Alzheimer: Ist Heilung möglich?
18. September 2015DW: Die bisherigen Arzneimittel gegen Alzheimer verzögern den Krankheitsverlauf nur für kurze Zeit. Was können die neuen Wirkstoffe?
Prof. Dr. Beyreuther: Die Sicht, wie Alzheimer behandelt werden muss hat sich in den letzten fünf Jahren völlig geändert. Wenn erst einmal eine große Zahl von Nervenzellen untergegangen ist, kann man ein leeres Gehirn nicht mehr therapieren. Die neuen Wirkstoffe werden deshalb an Patienten in den frühen Stadien der Krankheit erprobt, in denen vielleicht erst etwa 60 Prozent der Nervenzellen zerstört sind. Und man will nicht mehr die Amyloid Eiweißablagerungen im Gehirn entfernen, sondern deren toxische Vorstufe. Die neuen Wirkstoffe sind so ausgewählt, dass sie tatsächlich nur diese löslichen toxischen Stoffe entfernen, die dann nicht mehr zu Amyloid verklumpen können. Nach Verabreichung der neuen Wirkstoffe sieht man tatsächlich einen deutlichen Rückgang des Amyloids im Gehirn, den man auch beim lebenden Patienten heute mit bildgebenden Verfahren sichtbar machen kann.
Halten Sie das für einen echten Durchbruch in der Forschung?
Man ist jetzt sehr nah daran herauszufinden, was eigentlich die Nervenzellen zerstört. Und diese Erkenntnisse haben zwei US-Pharmafirmen in Wirkstoffe umgesetzt, Solanezumab und Aducanumab. Allerdings können die nur in Frühstadien etwas ausrichten. Ist Alzheimer weit fortgeschritten, ist keine Heilung mehr möglich. Was mich sehr optimistisch macht ist die Tatsache, dass Aducanumab aus dem Körper eines alten Mannes gewonnen wurde, der keinerlei geistige Einbußen hat, obwohl er weit über 90 Jahre alt ist und der ein Abwehrsystem gegen die Alzheimerschen Ablagerungen besitzt. Dieser Wirkstoff ist sehr vielversprechend. Beide Wirkstoffe sind jedoch noch in der Erprobungsphase und noch nicht auf dem Markt.
Aber das setzt natürlich voraus, dass eine Früherkennung stattfindet. Wenn die Früherkennung so wichtig ist: Wer sollte sich denn in Zukunft untersuchen lassen, jeder ab einem bestimmten Alter?
Solange es keine Therapie gibt, darf es eine Früherkennung nur zu Forschungszwecken oder zur Familienplanung geben. Wenn man aus einer Familie kommt, wo Angehörige 1. Grades aufgrund einer genetischen Veranlagung mit 30, 40 oder 50 Jahren an Alzheimer gestorben sind, und man sagt, man möchte gerne eine Familie planen, dann ist diese Frühdiagnose möglich. Das setzt allerdings voraus, dass man sich psychologisch beraten lassen muss, damit man im Falle einer Diagnose damit auch umgehen kann. Wenn es eine Therapie gibt, dann haben wir heute die technischen Möglichkeiten, den Ausbruch der Krankheit etwa 20-30Jahre vorher zu sagen. Nicht jeder wird erkranken, es gibt immer Menschen, die es trotz schlechter Prognose nicht trifft. Warum das so ist verstehen wir heute noch nicht. Wir raten, mit der Diagnose erst zu beginnen, wenn sich erste kognitive Anzeichen melden, das wäre fünf Jahre vor Beginn der eigentlichen Symptome und dazu gibt es heute sehr sichere Möglichkeiten.
Ist Alzheimer erblich, sodass eine familiäre Disposition die Krankheit wahrscheinlicher auftreten lässt?
Bei Alzheimer gibt es zwei Gruppen von Erbkomponenten. Das sind zum einen Genmutationen, die den Träger in die Krankheit zwingen, und zwar sehr früh, meistens vor dem 60. Lebensjahr. Und dann gibt es genetische Risikofaktoren, die sich nicht unbedingt manifestieren müssen. Jeder zweite Alzheimer Patient hat einen Risikofaktor, der mit Cholesterin in Zusammenhang steht. Man weiß aber heute, dass sich diesegenetischen Risikoveranlagungen nur dann auswirken, wenn der Träger im mittleren Alter Bluthochdruck hat. Wenn er den nicht hat, gleicht sein Risiko dem eines Nichtträgers. Es gibt etwa 20 weitere erblicheRisikofaktoren, die den Beginn der Krankheit verändern können, bzw. früher beginnen lassen. Fast alle sind durch Lebensführung oder entsprechende Reduktion der allgemeinen Risikofaktoren reduzierbar. Wenn jedoch mehrere genetische Risikofaktoren in einer Familie vorhanden sind, dann kann das zu einem früheren Ausbruch der Krankheit führen. Und es gibt eben Menschen, die bekommen kein Alzheimer weil sie ein gutes Immunabwehrsystem haben. Wer Eltern hat, die 90 Jahre oder älter wurden und kein Alzheimer hatten, braucht natürlich keine Vorsorge zu betreiben. Wer allerdings Eltern hat, die zwischen 60 und 70 an Alzheimer gestorben sind, sollte dann, wenn es eine Therapie gibt um das 50. Lebensjahr eine Untersuchung anstreben.
Was sind die Risikofaktoren, die einen Ausbruch der Krankheit begünstigen?
Es gibt sieben Risikofaktoren, die von der Lebensführung beeinflusst sind, und die etwa die Hälfte des Alzheimerrisikos ausmachen. Die andere Hälfte ist die genetische Veranlagung. Diese sieben Risikofaktoren sind sehr interessant, denn alle sind beherrschbar. Hauptrisikofaktor sind Depressionen, die man jedoch gut therapieren kann. Der zweithöchste Risikofaktor ist mangelnde Bewegung. Hier ist die Empfehlung jeden Tag 10 000 Schritte zu laufen. Der dritte Risikofaktor ist Bluthochdruck im mittleren Lebensalter, nicht im späten Lebensalter, da spielt das keine Rolle mehr, denn Alzheimer braucht 30 Jahre bis zum Ausbruch. Der vierte Risikofaktor ist Übergewicht im mittleren Lebensalter. Es wird immer klarer, dass Übergewicht ein sehr starker Risikofaktor ist. Dann kommt geistige Inaktivität, Rauchen und Diabetes. Und da gibt es neue Erkenntnisse, die besagen, dass Diabetes zur Unterzuckerung des Gehirns führen kann und das ist ein großes Risiko für Alzheimer, weil das Gehirn nur von Zucker lebt.
Kann man auch selbst etwas tun, um die Krankheit zu verhindern oder zumindest den Krankheitsverlauf zu verzögern?
Man kann den Krankheitsverlauf verzögern. Das Gehirn ist ein Energieräuber. Ein Viertel der Energie, die wir am Tag verbrauchen, wird im Gehirn verbrannt. Das führt dazu, dass viele aggressive Sauerstoffmoleküle entstehen. Man sollte deshalb eine obst- und gemüsereiche Nahrung bevorzugen, wobei die Betonung auf Gemüse liegt, nicht so sehr auf Obst, weil die Fructose im Obst Probleme bereiten kann. Doch Nervenzellen lieben Pflanzenstoffe, ebenso wie Fischöl, Omega 3 Fettsäuren, die auch für das Herz wichtig sind. Darüber hinaus sollte das Gehirn auch noch auf anderen Ebenen angesprochen werden, zum Beispiel mit Musik, da wird es in besonderer Weise stimuliert. Genauso wie mit Bewegung, bei der Verknüpfungen zwischen Zeit- und Ortszellen hergestellt werden, was das biografische Gedächtnis fördert. Darüber hinaus sind Stressmanagement und ausreichend Schlaf extrem wichtig. Das Hirn braucht Ruhephasen, um die vielen Eindrücke zu verarbeiten.
Man spricht von einer Verdreifachung der Alzheimer Patienten im Jahre 2050. Gehen Sie angesichts der aktuellen Forschung auch von so hohen Zahlen aus?
Niemand kann in die Zukunft schauen aber meine Annahme ist, dass die Zahl der Alzheimer Patienten weltweit nicht steigen wird, sondern sich in etwa auf dem heutigen Stand bewegen wird. Ich könnte mir nur eine leichte Steigerung vorstellen, die dadurch begründet ist, weil die Weltbevölkerung ansteigt. Das Gesundheitsbewusstsein der Menschen ist im heutigen Computerzeitalter derart gestiegen, es wird auf Blutdruck, Gewicht, auf Cholesterinwerte, auf genug Bewegung geachtet, eben auf eine grundsätzlich gesunde Lebensführung. Ein Grund, warum die Zahl der Neuerkrankungen in einigen Ländern Nordeuropas um 20 bis 25 Prozent zurückgegangen ist. Allerdings leben dort Alzheimer Patienten durch bessere medizinische Versorgung länger, wodurch sich natürlich auch die derzeitigen Patientenzahlen nicht vergleichbar verringern. Wie sich das auf die Entwicklungsländer auswirkt, ist noch nicht absehbar, aber auch dort steigt die Bildung und die Menschen informieren sich über das Internet. Wir sehen in der Computergesellschaft weniger und spätere Erkrankungen. Ich kann deshalb diese Verdreifachung der Alzheimerzahlen bis 2050 so nicht nachvollziehen.
Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Beyreuther ist Molekularbiologe an der Universität Heidelberg und er ist einer der weltweit führenden Alzheimerforscher. Er war entscheidend an der Entdeckung der chemischen Struktur der charakteristischen Amyloid-Ablagerungen der Alzheimer Krankheit und dessen Gen beteiligt und wurde dafür vielfach geehrt. Darüber hinaus ist er Gründungsdirektor am „Netzwerk Alternsforschung“ an der Universität Heidelberg.
Interview: Marita Brinkmann