fahrzeuge dort nachzurüsten, wo die Luft besonders schlecht ist. Also dort, wo Fahrverbote drohen." Die Gesamtkosten für solche Nachrüstungen lägen "dann eher im niedrigen einstelligen Milliardenbereich". Es müssten jetzt schnell Fortschritte gemacht werden. Die Brüsseler Klage wegen zu schmutziger Luft zeige, dass der EU-Kommission die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichten.
Doch die Kanzlerin, ihr Bundesverkehrsminister von der CSU und die Automobilindustrie setzen weiter auf den Faktor Zeit. "Allein die natürliche Bestandserneuerung durch moderne und saubere Dieselfahrzeuge wird in den kommenden Jahren zu einer erheblichen Steigerung der Luftqualität führen", heißt es von Seiten des Verbands der deutschen Automobilindustrie VDA.
Sofortprogramm zur Luftreinhaltung
"Wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg", meint die Kanzlerin und verweist zusammen mit ihrem Verkehrsminister auf das Sofortprogramm zur Luftreinhaltung, mit der die Politik die Vorwürfe der EU-Kommission parieren will. Die Regierung habe "in beispielloser Weise" Förderprogramme aufgelegt, um den Kommunen zu helfen, betont Merkel.
Deswegen will die Kanzlerin jetzt nach vorne blicken. "Müssten wir nicht alle Kräfte zusammennehmen und der Automobilindustrie sagen: Ihr müsst jetzt in die Mobilität der Zukunft investieren, ins autonome Fahren, in alternative Antriebe und dabei unterstützen wir euch?", fragt die Kanzlerin. Hardware-Nachrüstung für alte Diesel, das war gestern.
Das juristische Nachspiel der Diesel-Affäre dürfte Angela Merkel weniger interessieren. Denn davon sind nur einzelne Manager betroffen und nicht die so wichtige Automobilindustrie. Die Staatsanwaltschaften in Deutschland ermitteln derzeit gegen rund 50 Beschuldigte wegen Betrugsverdachts zu Lasten deutscher Verbraucher. Eine Anklage gibt es bislang aber nicht.