Was bewirken schärfere Waffengesetze?
10. Mai 2023Der jüngste Vorfall: In einem Einkaufszentrum im Ort Allen im US-Bundesstaat Texas tötete ein 33 Jahre alter Mann am Wochenende acht Menschen, darunter auch Kinder. Das Motiv ist noch unklar, die Polizei ermittelt zu Verbindungen in die Neonazi-Szene. Nur Tage zuvor hatte ein Mann fünf Nachbarn erschossen, nachdem diese ihn gebeten hatten, mit seinen allabendlichen Schießübungen aufzuhören.
Die Meldungen zu den Massenschießereien sind nur die Spitze des Eisbergs. Laut dem Gun Violence Archive werden in den USA täglich im Schnitt 55 Menschen erschossen. In einigen Fällen steckt Mord dahinter, in anderen hat sich der Schuss unbeabsichtigt gelöst. Manchmal haben Jugendliche versehentlich an der falschen Haustür geklingelt und mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen.
Ein trauriger Trend
Für 2023 vermeldete das Gun Violence Archive mit Stand 8. Mai bereits 14.798 Menschen, die absichtlich oder unabsichtlich durch Schusswaffen getötet wurden oder sich selbst damit das Leben nahmen. Die Zahl der Massenschießereien - also Schießereien, bei denen mindestens vier Menschen verletzt oder getötet wurden - wird mit 202 beziffert.
Doch nicht nur in den USA, auch in vielen anderen Ländern kommt es zu massiver Waffengewalt. In Serbien erschütterten jüngst zwei Amokläufe die Bevölkerung, in Deutschland entzündete sich nach der Amoktat in Hamburg wieder eine Debatte über eine Verschärfung des Waffengesetzes.
Was würde eine Verschärfung der Waffengesetze bringen?
Nach dem Schusswaffenangriff im texanischen Einkaufszentrum hat auch US-Präsident Joe Biden wieder mal schärfere Waffengesetze und Verbote für bestimmte Waffentypen gefordert. Darunter könnte auch das halbautomatische Gewehr AR-15 fallen, das bei vielen Amokläufen der vergangenen Jahre verwendet wurde. Bei Gewehren dieses Typs lädt das Magazin mit jedem Schuss automatisch nach, bis das Patronenmagazin leer ist, der Abzug muss jedoch - anders als bei Sturmgewehren - jedes Mal aufs Neue betätigt werden. Bislang scheiterte Biden jedoch an dem Widerstand der oppositionellen Republikaner.
Die Täter verwendeten eine Variante des halbautomatischen Gewehrs AR-15. Halbautomatisch heißt, dass sich die Waffe mit jedem Schuss automatisch lädt, bis das Patronenmagazin leer ist. Für jeden Schuss muss der Schütze den Abzug aufs Neue betätigen im Unterschied zum vollautomatischen Gewehr, bei dem mit einmaligem Durchzug des Abzugs unaufhörlich geschossen wird.
Ob eine Verschärfung überhaupt den gewünschten Effekt hat, ist laut Wissenschaftlern jedoch nicht so klar, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Experten sehen zwar eine Korrelation zwischen der Härte der Gesetzgebung und der Anzahl der mass shootings in den jeweiligen US-Bundesstaaten. Doch welche Regelungen wirklich effektiv sind, wird noch untersucht. Das ist Teil einer Forschung, die erst unter Biden Aufschwung bekommen hat und als massiv unterfinanziert gilt.
Forscher vom Thinktank Rand Corporation haben sich mit den Auswirkungen unterschiedlicher Maßnahmen beschäftigt und vorliegende Studien ausgewertet.
Demnach habe nur ein einziges Gesetz eine messbare Wirkung auf die Häufigkeit von Amokläufen - und zwar das Verbot von Magazinen mit hoher Kapazität, also Magazinen mit mehr als 20 Schuss bei Kurzwaffen wie Pistolen oder mehr als zehn Schuss bei Langwaffen wie zum Beispiel Flinten. Auch die AR15 dürfte darunter fallen.
Andere Maßnahmen wie etwa die Einführung eines Mindestalters für den Halter, Verbote für gewalttätige Personen oder ein genereller Background-Check für Waffenbesitzer wurde mit "inconclusive", also nicht schlüssig bewertet. Das heißt nicht, dass sie keine Wirkung hatten. Aber sie ließe sich aufgrund der dünnen Datenlage wissenschaftlich nicht beweisen, so die Forscher.
Hinzu kommt: All die Gesetze und Regularien müssten jeweils auf ihre Einhaltung überprüft werden - das mahnen auch die Kritiker einer Gesetzesverschärfung in Deutschland an. Und das sei schwierig und aufwändig.
Auch eine Lizenz könnte helfen
Andere Experten sprechen dagegen von eindeutigen Zusammenhängen zwischen Gesetzgebung und Waffengewalt. Das Johns Hopkins Center for Gun Violence Solutions in Baltimore, Maryland, hat Daten aus 30 Jahren aus verschiedenen US-Bundesstaaten mit unterschiedlicher Gesetzgebung zusammengetragen. "Ich muss zugeben, dass das eine sehr schwierige und auch ehrlich gesagt nicht exakte Wissenschaft ist", sagte Daniel Webster vom Johns Hopkins Center dem US-amerikanischen Rundfunksender NPR.
Laut dem Datenvergleich seien zwei Maßnahmen hilfreich: Erstens die Vergabe einer Lizenz, also eines Art Waffenscheins. Zweitens das bereits benannte Verbot von Magazinen mit hoher Kapazität sowie halbautomatische Waffen, die schnell feuern und somit zu mehr Todesopfern führen.
Andere Experten sind überzeugt, dass alleine die einfache Verfügbarkeit und die große Menge an Waffen im Land eine Rolle spiele. "Die überwältigende Verfügbarkeit von Schusswaffen in den Vereinigten Staaten im Vergleich zu anderen Ländern - das ist die einzige glaubwürdige Erklärung", sagt Politikwissenschaftler und Kriminologe Daniel Nagin von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania.
Wie viele Waffen in den USA existieren, kann nicht bestimmt werden, da es keine verbindliche Registrierung gibt. Schätzungen aufgrund von Umfragen oder Verkaufsdaten zeichnen jedoch ein düsteres Bild. Laut dem Statista Research Department gaben im Jahr 2022 rund 45 Prozent der befragten US-Bürger an, dass es in ihrem Haushalt (mindestens) eine Schusswaffe gebe.
Welchen Anteil hat Deutschland?
In der Gemengelage spielt auch Deutschland eine Rolle, denn deutsche Waffenhersteller verdienen am US-amerikanischen Markt kräftig mit. Unternehmen wie Heckler & Koch gelten als prestigeträchtig und sind auch regelmäßig bei Treffen der US-amerikanischen Waffenvereinigung NRA vertreten.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat nach jüngsten Recherchen des "Tagesspiegel" und der ZDF-Sendung "Magazin Royale" sogar jahrzehntelang einen Stand für deutsche Firmen auf der weltweit größten Schusswaffenmesse in den USA organisiert und teilweise auch finanziert - ab diesem Jahr soll damit Schluss sein.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde das halbautomatische Gewehr vom Typ AR-15 fälschlicherweise als Sturmgewehr bezeichnet. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.