Der Pastor, der zwischen die Fronten geriet
14. August 2018Es ist eine kleine Gemeinde, nur wenige Dutzend Mitglieder treffen sich regelmäßig in einem unscheinbaren Raum in einem Mietshaus in der Küstenstadt Izmir im Westen der Türkei. In ihrer Mitte: der amerikanische Pastor Andrew Brunson. Er spielt Gitarre, singt, betet mit ihnen. So zeigen ihn die Bilder auf der Webseite der Gemeinde.
So sah es in der Izmir Dirilis-Auferstehungskirche aus, bevor Brunson verhaftet wurde. Bevor sich politische Drohgebärden an seiner Person entzündeten. Bevor sich die NATO-Partner USA und Türkei in eine ausgewachsene Krise stürzten - mit ihm als Auslöser.
Aus dem "Bible Belt" in die Türkei
Solch eine Entwicklung hat sich der heute 50-jährige Brunson wohl nicht vorstellen können, als er 1993 mit seiner Frau Norine in die Türkei kam. Aus dem kleinen Ort Black Mountain in North Carolina - mitten in der Gegend des sogenannten "Bible Belt", wo vor allem der christliche Glaube integraler Bestandteil der Kultur ist und die Menschen gerne republikanisch wählen - siedelten sie über in die Türkei. Das Ehepaar ist Mitglied der Evangelikalen Presbyterianischen Kirche (EPC), einer kleinen Gruppe, die sich in der Mitte des presbyterianischen liberal-konservativen Spektrums einordnet. Das offizielle Motto der reformierten Kirche lautet: "Im Wesentlichen: Einheit. Im Nicht-Wesentlichen: Freiheit. In allen Dingen: Nächstenliebe".
So wie andere evangelikale Gläubige hatte sich auch Brunson der Mission verschrieben. Dieser Aufgabe wollte er sich in der Türkei stellen - immerhin ein Land, in dem 99 Prozent der Menschen muslimischen Glaubens sind. Die Missionierung ist in der Türkei zwar seit 2003 nicht mehr verboten, gern gesehen ist sie aber auch nicht. 2007 wurden ein deutscher Missionar und zwei türkische Konvertiten ermordet. Brunson ließ sich aber von seiner Arbeit nicht abbringen, 2010 gründete er sogar die Auferstehungskirche in Izmir.
Statt neues Visum: Gefängnis
Sechs Jahre später änderte sich alles. Eigentlich wollte er nur sein Visum verlängern, doch bei einem vermeintlichen Routine-Termin am 7. Oktober 2016 wird er verhaftet - keine drei Monate nach dem gescheiterten Putschversuch, in dessen Folge Tausende Mitarbeiter des öffentlichen Diensts, der Justiz, der Polizei und des Militärs verhaftet, entlassen oder suspendiert wurden. Auch Brunsons Frau wird einige Tage festgehalten, darf das Gefängnis aber wieder verlassen. Nach 63 Tagen steht die Anklage fest: Brunson soll Mitglied einer bewaffneten Terrororganisation sein. Außerdem soll er spioniert haben, an der Putschplanung beteiligt gewesen sein und die kurdische PKK unterstützt haben.
Vorwürfe, die US-Politiker und internationale Beobachter für weit hergeholt halten. Zwar ist Brunson, wie er selbst sagt, hin und wieder in die kurdischen Gebiete im Südosten der Türkei gereist. Allerdings habe er dort Flüchtlinge aus Syrien betreut. Es gebe entsprechend keine Beweise, dass er Verschwörungen gegen die türkische Regierung angezettelt hat, da sind sich Experten einig. Auch Brunson beteuert immer wieder seine Unschuld. Ebenso betont er, Politik stets von seiner Kirche hatte fernhalten zu wollen.
Offenbar aus gutem Grund, denn es dauert nicht lange, bis sich eine diplomatische Krise an seiner Person entfacht.
Als die US-Regierung 2017 die Freilassung Brunsons fordert, reagiert Erdogan mit einem Angebot. Er hat den US-amerikanischen Pastor als mögliches Austauschobjekt im Blick - und zwar gegen den muslimischen Prediger Fethullah Gülen, der schon seit den 1990er Jahren im Exil in den USA lebt. Erdogan macht Gülen für den Putschversuch 2016 verantwortlich und will ihn unbedingt zurück in der Türkei sehen. "Gebt uns den zurück, dann geben wir euch ihn zurück", sagte Erdogan im vergangenen Jahr über die beiden Geistlichen in Richtung USA.
Religöse Wähler wichtig für Trump
Das Angebot ignorierten Trump und seine Regierung bisher, das Säbelrasseln zwischen der Türkei und den Vereinigten Staaten ging aber weiter - immerhin sind die Wähler in den religiös geprägten Bundesstaaten für die Republikaner bei den Kongresswahlen im Herbst enorm wichtig. Sie sollen sehen, dass sich ihre republikanische Regierung für den Pastor einsetzt. Für Vizepräsident Mike Pence hat der Fall auch eine persönliche Dimension: Er ist selbst gläubiger Evangelikale und vertritt einen durchaus konservativen Glauben. Er will unbedingt, dass Brunson freikommt.
Trotz dieser politischen und religiösen Motivation: Für den eingesperrten Pastor verbesserte sich die Lage indes kaum - im Gegenteil. Seine körperliche Verfassung verschlechterte sich, laut seiner Tochter hat er in der Haft 25 Kilogramm abgenommen. Auch in einem Brief, den seine Gemeinde im Juli veröffentlichte, schrieb er, dass er sich "schwach" fühle.
Ende Juli durfte Brunson das Gefängnis zumindest vorerst verlassen, aber erst einmal nur bis zum 12. Oktober. Dann findet seine nächste Anhörung statt. In der Zwischenzeit sitzt er im Hausarrest - und kann von dort beobachten, wie Gläubige auf der ganzen Welt für ihn beten. Wann er persönlich wieder mit seiner Gemeinde zusammen sein kann, weiß jedoch keiner.