Demokratie wollen die Deutschen schon, aber …
25. April 2019Es ist weniger der harte Rechtsextremismus als einzelne rechtspopulistische Haltungen, vor denen die Autoren der aktuellen "Mitte-Studie" warnen. Demnach liegt der Anteil deutscher Staatsbürger mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild seit einigen Jahren recht konstant um zweieinhalb Prozent. Die Ablehnung oder Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen hingegen, der Glaube an Verschwörungstheorien oder auch die latente Befürwortung autokratischer Regierungsformen seien keineswegs Randerscheinungen, betont Franziska Schröter von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES): "Einzelne rechtsextreme Haltungen und rechtspopulistische Einstellungen haben einen festen Platz in der deutschen Gesellschaft."
Seit 2006 befragt die FES, die Parteistiftung der deutschen Sozialdemokraten (SPD), die deutsche Bevölkerung nach rechten Gesinnungen. Seit 2014 verknüpft sie ihre Befunde mit denen der Langzeitstudie "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) - die Forscher der Universität Bielefeld erheben ihre Daten seit 2002. Etwa alle zwei Jahre erscheinen die Ergebnisse in der "Mitte-Studie".
Rechtspopulismus - kein neues Phänomen
Für die aktuelle Version, heißt es in der Präsentation, befragten die Forscher zwischen September 2018 und Februar 2019 per Telefon 1890 repräsentativ ausgewählte Deutsche zwischen 18 und 97 Jahren. Der Fragenkatalog folgt in den meisten Punkten einem seit 2002 etablierten Muster.
Dadurch sei eine Entwicklung erkennbar, die zeige, dass die Verbreitung der Rechtspopulismus - entgegen der verbreiteten Wahrnehmung - keineswegs ein neues Phänomen in Deutschland ist. Teilweise deutet der Studienbefund sogar auf das Gegenteil hin: Damals bestätigte jeder achte Befragte allgemein rassistische Einstellungen, 2018/19 war es nun noch einer von 14. Auch die Muslimfeindlichkeit war 2006 mit über 30 Prozent deutlich verbreiteter als zuletzt mit 18,7 Prozent. Klassischer Antisemitismus und fremdenfeindliche Thesen fanden bei den Befragten während der 2000er Jahre etwa doppelt so große Zustimmung als in jüngeren Studien.
Abwertung von Asylsuchenden verfestigt sich
Den umstrittenen Begriff "Fremdenfeindlichkeit", erklärt Schröter, verwende man in Ermangelung einer besseren Alternative: "Wir wissen, dass wir Betroffenen dadurch gewissermaßen Fremdheit zuschreiben." Die Erfahrungen der Langzeitstudie zeige, sagt Schröter, dass man dadurch keine Wahrnehmung verfestige, sondern eher beschreibe. Gemeint sei die Feindseligkeit, die ein Mensch einem anderen aufgrund subjektiv empfundener Fremdheit entgegenbringt.
Deutlich gestiegen ist in den letzten Jahren im Spektrum des Rechtspopulismus eigentlich nur ein Wert: Die "Abwertung asylsuchender Menschen" stieg zum dritten Mal in Folge von 44,3 Prozent im Jahr 2014 auf nunmehr 54 Prozent. Die Befragten lehnten es ab, dass der Staat in Asylverfahren großzügig sein solle und befanden, dass die meisten Asylbewerber überhaupt keine Angst vor Verfolgung hätten. "Das hat uns insofern überrascht, als die Zahl der neuen Asylanträge seit 2016 deutlich gefallen ist", sagt die FES-Referentin.
Rechter Osten, linker Westen?
Besonders ausgeprägt sind solche Haltungen in Ostdeutschland. Damit bestätigt die "Mitte-Studie" die verbreitete Wahrnehmung, dass Ostdeutsche häufiger rechten Gesinnungen anhingen als Westdeutsche. Der Unterschied ist der Studie zufolge allerdings nicht so groß, wie das Klischee glauben macht. So kommt Rechtsextremismus - bei dem Menschen die Nazi-Verbrechen verharmlosen, sich eine rechte Diktatur wünschen und zwischen wertvollem und unwertem Leben unterscheiden - bundesweit etwa gleich häufig vor.
Rechtspopulistische Auffassungen dagegen seien in den neuen Bundesländern häufiger anzutreffen, befinden die Autoren: Während jeder zweite Westdeutschen Asylsuchende ablehnt, tun dies zwei von drei Ostdeutschen. 26 von 100 Ostdeutschen und 19 von 100 Westdeutschen werteten Muslime ab. "Vor allem aber ist das Gefühl der kollektiven Wut auf die Zuwanderung im Osten mit 52 Prozent deutlich höher als im Westen mit 44 Prozent", heißt es in der Zusammenfassung der Autoren. Auch das Vertrauen in die deutsche Demokratie sei in den neuen Bundesländern geringer als in den alten. Auch sei die Befürwortung von Autoritarismus häufiger anzutreffen.
Den Gründen dafür haben die Autoren der "Mitte-Studie", und vor allem Franziska Schröter, ein ganzes Kapitel gewidmet. 1978 in Dresden geboren und dort aufgewachsen hat sie Euphorie und Enttäuschung über die Wiedervereinigung hautnah miterlebt. Von den Verletzungen der Nachwendejahre über ein anders erlerntes Demokratieverständnis bis zur heutigen Situation in strukturschwachen Regionen gebe es eine riesige Bandbreite an Erklärungsansätzen, sagt sie.
Glaube an Verschwörungstheorien
Strukturschwache Regionen gibt es allerdings auch im Westen der Republik. Und auch da äußerten die Befragten einen beträchtlichen Mangel an Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen: Fast die Hälfte aller Befragten meint offenbar, es gebe Geheimorganisationen, die politische Entscheidungen beeinflussen. Rund ein Drittel fühlt sich nicht richtig vertreten, wertet demokratische Beschlüsse als "faule Kompromisse" und ist der Meinung "Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit." Fast ein Viertel wittert Politik und Medien "unter einer Decke".
Wenn so viele Deutsche schlecht über bestimmte Bevölkerungsgruppen sowie über zivile und politische Institutionen denken, die Politik für unterwandert und Medien für korrupt halten - wie kann es dann sein, dass gleichzeitig 86 Prozent der Befragten die Demokratie für alternativlos halten, und 93 Prozent von ihnen Würde und Gleichheit der Menschen an erste Stelle stellen? "Ein Teil der Bevölkerung wird den eigenen Werten nicht gerecht", urteilt Studien-Autor Wilhelm Berghan von der Uni Bielefeld.
Am Ende ihrer Zusammenfassung setzen die Autoren selbst mindestens ein Fragezeichen hinter den alarmierenden Titel der Studie "Verlorene Mitte - feindselige Zustände". Denn neben der "Stabilität vieler antidemokratischer Einstellungen in der Mitte" gebe es auch positive Befunde, etwa eine "starke zivilgesellschaftliche Orientierung". Neue rechte Bewegungen stellten diese zwar auf eine harte Probe. Um sie zu bestehen, seien drei Dinge ausschlaggebend: Mehr Demokratiebildung, intensivere Maßnahmen, um Vorurteilen entgegenzuwirken, und schließlich dürften menschenfeindliche sowie demokratiemissachtende Meinungen nicht länger verharmlost werden, betonen die Autoren.