Als E-Book in die Welt
19. August 2013Weder das Klingelschild noch die Eingangstür weisen darauf hin, dass in der ersten Etage eines Hinterhauses im Berliner Bezirk Wedding eines der interessantesten verlegerischen Projekte in der deutschen Hauptstadt vorangetrieben wird. Und das, obwohl Berlin an neuen Ideen und mutigen Unternehmern nicht gerade arm ist. Der US-Amerikaner Edward J. Van Lanen will vom Küchentisch seiner Zwei-Zimmer-Wohnung, deren Aufgeräumtheit zuallererst ins Auge fällt, den englischsprachigen Buchmarkt ein kleines bisschen verändern.
In seinem neu gegründeten Verlag Frisch & Co. bringt der Jungunternehmer, der sich amerikanisch lässig immer nur mit "E.J." vorstellt, englische Übersetzungen von Büchern heraus, die beispielsweise das Publikum in Deutschland oder Italien kennt, die aber nicht den Weg in das Programm eines englischsprachigen Verlags gefunden haben. Dieses Nadelöhr zu passieren, gelingt nur wenigen Büchern. Die Gründe dafür sind vielfältig. Mit der Qualität aber hat es oft nur wenig zu tun, wie sonst wäre es möglich, dass Uwe Tellkamps großes DDR-Epos "Der Turm" bislang keinen englischsprachigen Verlag gefunden hat. Als bester deutschsprachiger Roman des Jahres prämiert, entwickelte sich das Buch, das zu der Sorte gehört, wie sie nur alle paar Jahre geschrieben wird, zum Bestseller, dessen Ruf auch ins Ausland drang; aber nicht bis in die USA oder nach Großbritannien. Van Lanen ist nun im Begriff, das zu ändern. Er hat den renommierten Übersetzer Mike Mitchell, der unter anderem Kafka und Goethe übersetzt hat, gebeten, das Buch ins Englische zu übertragen. Im kommenden Frühjahr soll "The Tower" bei Frisch & Co herauskommen.
Idee vom weltweiten Verkauf
Wie alle anderen Titel des neuen Verlags wird auch Tellkamps ursprünglich bei Suhrkamp erschienener, 1000 Seiten umfangreicher Roman ausschließlich in elektronischer Form zu haben sein. Es ist das neue Format, was Van Lanens Idee vom weltweiten Verkauf überhaupt erst möglich macht. "Man braucht kein Lager für E-Books und Vertriebsausgaben fallen nur dann an, wenn ein Buch über eine Internetplattform verkauft wird", schwärmt der sympathisch und offen wirkende Mann.
Der 39-Jährige, der früher als Marketing Assistent bei HarperCollins in New York gearbeitet hat, kooperiert mit Verlagen in Deutschland, Spanien, Italien, Finnland und Brasilien. Aus den Programmen von Suhrkamp, Anagrama und Edizioni Nottetempo etwa kommt regelmäßig Nachschub für Frisch & Co. Als erster Titel erschien im Frühjahr "Anatomy of a Night", die Übersetzung des pechschwarzen Romans "Anatomie einer Nacht" der Suhrkamp-Autorin Anna Kim aus Österreich. Zwölf Bücher will Van Lanen jährlich herausbringen, doch womöglich ist das zu ehrgeizig gedacht. "The Tower", das E-Book von Uwe Tellkamps moderner Buddenbrooks-Geschichte ("Buddenbrooks" ist der berühmte Familienroman von Literaturnobelpreisträger Thomas Mann), sollte schon früher erscheinen. Der Übersetzer Mike Mitchell allerdings braucht schlichtweg länger als geplant. Und auch für den Verleger, der vom Lektorat bis zur Gestaltung alles selbst übernimmt, ist das Pensum enorm.
Reißender Absatz
Aber es sind andere Dinge, die ihn manchmal beunruhigen. "Im ersten Monat haben wir 100 Exemplare verkauft. Das ist keine besonders große Zahl", gibt der Newcomer unumwunden zu, ohne dabei seine Enttäuschung zu verbergen. Van Lanen tröstet sich mit der Vermutung, dass E-Books eine andere Lebenskurve als Papierbücher haben. "Ein gedrucktes Buch steht kaum mehr als ein halbes Jahr im Bücherregal, dann verschwindet es. E-Books bleiben länger. Und 100 verkaufte Exemplare Monat für Monat – das ist so betrachtet gar nicht schlecht und allemal besser, als vom Start weg 500 E-Books zu verkaufen und danach passiert nichts mehr."
Edward J. Van Lanen weiß, dass die Bücher, die er verlegt, nicht häufig zu E-Book-Bestsellern werden. Reißenden Absatz findet im Netz vor allem seichte Unterhaltung. Für anspruchsvolle Literatur, wie er sie in Übersetzung herausbringt, sind die Verkäufe auch im Land des E-Book-Booms, in den USA also, deutlich niedriger. Von seiner Programmidee will er deswegen aber noch lange nicht abrücken. "Manchmal denke ich, was ich mache, ist verrückt. Es ist ziemlich riskant und ich kann spektakulär scheitern. Aber wenn ich schon all mein Geld, meine Zeit und meine Energie investiere, dann sollte das für solche Autoren und Bücher sein, die mich etwas angehen, die ich selbst gern lesen will. Deswegen gründet man doch einen Verlag, um mit anderen Lesern zu teilen, was man selbst interessant findet", sagt der engagierte Verleger trotzig. Und er sieht sich im Vorteil gegenüber traditionellen Verlagshäusern, die sich nach wie vor auf gedruckte Bücher konzentrieren und sich nur am Rande um E-Books kümmern.
Mühsam und beschwerlich
Aber Idealismus und Entschlossenheit allein werden nicht ausreichen. Derzeit wissen noch viel zu wenig Menschen in den USA und andernorts davon, dass es in Berlin einen kleinen ambitionierten Verlag namens Frisch & Co. gibt. Das zu ändern, ist die wichtigste Aufgabe des Newcomers. Ein mühsames, beschwerliches, langwieriges Unterfangen; helfen soll die Strahlkraft berühmter Verlagsnamen wie Suhrkamp oder Anagrama. Die bei Suhrkamp für das Lizenzgeschäft zuständige Petra Hardt sagt: "Wir glauben an diesen jungen, engagierten Verleger." Aber Hardt sagt auch: "Uns fehlt die Erfahrung. In drei Jahren werden wir mehr wissen."