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Antisemitische Vorurteile

Das Interview führte Cornelia Rabitz9. November 2008

Vertreter des Zentralrats der Juden sind häufig dann gefragt, wenn es um Antisemitismus und um Rechtsextremismus geht. Charlotte Knobloch erläutert im DW-WORLD-Interview die Herausforderungen, die damit verbunden sind.

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Charlotte Knobloch (AP Photo/Bernd Kammerer)
Charlotte KnoblochBild: AP

DW-WORLD.DE: Frau Knobloch, zum 70. Mal jährt sich in diesem Jahr die Reichspogromnacht vom 9. November 1938, im Volksmund heißt sie ja Reichskristallnacht. Sie waren zur jener Zeit ein Kind. Welche persönlichen Erinnerungen haben sie an diesen Tag?

Charlotte Knobloch: An diesem Tag bin ich an der Hand meines Vaters durch München gelaufen. Wir wurden gewarnt, dass etwas gegen die Juden im Gange ist und man sollte sich nicht zu Hause aufhalten, sondern auf der Straße. Wir sind also von unserer Wohnung aus in Richtung des Büros meines Vaters gegangen, der Anwalt in München war. Er hat dann von einer Telefonzelle aus sein eigenes Büro angerufen und sich als Mandant ausgegeben. Dort sagte eine Männerstimme: Er ist noch nicht da, wir warten auch auf ihn. Dann wusste er bereits, was los war.

Auf dem Weg in die schon abgesperrte Herzog-Rudolf-Straße habe ich - und das ist mir immer noch im Gedächtnis geblieben - die rauchende Synagoge gesehen. Mein Vater wollte zu seinem guten Freund, der für mich Onkel Rothschild war. Als wir bei ihm eintrafen, stand der berühmte Wagen schon vor der Tür, den wir ja alle kannten. Onkel Rothschild kam mit zwei Leuten aus dem Haus heraus und hatte sogar eine Binde um den Kopf. Das Blut war noch zu sehen. Während er zum Wagen geführt wurde, hat er uns nur angeschaut und sofort wieder weggeschaut. Er wollte nicht, dass wir erkannt werden. In diesen Wagen hat man ihn sehr unsanft mit den Füßen hinein gestoßen. Mein Vater hat dann von einer Telefonzelle aus einen weiteren guten Freund außerhalb Münchens angerufen und ihn gefragt, ob ich die Nacht dort verbringen könnte. Auf dem Weg dorthin mussten wir immer wieder die Hauptstraßen verlassen, wegen der Polizeikontrollen.

Was würden Sie heute sagen: Wie wichtig ist es, an den 9. November 1938 zu erinnern - wie wichtig vielleicht auch für die heute lebenden jüngeren Menschen?

Merkel erhält Leo Baeck Preis (AP Photo/Michael Sohn)
Charlotte Knobloch überreichte Angela Merkel am 6.11.2007 den "Leo-Baeck-Preis"Bild: AP

Der 9. November 1938 ist 70 Jahre her - und es ist vielleicht die letzte Möglichkeit, noch mit Zeitzeugen über den Tag zu sprechen. Hier muss sehr darauf geachtet werden, dass nicht nur zum 70., sondern auch die Jahre darauf junge Menschen die Verantwortung für das Erinnern und Gedenken an diesen Tag übernehmen.

Sie sind seit gut zwei Jahren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, damit oberste Repräsentantin von ungefähr 110.000 Jüdinnen und Juden. Was macht für Sie heute den Reiz, aber vielleicht auch die Bürde dieses Amtes aus?

Es ist weder Reiz noch Bürde. Ich freue mich, miterleben zu können - auf Grund meiner Biographie -, dass jüdisches Leben wieder entstanden ist, dass sich jüdisches Leben täglich weiter bewegt.

Dieses Miteinander wird seit einigen Jahren in den jüdischen Gemeinden durch eine starke Zuwanderung von Menschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion geprägt. Das ist ein Zuwachs für die Gemeinden, aber sicherlich auch eine Herausforderung. Ist diese Herausforderung Ihrer Ansicht nach gemeistert?

Diese Herausforderung muss weiter intensiviert werden. Jetzt haben wir es mit Zuwanderern zu tun, die auf Grund ihres Jüdischseins in der ehemaligen Sowjetunion einem starken Antisemitismus ausgesetzt waren. Aber die Zuwanderer hatten vom Judentum als solches natürlich keine Ahnung - weil die Religion verboten war - und jetzt werden sie in die Gemeinden, in das jüdische Leben, in die jüdische Religion eingeführt. Aber sie müssen natürlich auch in das öffentliche Leben, in das Land, in die Gebräuche, in die Werte dieses Landes eingeführt werden. Wenn wir diese Zuwanderung nicht gehabt hätten, dann hätten wir heute auch nicht die Freude an den neuen Gebäuden, die wöchentlich, monatlich in ganz Deutschland entstehen. Und die das jüdische Leben wieder so schön machen.

Sie warnen vor einem latenten, einem schlecht kaschierten oder aber sogar einem offenen Antisemitismus in Deutschland. Woran stellen Sie fest, dass die Feindschaft gegenüber Juden noch nicht überwunden ist?

Klischees und Vorurteile höre ich immer wieder. Manchmal direkt, manchmal auch in einer anderen Form. Darunter ist auch das Thema Israel. In dem Moment, wo Israelis oder die israelische Regierung mit Nazis, mit Hitler verglichen werden, handelt es sich für mich schon um eine antisemitische Aussage. Wobei ich immer wieder sage: Selbstverständlich kann man Kritik an dem Land und an der Regierung üben. Eine konstruktive sachliche Kritik ist immer gut, weil sie manchmal auch helfen kann. Aber latenter Antisemitismus mit Vorurteilen und Klischees ist schon vorhanden. Und wenn ich von jungen Menschen gefragt werde, ob Juden überhaupt Steuern zahlen müssen, dann weiß ich genau, woran ich bin.

Wie sieht der Zentralrat den Wunsch der Muslime in Deutschland, auf angemessene religiöse Repräsentation, auch sichtbar werdend in Form von Gebäuden, von großen Moscheen?

Computerbild des Neubaus der Moschee in Köln (Foto: Oliver Berg dpa/lnw)
Der Entwurf zum geplanten Neubau der umstrittenen Moschee in KölnBild: picture-alliance/dpa

Ich bin immer dafür, dass dort, wo Menschen beten wollen, ihnen die Gelegenheit gegeben werden soll, wenn die Möglichkeiten vorhanden sind. Aber man sollte auch darauf achten, dass das Umfeld, in dem Gebetsräume entstehen - gleich welcher Art, gleich welcher Religion - damit einverstanden ist. Sonst habe ich große Bedenken, dass eine gewisse Fremdenfeindlichkeit entsteht.

Wenn Sie so durch das Land reisen - Sie nehmen ja sehr viele Termine wahr in der ganzen Bundesrepublik -, auf welche Menschen treffen Sie? Können Sie sich vorstellen, in welcher Ecke der Gesellschaft Vorurteile gegenüber Juden immer noch wachsen oder vorhanden sind?

Heutzutage hat man schon das Gefühl, dass sogar in der Mitte der Gesellschaft ein gewisser Antisemitismus ganz intensiv vorhanden ist und der mir persönlich schon zu denken gibt. Und man hört es auch immer wieder. Ich versuche immer wieder dort Fuß zu fassen, um offene Dialoge, um Gespräche führen zu können, die vielleicht den einen oder anderen von seinen Vorurteilen befreien können.

Sind Sie eine regelmäßige Synagoge-Besucherin? Welche Rolle spielt für Sie persönlich die Religion in Ihrem Leben?

Ich bin in einer sehr traditionellen Familie aufgewachsen. Ich habe dann meinen Mann kennen gelernt, der aus Polen kam und eine wirklich sehr angenehme, sehr warme Orthodoxie mitbrachte. Und das praktiziere ich weiter, wenn es geht und wenn ich die Möglichkeit sehe. In meiner Position ist es auch wichtig, dass man eine gewisse Richtung vorgibt, denn man wird in der Hinsicht auch beobachtet. Aber ich bin nicht in irgendeiner Form fundamentalistisch.