Als Ritter Comics malten
6. Juli 2013Das deutsche Kurfürstentum Sachsen, Ende des 15. Jahrhunderts. Die Zeit der tapferen Ritter in blitzenden Rüstungen erlebt ihre letzte Hochphase. Auf Schloss Rochlitz am Fluss Mulde wird der junge Prinz Friedrich von Sachsen gemeinsam mit anderen Adeligen zum Ritter ausgebildet. Waffenkunde, Jagd, Benimmunterricht – der "Stundenplan" der Adelssprösslinge ist eng getaktet. Doch es bleibt Zeit für Schabernack. In ihrem Wohnraum kritzeln die Ritterknaben Zeichnungen an die Wand: Ritter beim Lanzenstechen, eine Riesen-Kanone, Burgen und einen nackten (!) König.
Wer war so dreist?
Restauratoren legten die einzigartigen Putzritzzeichnungen aus dem Spätmittelalter in den vergangenen Jahren frei. Nun stellt das Museum des Schlosses die "Comicstrips" erstmals aus. Dass sie von den Prinzen aus dem sächsischen Fürstengeschlecht Wettin stammen, gilt als wahrscheinlich: "Sie wurden auf die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert als zwei Generationen der Wettiner Prinzen auf Schloss Rochlitz ihre ritterliche Ausbildung erhielten", sagt der Rochlitzer Museologe Frank Schmidt.
Zudem wurden die Zeichnungen in den ehemaligen Wohnräumen der jungen Prinzen gefunden: "Kaum möglich, dass jemand anders da rein konnte und so dreist war." Ernst und Albrecht von Wettin weilten in den 1450er Jahren auf Schoss Rochlitz. Ihr Nachfahre Friedrich, der später als Friedrich der Weise in die Geschichte eingehen sollte, lebte hier in den 1470er Jahren. Doch was sagen die geheimnisvollen Comicstrips über die jungen Prinzen aus?
Die meisten Motive sind kriegerisch. "Wir haben viele berittene und bewaffnete Krieger", beschreibt Frank Schmidt. Das erzähle viel über die ritterliche Ausbildung. Waffenkunde stand dabei an erster Stelle. Die jungen Zeichner kannten sich gut aus: Die riesige Kanone, die sie in die Wand ritzten, war damals eines der modernsten Kriegsgeräte. Die Comics belegen außerdem: Auch der Turniersport übte eine starke Faszination aus. Dabei versuchten sich Ritter im Zweikampf mit der Lanze vom Pferd zu stoßen. Ein Sport, der geübt sein will.
"Die hohe Kunst des Totschlagens"
Angehende Ritter begannen bereits mit sechs oder sieben Jahren mit dem Training. Dazu gehörten auch Reiten, Fitness und Konzentrationsübungen. Militärischer Drill war üblich: "Man ließ zum Beispiel ein Pferd einen Tag lang angebunden auf dem Hof stehen. Ein junger Ritter musste dann den ganzen Tag in schwerer Rüstung auf- und absteigen", sagt Jan Keupp. Der Historiker lehrt mittelalterliche Geschichte an der Universität Münster und hat dieses Jahr ein neues Buch über Ritter veröffentlicht. Nach der mehrjährigen Ausbildung zog ein junger Ritterknabe hinaus in die Welt, schildert er. Auf Reisen zu den Kriegsschauplätzen Europas lernten die jungen Ritter ihr "Handwerk", "die hohe Kunst des Totschlagens".
Doch Ritter waren keineswegs nur mörderische Söldner, sie betrachteten sich selbst als Elite. Der Schlüssel zu ihrem Selbstverständnis war der Ritterkodex. Man trat für eine gemeinsame Sache ein, bekämpfte vermeintlich "Ungläubige", also Nicht-Christen, und beschützte Witwen und Waisen. Im Laufe des Mittelalters bildeten die Ritter eine eigene Kultur heraus, die sie in den Fürstenhöfen Europas pflegten. "Der höfische Ritter folgt christlichen Tugenden, er ist selbstverständlich tapfer und maßvoll", sagt Jan Keupp. "Aber er sehnte sich nach dem gesellschaftlichen Spiel der Frauenliebe, der Minne."
Tanz, Dichtung, gutes Benehmen
Für einen Ritter bedeutete die Minne, sein eigenes Begehren zurückzunehmen. Die Frau verehrte er von Ferne. Ritter sollten Multitalente sein, so Keupp: Sie beeindruckten durch geschmeidigen Tanz, Gesänge und gutes Benehmen an der Tafel. Es konnte beileibe nicht jeder ein Ritter werden, denn dazu waren finanzielle Mittel nötig, über die fast nur Adelige verfügten. Die schwere Rüstung, Lanze, Schwert und ein mächtiges Streitross – das war im Spätmittelalter so viel wert wie mehrere Bauernhöfe.
Das mittelalterliche Rittertum in Europa war einzigartig. Das hatte auch mit dem Herrschaftssystem dieser Epoche zu tun: "Es ermöglichte den Aufstieg einer kleinen Elite, die sich eine ritterliche Lebensweise leisten konnte", betont Jan Keupp. Militärisch verloren die Ritter allerdings immer mehr an Bedeutung. "Ab dem 13. Jahrhundert waren die Rüstungen schlichtweg zu schwer", berichtet er. Allein das Kettenhemd wog 12 bis 13 Kilogramm. In der Schlacht kollabierten einige Ritter in ihrer Rüstung, oder erlitten einen Hitzschlag.
Der Untergang der Ritter
Neue Waffen wie Langbogen, Kanone oder Armbrust machten es den Rittern auf dem Schlachtfeld außerdem schwer. Auch wirtschaftlich und sozial wurden die berittenen Krieger immer weiter ins Abseits gedrängt. Denn sie sicherten ihren Wohlstand über Grundbesitz auf dem Land. Geld wurde aber zunehmend in den Städten verdient. Nur die kulturelle Komponente des Rittertums lebte fort. "Seine eigenen Bedürfnisse zugunsten einer Dame zurückzustellen, das kennen wir heute noch. Etwa, indem man einer Frau die Tür aufhält, oder ihr den Stuhl zurecht rückt bevor man sich selbst hinsetzt", sagt Jan Keupp.
Ein letztes Mal bäumte sich das Rittertum gegen den eigenen Untergang auf – zu der Zeit, als die Wettiner Prinzen die Wand in Schloss Rochlitz bekritzelten. Nach ihrer ritterlichen Ausbildung regierten sie das Kurfürstentum Sachsen und zogen selbst in unzählige Schlachten. Friedrich der Weise half sogar beim Aufbruch in eine neue Epoche aktiv mit: Er beschützte den Reformator Martin Luther. Der Mönch hatte den Anstoß zur Erneuerung und schließlich zur Spaltung der westlichen Kirche gegeben. Dies führte zu massiven gesellschaftlichen Umwälzungen in ganz Europa. Die mittelalterliche Lebenswelt der Ritter ohne Furcht und Tadel ging unter.
Sabine Buttinger, Jan Keupp, Die Ritter, Konrad Theiss Verlag Stuttgart 2013, 29,95 Euro, ISBN 978-3-8062-2266-1.