Als das Netz nach Deutschland kam
30. April 2006Wie Pioniere und Revolutionäre sehen sie in ihren grauen Anzügen mit Schlips nicht gerade aus. Doch sie sind es, viele der Tagungsteilnehmer im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Mit ihrer Arbeit seit Anfang der 1980er Jahre haben Werner Zorn, Rudolf Peter, Klaus Birkenbihl, Michael Rotert und die vielen anderen eine Revolution nach Deutschland gebracht: das Internet.
Die Männer und Frauen, die sich in Bonn zur Tagung unter dem Titel "Wie das Netz nach Deutschland kam" trafen, waren und sind maßgeblich daran beteiligt, das Internet in Deutschland zu dem gemacht zu haben, was es heute ist. Etwa 25 Jahre sind die Anfänge jetzt her. Da lag eine Idee nahe: "Wir wollten eine Art Klassentreffen machen, um gemeinsam in Erinnerungen zu schwelgen", erzählt Klaus Birkenbihl vom World Wide Web Consortium (W3C) und Mitglied der ISOC. Aber das sei auf so viel Interesse auch außerhalb der Reihen der Internet-Pioniere gestoßen, dass sich man kurzerhand zu einer Tagung in etwas größerem Rahmen entschlossen habe.
Stürmische Entwicklung
Mittlerweile hat die Zahl der Internetnutzer weltweit die Milliardenmarke überschritten. In Deutschland allein sind 37,5 Millionen Erwachsene vernetzt - das entspricht knapp 58 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahre. Eine Entwicklung, die wohl kaum jemand vorausgesagt hätte, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte - damals als noch Großrechner die Landschaft dominierten, die zwar mehrere 10.000 DM Miete im Monat kosten konnten, doch nur ein bis zwei Gigabyte-Plattenspeicher verfügten. Obwohl erste Verfahren für die Datenübertragung von Rechner zu Rechner bereits in den 1970er Jahren entwickelt worden waren, waren zumindest in Deutschland nur die wenigsten Computer miteinander vernetzt.
In den USA, wo das Internet - wie so vieles - seine Wurzeln hat, war die Entwicklung zu diesem Zeitpunkt schon weiter fortgeschritten: Dort ging alles bereits in den 1960er Jahren mit einem militärischen Forschungsprojekt los. Dieses Forschungsprojekt weitet sich in den 1970er Jahren unter Leitung des US-Verteidigungsministeriums zum so genannten ARPANet aus, das bis 1990 betrieben wurde. Dieses Netz wurde vor allem dazu genutzt, Universitäten und Forschungseinrichtungen miteinander zu verbinden, um die knappen Rechnerkapazitäten sinnvoll zu nutzen.
Die richtige Mischung aus Einfachheit und Leistungsfähigkeit
Der deutsche Schritt in das Internet hatte ebenso eine akademische Basis: Im August 1984 ging die Universität Karlruhe ans Netz, wodurch es möglich wurde, mit anderen Informatikeinrichtungen - darunter Einrichtungen in den USA, Kanada, Schweden und Israel - zu kommunizieren. Die Kommunikation beschränkte sich zunächst allerdings fast ausschließlich auf E-Mail-Kontakt. Zwar habe es eine ganze Reihe von Ansätzen gegeben, um Computer auf der Welt miteinander zu verbinden, sagt Klaus Birkenbihl von der ISOC. "Doch der Vorteil der Internettechnologie war die richtige Mischung aus Einfachheit und Leistungsfähigkeit." Die unterschiedlichen Technologien wurden zwar parallel weiterentwickelt, doch die Internettechnologie setzte sich bis 1996 endgültig gegenüber den anderen durch.
Das Forschungsprojekt EUnet der Universität Dortmund unter Leitung von Rudolf Peter und die Arbeitsgruppe Xlink an der Universität Karlsruhe unter Werner Zorn nahmen Anfang 1989 erste Internetanschlüsse in Betrieb. Der Verein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes (DFN) gründete ein nationales Forschungsnetz und baute in Zusammenarbeit mit der damaligen Deutschen Bundespost - die zu dem Zeitpunkt noch das Kommunikationsmonopol besaß und den Forschungsbemühungen durchaus zwiespältig gegenüber stand - das Wissenschaftsnetz WIN auf, zu dem der Zugang bis 1992 allerdings Universitäten und Forschungseinrichtungen vorbehalten blieb. Gleichzeitig trieben Teile von Industrie und Wirtschaft, aber auch eine Reihe engagierter Privatpersonen die Entwicklung voran - jedoch mit "unterschiedlichen Zielsetzungen und ebenso unterschiedlichen Ideen", schildert Birkenbihl.
Das World Wide Web entsteht
Die entscheidende Wende für das Internet auf internationalem Parkett kam allerdings durch das World Wide Web - heute häufig synonym mit dem Begriff "Internet" verwendet. Denn Anfang der 1990er entwickelte der britische Informatiker Tim Berners-Lee vom "Centre Européen pour la Recherche Nulcléaire" (CERN) in Genf das erste Web-Anzeigeprogramm, den ersten grafikfähigen Webbrowser. Damit wurde das Internet nach Einschätzung des Internetexperten Birkenbihl "massentauglich", unter anderem weil das "Point-und-Click-Verfahren" auch dem unbedarften Benutzer das Navigieren mit der Computermaus ermöglichte und das langwierige Eingeben von Befehlszeilen überflüssig machte.
Die "Killeranwendung der ersten Stunde" jedoch war die E-Mail. Niemand hatte mit dieser Entwicklung gerechnet. Doch zwischen den Forschungseinrichtungen wurde massenhaft elektronische Post verschickt - ein teures Vergnügen, denn für jede Mail musste damals noch bezahlt werden. So konnte es passieren, dass die Universität am Ende des Monats einen fünfstelligen Betrag allein für die Übermittlung der Nachrichten in Rechnung gestellt bekam, erinnert sich Michael Rotert, der damals an der Universität Karlsruhe tätig war, mit einem Lächeln. "Das Internet war nie umsonst!" Denn auch die Leitungen kosteten im Vergleich zu heute ein Vermögen, weiß Rotert.
Ein weiterer Schritt zum Internet, wie wir es heute kennen, war die Privatisierung des ehemaligen Forschungsprojekts EUnet im Jahr 1992, das damit zum ersten kommerziellen Anbieter von Internet-Dienstleistungen oder Provider wurde. Ein Jahr später kam auch Xlink in private Hände. Im selben Jahr übernimmt der Interessenverbund DENIC zentral die Verwaltung aller de-Domains und dort wird im Jahr 1999 - knapp 13 Jahre nach der Registrierung der ersten deutschen Domain - die einmillionste de-Adresse vergeben.
Noch am Anfang der Nutzungsmöglichkeiten
In den vergangenen Jahren hat das Internet das Privat- und Arbeitsleben vieler Millionen Menschen verändert. "Das Leben ist durch das Netz schneller geworden", sagt Birkenbihl, auch wenn man die Abkürzung "www" in den 1990er Jahren gerne mit "world wide waiting" übersetzt habe. Das habe sich jedoch mit der DSL-Technologie schnell geändert. Heute werde das Internet wieder mehr und mehr zum Kommunikationsmedium, urteilt Birkenbihl. Das ziellose Umhersurfen sei in den Hintergrund getreten. Auch seien es immer weniger die Techniker, die bestimmten, wohin es mit dem Internet ginge, sondern mehr und mehr die Gesellschaft. Das Internet sei zu einer Konsumware und fester Bestandteil der Medienlandschaft geworden, meint Birkenbihl. Doch: "Wir stehen noch am Anfang der Nutzungsmöglichkeiten."