Dorfpunks
20. April 2009Ein kühler Wind weht von der Ostsee über den fast leeren Platz. Zwei sechzehnjährige Jungs im HipHop-Outfit, mit Kapuzenpulli und Baseballkappe, haben die Dreharbeiten für die Verfilmung von "Dorfpunks" mitbekommen. Das Buch haben sie nicht gelesen, es interessiert sie auch nicht sonderlich. Gibt es denn heute noch Punks in Lütjenburg? "Ja, ja. Ganz viele sogar." Zehn, zwanzig sollen es sein, man könne sie am Stadtteich finden.
Auf der Suche nach den Punks
Am Teich ist kein Punk zu sehen. Nur zwei junge Frauen sitzen auf der Bank und langweilen sich. Man solle doch mal am ZOB nachschauen, dem zentralen Omnibusbahnhof, dort hingen sie rum. Doch dort hängt niemand rum, außer ein paar Erwachsenen in der kleinen Trinkhalle. Punks sind kein großes Thema in Lütjenburg und waren es offenbar auch nie – zumindest nicht für den älteren Herrn mit dem Bier: "Punks verbinde ich immer mit Irokesenschnitt und so was, das hat es hier eigentlich nie gegeben." Die Dame neben ihm ist anderer Meinung: "Och Jensi, wo hast du denn gelebt!" Und auch die anderen in der Runde meinen sich zu erinnern. Das Buch kennt hier allerdings niemand, und auch Rocko Schamoni ist nur aus Zeitungsbildern bekannt. Und das, obwohl Lütjenburg gerade mal 5.500 Einwohner hat.
Annegret Kühl hat das Buch gelesen. Jetzt ist sie mit ihrem Enkel auf dem Weg zur Filmpremiere. Der 75-Jährigen hat das Buch gefallen, mit den Punks sympathisiert sie: "Ja, also so schlimm war es ja auch nicht. Wir waren ja auch mal jung und haben Unsinn gemacht, haben getanzt und sind überhall hin gefahren, auch mal per Anhalter."
Premiere im Soldatenheim
Der Film feiert in Lütjenburg seine Weltpremiere, sozusagen als Dankeschön an den Ort und seine Einwohner. Als Kino dient in diesem Fall das Soldatenheim, und hier sitzen sie dann auch, die Dorfpunks: ein Dutzend Jungs und Mädchen mit Lederjacken und bunten Haaren. Sie haben das Buch gelesen - natürlich! Benno und Saskia erkennen sich darin aber nur zum Teil wieder. Sie seien nicht ganz so verrückt wie die Punks in dem Buch, sagen sie. Dafür würden sie mehr trinken. In Zeiten der Krise ist es allerdings auch ungleich schwerer zu rebellieren. Und schockieren kann man heute kaum noch.
Der Raum ist voll, halb Lütjenburg ist gekommen. Es geht zwanglos zu, wie bei einem großen Familientreffen. Bürgermeister Lothar Ocker hat keinen Ehrenplatz, er sitzt in der letzten Reihe auf einem Tisch. Auch er findet, dass die Punks von heute harmloser sind. Sie sähen nur noch so aus wie früher. Rocko Schamoni, den viele hier noch als Tobias Albrecht kennen, hat keine Ähnlichkeit mehr mit früher. Er trägt Jeans, dunkles Hemd und Anzugweste und beeilt sich, jegliche Verantwortung für den Film von sich zu weisen: "Der Film hat mit mir nur wenig zu tun. Da geht es nicht um meine Person, sondern allgemein um Jugend auf dem Land, in der Provinz." Trotzdem ist er natürlich der Star des Abends und stellt bei der Begrüßung die Tonanlage auf die Probe, bis es so klingt wie bei seinem ersten Punkkonzert.
Einmal Punk - immer Punk?
Wie es damals nicht war, zeigt in den folgenden anderthalb Stunden die Verfilmung von Lars Jessen. Dem Film fehlt jegliche Tiefe, die das Buch ausmacht: die Zerrissenheit und der Selbsthass der jungen Punks, die Schamoni so treffend und poetisch beschreibt. Sie sind Punks, weil man ja irgendwas sein muss, weil man nicht weiß, wer man ist. In Jessens Film schrumpft dies zu einer pittoresken, wenn auch traurigen Aneinanderreihung von Jugendkulturklischees.
Auch die jungen Punks sind enttäuscht. Sie fanden den Film zu brav, zu pessimistisch, schlicht zu langweilig. Und Benno kann es nur schwer hinnehmen, dass Punk nicht die Rettung ist: "Also auf jeden Fall weiß ich, dass das bei uns nicht so sein wird. Auf jeden Fall werden wir beide immer Punk bleiben, also das ist schon mal klar."
Autor: Dirk Schneider
Redaktion: Petra Lambeck