András Schiff wird 60!
16. Dezember 2013
Er sei kein "moderner Mensch", hat András Schiff vor kurzem verraten, Technik mache ihm Angst und Autofahren könne er auch nicht. Er fühle sich der Tradition verpflichtet und liebe es, "die großen Meisterwerke der Vergangenheit lebendig zu machen". So stehen bei dem aus Ungarn stammenden Pianisten vor allem Komponisten wie Bach, Haydn, Mozart und Schubert im Mittelpunkt.
Um Beethoven hat er lange Zeit einen großen Bogen gemacht: "Angesichts einer durch Pianisten wie Schnabel, Kempff und Arrau geprägten Beethoven-Tradition fällt es natürlich schwer, sich eine eigene Sichtweise zu erarbeiten", erzählt er: "Man kann dieses Erbe nicht ignorieren. Aber um jeden Preis etwas anderes machen zu wollen, wäre töricht. Ein Bach-, Mozart- oder Schubert-Spieler ist man gewissermaßen von Geburt an - Beethoven dagegen muss man lernen. Die 32 Sonaten waren für mich immer wie ein Anzug, in den ich noch hineinwachsen musste."
Bach ist seelische Säuberung
Ein Anzug, der mittlerweile wie angegossen passt! András Schiff wurde am 21. Dezember 1953 in Budapest geboren und begann schon als 14-Jähriger seine Studien bei György Kurtág an der Franz-Liszt-Musikakademie in seiner Heimatstadt und anschließend bei dem Cembalisten George Malcolm in London. Durch ihn lernte er vor allem die Musik Johann Sebastian Bachs kennen und lieben - eine Liebe, die ihn nicht mehr losgelassen hat.
Bach sei für ihn, sagt er, das "Alpha und Omega der Musik" und bestimme seinen Lebensrhythmus: "Jeder Tag beginnt mit einer Stunde Bach. Das ist ein Ritual. Präludien und Fugen, Suiten, egal was. Bachs Musik ist komplett, da ist alles. Bach ist wie eine seelische Säuberung."
Und ganz besonders gilt dies für die Goldberg-Variationen, das erklärte Lieblingsstück von András Schiff: "Als ich an der Franz-Liszt-Akademie in Budapest studiert habe, machten russische Piraten-Pressungen von Glenn Goulds berühmter erster Aufnahme die Runde. Wir waren damals alle begeistert. Bei mir war es wirklich Liebe beim ersten Hören. Es ist sicher eines der schwersten Stücke. Das muss ich wissen, aber nicht die Zuhörer! Die Musik darf nicht schwitzen, und der Hörer soll es erst recht nicht. Es heißt schließlich: Klavier spielen. Mir fehlt in Klassik-Konzerten oft das Spielerische."
Politik und Kunst sind nicht trennbar
András Schiff fühlt sich zwar der Tradition verpflichtet, aber er lebt im Hier und Jetzt. Und er ist nicht nur Künstler, sondern auch ein politisch wacher Mensch. Politik und Kunst sind für ihn nicht trennbar. "Ein Künstler, sagt er, "ist als sensibler Mensch ein Teil der Gesellschaft. Wer, wenn nicht ein Künstler, sollte auf die Ungerechtigkeiten der Welt reagieren?" Und András Schiff reagiert mit deutlichen Worten, prangert politische Missstände an:
Als Ungarn 2011 die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, fragte Schiff in der Washington Post, ob das Land für den Vorsitz der EU geeignet sei: "Ich spüre in meiner ungarischen Heimat einen zunehmenden Mangel an Toleranz: Ich rede von Rassismus und rassistischen Tendenzen, gegen Juden, noch schlimmer, gegen Sinti und Roma", schrieb Schiff. Seitdem wird der Pianist in seiner Heimat als "Nestbeschmutzer" angefeindet: Man werde ihm die Hände abhacken, wurde da gedroht. In seine Heimat reisen möchte András Schiff seitdem nicht mehr, er sei doch kein Held, sagt er. Seinen geliebten Béla Bartók aber wird er weiterhin spielen.
Der doppelte Diabelli
Als András Schiff 2008, nach seiner Gesamtaufnahme der Beethoven-Sonaten, gefragt wurde, ob für ihn überhaupt noch eine Steigerung denkbar wäre, soll er lächelnd gesagt haben: "Mein Traum sind die Diabelli Variationen, Beethovens letztes großes Klavierwerk". Den Traum hat er sich nun erfüllt - und sich und seinen Fans damit das schönste Geschenk zum 60. Geburtstag gemacht.
Denn auf seiner Neuaufnahme spielt er das gigantische Werk gleich im Doppelpack: Auf einem Bechstein-Flügel von 1921 und auf einem Brodmann-Hammerflügel aus der Beethoven-Zeit – ein atemberaubendes Klangexperiment, das vor ihm noch niemand gewagt hat: "Ich suche nicht nach einem 'Schiff-Klang', sondern nach einem Klang für den Komponisten oder für das Werk, das ich spiele. Deshalb suche ich immer ein Instrument aus, das meiner Meinung nach zu einem Komponisten oder einem Werk passt."