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Gesellschaft

Als afghanischer Jugendlicher im Syrien-Krieg

Naomi Conrad ust
5. Mai 2018

Der Iran wirbt gezielt Afghanen an, die im Syrien-Krieg auf seiner Seite kämpfen sollen. Nicht immer ziehen die Söldner freiwillig in den Krieg. Die DW hat einen Ex-Kämpfer getroffen, der vom Iran quasi erpresst wurde.

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Türkei Grneze Syrien Afrin Angriff
Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Als die iranische Revolutionsgarde den jungen Afghanen M.* vor die Wahl stellte - in Syrien zu kämpfen oder an die afghanische Grenze gebracht zu werden, an der es von Taliban-Kämpfern nur so wimmelte -, schien die Entscheidung einfach zu sein. Es war 2014, M. ein Jugendlicher ohne Schulabschluss, der von Kabul mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in den Iran geflohen war. Er hatte nie etwas von Syrien gehört und schon gar nicht von dem brutalen Krieg, der zu dem Zeitpunkt bereits seit mehr als drei Jahren wütete.

"Ich hatte Angst zu sterben, also entschied ich mich für Syrien", erzählt er der Deutschen Welle. In das vom Krieg geschundene Afghanistan zurückzukehren, war keine Alternative. Und, so fügt er hinzu, der in Aussicht gestellte Verdienst war fast zu gut, um wahr zu sein: heute umgerechnet 585 Euro pro Monat. Ein Vermögen für M., der als Schneider in einer iranischen Fabrik gearbeitet hatte und von der Polizei bei einer Razzia gegen undokumentierte afghanische Migranten aufgegriffen wurde.

2014 verstärkte der Iran seine Unterstützung für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Dazu gehörte auch, mehr Bodentruppen zu schicken - darunter viele afghanische Migranten wie M. Er sei mit dutzenden anderen Afghanen in einer Polizeistation festgehalten worden, und soweit er sich erinnere, hätten sich alle für Syrien entschieden, erzählt er.

Mit Heilsversprechen ködern

Auch wenn sich M. Angaben kaum überprüfen lassen, so steht seine Geschichte beispielhaft für tausende im Iran undokumentiert lebende Afghanen, die von der Revolutionsgarde rekrutiert werden, um mit Assads Truppen im Syrien-Krieg zu kämpfen. Der Iran wirbt damit, dass sie für Schiiten heilige Stätten in Syrien beschützten. Andere werden mit festem Einkommen und der Aussicht auf eine Aufenthaltserlaubnis gelockt - enorme Anreize für Flüchtlinge, die andauernd mit der Angst leben, jederzeit deportiert werden zu können.

Viele wie M. werden aber dazu gezwungen, in der Division Fatemiyoun zu kämpfen, die komplett aus Afghanen besteht. Meist sind es Angehörige der Minderheit der schiitischen Hazara, die in der Region seit Langem Gewalt und Verfolgung ausgesetzt sind.

Syrien Schiitische Gruppen
Kämpfer der Fatemiyoun an der Front östlich von Palmyra im Juni 2017Bild: picture-alliance/dpa/M. Voskresenskiy

Humaira Ayoubi, Abgeordnete der afghanischen Farah-Provinz, die an der Grenze zum Iran liegt, sagt, dass die Rekrutierung im Iran "öffentlich und ohne Scheu" geschehe. In Afghanistan sei es allgemein bekannt, dass sich der Iran an arme Hazara richte, sagt sie der DW. Aber niemand wolle darüber sprechen. "Im Gegenzug (für ihren Kriegseinsatz, Anm. d. Red.) bekommen die Kämpfer Geld, Sicherheit und in einigen Fällen die Gelegenheit, die iranischen Führer persönlich zu treffen."

Sogar in Afghanistan selbst rekrutiert der Iran: Einige ehemalige Fatemiyoun-Kämpfer und andere Afghanen, die sagen, Rekruteure hätten sie kontaktiert, nannten unabhängig voneinander ein inoffizielles Anwerbezentrum im Westen Kabuls, wo die meisten Bewohner Hazara sind. Vier Menschen, mit denen die Deutsche Welle sprach, sagten, dass das Zentrum permanent seinen Standort wechsele.

HRW: Auch Jugendliche unter den Rekruten

Nach Angaben eines Berichts der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) aus dem vergangenen Jahr dienen sogar 14-Jährige in der Division Fatemiyoun. "Nach internationalem Recht ist es ein Kriegsverbrechen, Kinder unter 15 Jahren zu rekrutieren, damit diese aktiv an Kampfhandlungen teilnehmen", schreiben die Autoren.

Auch M. war minderjährig. 14, vielleicht 15, so genau kann er es nicht sagen. Seine Mutter starb, als er geboren wurde und sein Vater, ein Drogen-Abhängiger, verließ ihn früh, sodass er sein eigenes Geburtsdatum nicht genau kennt. Aber, so erzählt er, "die Revolutionsgarde wusste, dass ich nicht 18 bin".

Einen Monat lang sei er im Iran trainiert worden, sagt M. Dann sei er mit einigen anderen afghanischen Rekruten - viele davon minderjährig - nach Damaskus geschickt worden.

Bald wurden sie von einer Front zur nächsten gebracht: Al-Mleiha, Daraa, Hamra - die Namen der Schauplätze eines Krieges, der ihm wenig bedeutete, abgesehen von verschwommenen Erinnerungen an explodierende Bomben, an den Kampf von Straße zu Straße, Haus zu Haus und die Hoffnung, dass auch er sterben möge, "damit alles vorbei" wäre.

M. reibt seine Schläfen, wenn die Kopfschmerzen ihn überkommen, wie jedes Mal, wenn er in seine Zeit in Syrien hineintaucht. Ein junger, schlanker Afghane mit sorgfältig geschnittenem, kurzem Haar spricht über Krieg und Tod in der unbeteiligten Art derjenigen, die mehr gesehen haben als sie verarbeiten können.

Seine Arme sind sind überzogen mit unzähligen Narben, die zu einem komplexen Muster wulstigen Gewebes verschmelzen. Sie erzählen die Geschichte der Albträume, die ihn heute heimsuchen: von seinem besten Freund, der vor seinen Augen in Stücke gerissen wurde, von dem stetig andauernden Terror eines Lebens in der Kriegszone, wenn jeder Tag der letzter sein könnte, was sich für mindestens sechs seiner engsten Freunde bewahrheitete. M. gibt zu, sich zu ritzen - immer und immer wieder, um die Erinnerungen in Schach zu halten. Aber es helfe nicht jedes Mal, sagt er. 

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Glück im Unglück?

Nach neun Monaten in Syrien nahm alles ein plötzliches und qualvolles Ende: Der Flugkörper, der seinen besten Freund Abbas tötete, zertrümmerten sein Gesicht und seine Beine. Nachdem er in Syrien notdürftig zusammengeflickt wurde, flog man ihn in ein Krankenhaus nach Teheran, das, wie er sagt, voller verwundeter afghanischer Kämpfer war.

Als er entlassen wurde, hob er seinen ganzen Verdienst ab, heute umgerechnet fast 5900 Euro, und bezahlte einen Schlepper, der ihn nach Europa bringen sollte. Er wusste nicht viel von Europa, gibt M. zu, und hatte niemals von Deutschland gehört. Er hatte nur die vage Ahnung, dass es ein sicherer Ort ist, an dem niemand gezwungen wird, in einem Krieg zu kämpfen.

Er wollte nur noch weg.

Jetzt wartet M. in Berlin, wo auch die DW mit ihm sprach, darauf, dass die deutschen Behörden über sein Schicksal entscheiden. Seine Chance auf Anerkennung als Asylberechtigter ist vermutlich eher gering, da Deutschland Teile Afghanistans als sicher eingestuft hat und verstärkt Afghanen abschiebt.

Denkt M. rückblickend, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat, als ihn die Revolutionsgarde vor die Wahl stellte? Er zuckt mit den Schultern. Vielleicht war es ein Fehler in Syrien zu kämpfen.

Aber: "Ich war jung und nicht so clever."

Mitarbeit: Masood Saifullah

*Name ist der Redaktion bekannt.

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Naomi Conrad Investigativ-Reporterin@NaomiConrad