Alterndes Europa
11. Januar 2012Die Iren werden so schnell nicht aussterben: Mit 2,07 Kindern pro Frau hat Irland die höchste Geburtenzahl in der EU. Dahinter folgen die skandinavischen Länder sowie Frankreich und Großbritannien.
Berufstätige Frauen bekommen mehr Kinder
Axel Plünnecke forscht am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln zu den Themen Bildung und Arbeit. Hohe Geburtenraten sieht er vor allem in Ländern, in denen Frauen stark in den Arbeitsmarkt integriert sind. Dort gebe es nicht nur eine über Jahrzehnte gewachsene Infrastruktur in Sachen Kinderbetreuung, sondern auch eine sehr kinderfreundliche Kultur.
"Rückgang von traditionellen Familienmustern", nennen das die Verfasser des europäischen Demografie-Reports, den die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat. Auch unverheiratete, ältere Frauen bekämen jetzt vermehrt Kinder, so die These. Eine Familienpolitik, die Eltern finanziell fördert, wirke positiv. Als Antwort auf die demografischen Herausforderungen reicht das aber nicht: Um die Bevölkerungszahl auf dem bisherigen Stand zu erhalten, müsste jede Frau statistisch 2,1 Kinder bekommen.
Europa ist ein Opfer seines eigenen Erfolgs
Zusätzlich werden die Europäer immer älter: Männer wurden im Jahr 2008 statistisch 76 Jahre alt, Frauen 82 Jahre. In Italien, Frankreich und Deutschland leben die durchschnittlich ältesten Menschen, während die osteuropäischen Bevölkerungen noch eher jung sind und auch eine niedrigere Lebenserwartung haben. Doch auch im Osten der EU werden in den nächsten 50 Jahren die Bevölkerungen deutlich altern, vermutet der Demografie-Report 2010. Denn der wachsende Wohlstand lässt die Menschen länger gesund leben. Europa sei in Sachen Bevölkerungsentwicklung "ein Opfer" seines eigenen Erfolges, formuliert die EU-Kommission.
Die unmittelbaren Folgen sind vor allem in den Sozialsystemen spürbar: Wo weniger Menschen arbeiten, wird weniger in die Renten- und Sozialkassen eingezahlt. In den kommenden Jahren werden die so genannten Babyboomer, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, in Rente gehen. Die EU geht davon aus, dass ab 2014 die arbeitende Bevölkerung schrumpfen wird.
Sorgenkind Südeuropa
Gleichzeitig aber steigen die Ausgaben der Sozialkassen, weil es mehr Rentner gibt. Nach Erhebungen einer EU-Studie wird sich zudem die Zahl der Demenzkranken in Europa bis 2050 verdoppeln – auf gut 16 Millionen Menschen. Damit steigen auch die Kosten für eine adäquate Pflege im Rahmen einer alternden Gesellschaft.
Axel Börsch-Supan ist Direktor des "Munich Center for the Economics of Ageing" am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. Der Volkswirt glaubt nicht, dass sich eine schrumpfende Bevölkerung automatisch negativ auf die Wirtschaftsleistung auswirken muss. Wenn die Erwerbstätigen mittleren Alters länger arbeiten würden, könne man einiges kompensieren, glaubt Börsch-Supan. Im europäischen Vergleich sieht der Forscher vor allem Probleme bei südeuropäischen Ländern wie Griechenland, Italien und Spanien, wo Reformen nur mühsam vorankommen.
Umstrittene Zuwanderung
Der dritte Faktor, der neben Geburtenhäufigkeit und Lebenserwartung die Bevölkerungsentwicklung beeinflusst, ist die Migration, die heute vor allem zum Bevölkerungswachstum beiträgt. Jeder dritte in der EU lebende Mensch wird in einem halben Jahrhundert zu dieser im weitesten Sinne ausländischen Bevölkerung gehören. Doch auch die Zuwanderung ist kein Allheilmittel für die schrumpfenden Gesellschaften. "Dazu sind die Dimensionen zu groß, die erforderliche Zuwanderung wäre zu massiv," glaubt der Demografie-Fachmann Axel Börsch-Supan.
Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Ulrike Mast-Kirschning