Amnesty wirft Kriegsparteien im Sudan Kriegsverbrechen vor
3. August 2023Überall im Sudan erlebe die Bevölkerung "tagtäglich unvorstellbare Gräuel", weil die Konfliktparteien "rücksichtslos um territoriale Kontrolle" kämpften, erklärte die stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow. "Menschen werden in ihrem Zuhause oder bei der verzweifelten Suche nach Nahrung, Wasser oder Medikamenten getötet."
Auch gerieten Zivilistinnen und Zivilisten ins Kreuzfeuer, weil beide Seiten dicht besiedelte Wohngebiete angriffen, häufig mit Explosivwaffen. Zahlreiche Menschen seien an Orten verletzt oder getötet worden, an denen sie Schutz gesucht hätten, etwa in Frauenschlafsälen einer Universität in Darfur. Manche der Menschenrechtsverletzungen seien als Kriegsverbrechen zu betrachten, so Amnesty.
In ihrem Bericht "Death Came To Our Home" ("Der Tod kam in unser Haus") dokumentiert die Menschenrechtsorganisation auch gezielte Attacken auf Krankenhäuser und Kirchen. Darin ist unter anderem der Angriff auf einen koptisch-orthodoxen Kirchenkomplex in der Hauptstadt Khartum dokumentiert. Mitglieder der paramilitärischen Miliz "Rapid Support Forces" (RSF) hätten bei der Attacke am 13. Mai fünf Geistliche erschossen und Geld sowie ein goldenes Kreuz gestohlen, heißt es in dem Bericht unter Berufung auf Augenzeugen.
Die RSF seien für einen Großteil der von Amnesty dokumentierten Gräueltaten verantwortlich, betonte Donatella Rovera, eine der an dem Bericht beteiligten Forscherinnen, im Gespräch mit der DW. "Sie sind nicht die einzigen Täter. Aber nach dem, was wir bis jetzt dokumentieren konnten, sind sie die Haupttäter", so Rovera. Das gelte auch für die in dem Bericht dokumentierten Fällen sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen.
Häufige Gewalt gegen Frauen
Konkret wirft Amnesty den Konfliktparteien sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen vor. Teils seien Frauen und Mädchen tagelang festgehalten worden. "In einigen Fällen wurden Frauen und Mädchen tagelang unter Bedingungen festgehalten, die sexueller Sklaverei gleichkommen", heißt es in dem Bericht.
Im ganzen Land seien zudem zahlreiche medizinische und humanitäre Einrichtungen beschädigt oder zerstört worden, wodurch die Zivilbevölkerung keinen Zugang zu Nahrungsmitteln und Medikamenten mehr habe. Amnesty International hat für den Bericht nach eigenen Angaben 181 Personen interviewt, darunter 59 Überlebende und Zeugen von Gewalttaten.
Duchrow forderte die internationale Gemeinschaft zu mehr humanitärer Unterstützung für den Sudan auf. "Auch muss der UN-Sicherheitsrat das bestehende Waffenembargo auf den gesamten Sudan ausweiten und seine Durchsetzung sicherstellen", sagte sie. Zugleich müssten die Nachbarstaaten "ihre Grenzen für Schutz suchende Zivilpersonen öffnen. Zudem solle der UN-Menschenrechtsrat einen unabhängigen Untersuchungs- und Rechenschaftsmechanismus einrichten. Mit diesem könnten Menschenrechtsverletzungen gesammelt werden.
Fast 4000 Todesopfer
Im Sudan liefern sich die Armee von Militärmachthaber Abdel Fattah al-Burhan und die RSF-Miliz seines früheren Stellvertreters Mohamed Hamdan Daglo seit Mitte April einen blutigen Machtkampf. Mindestens 3900 Todesopfer wurden seit Beginn der Kämpfe gezählt, die tatsächliche Opferzahl dürfte aber weit größer sein. Fast vier Millionen Menschen wurden nach UN-Angaben in die Flucht getrieben.
Ein Großteil der Kämpfe erschütterte dicht besiedelte Stadtviertel der Hauptstadt Khartum. Zu massiver Gewalt kam es auch in der westlichen Region Darfur – von dort kommen immer wieder Berichte über ethnisch motivierte Gewaltakte. Bereits im Juli hatte der Internationale Strafgerichtshof angekündigt, mögliche Kriegsverbrechen in Darfur untersuchen zu wollen. Zuvor hatten die Vereinten Nationen über Massengräber in West-Darfur berichtet.
Drohende Hungersnot
Im Sudan sind nach UN-Angaben mehr als 20,3 Millionen Menschen von akutem Hunger bedroht, das sind 42 Prozent der Bevölkerung. Dies teilte die Fachstelle für die Bewertung von Ernährungssicherheit in Rom mit. Ursachen sind der bewaffnete Konflikt in dem ostafrikanischen Land und eine nachfolgende Störung der Nahrungsmittelmärkte mit einem entsprechenden Preisanstieg.
Der Analyse zufolge ist nur bei 23 Prozent der Einwohner die Versorgung stabil. 14 Millionen Sudanesen – das sind 29 Prozent der Bevölkerung - erleben im Zeitraum zwischen Juli und September eine akute Krise, weitere 6,3 Millionen oder 13 Prozent befinden sich in einer humanitären Notlage. Für den Zeitraum von Oktober bis Februar nächsten Jahres rechnen die Experten, die bei der Welternährungsorganisation FAO angesiedelt sind, mit 15 Millionen Hungernden.
kle/bru (epd, afp, dpa)