Alondra de la Parra: "Das frustriert"
10. Januar 2019Alondra de la Parra hat bereits mehr als 100 Orchester in 20 Ländern dirigiert und ist Musikdirektorin des Queensland Symphony Orchestra im australischen Brisbane. Für den Dokumentarfilm "La Maestra - Alondra de la Parra" öffnete die 38-Jährige ihr Privatarchiv und gab den Blick frei auf ihr Leben als Mutter und Pultstar im Rampenlicht. DW-Redakteur Rick Fulker hat sie vor der Premiere am 11. Januar zum Gespräch getroffen.
Deutsche Welle: Frau de la Parra, haben Sie den Film denn schon gesehen?
Alondra de la Parra: Ja, habe ich, und er hat mir gefallen. Als der Produzent Bernhard Fleischer und der Regisseur Christian Berger mich anfangs darauf ansprachen, fand ich das zunächst eine seltsame Idee, schon jetzt eine Doku über mein Leben zu machen, weil ich meinte, ich sei gerade erst am Anfang meiner Karriere oder vielleicht mittendrin. Aber als ich den Film sah, habe ich mich darin erkannt, und nichts erschien aufgebauscht oder verkleinert. Im Gegenteil: Der Film spiegelt das, was mein Leben und meine Arbeit im Moment ausmachen ziemlich genau wider.
Waren die Kameras ein Störfaktor bei Ihrer Arbeit?
Nein, es war nur ein Kameramann dabei: Sven Jakob-Engelmann, der die Fähigkeit hat, sich so gut wie unsichtbar zu machen. Ich habe seine Anwesenheit ganz ehrlich nie gespürt. Beim Vorgespräch hatte ich gesagt: "Ich kann absolut nicht in die Probe gehen wenn ein Kamerateam dabei ist, das würde alles verändern." Daher war es wirklich nur eine Person - eine sehr rücksichtsvolle, sanfte und sensible obendrein.
Die DW hat Sie seit einiger Zeit medial in Form von Fernsehberichten und im Rahmen der Webserie "Musica Maestra" begleitet. Hat diese mediale Aufmerksamkeit Sie künstlerisch oder in Bezug auf Ihren Kommunikationsansatz beeinflusst?
Die Serie war im Wesentlichen nur die Fortsetzung von dem, was ich bereits getan hatte: etwa Gespräche mit Solisten zu führen oder beim Musikmachen hinter die Kulissen zu schauen - und diese Kurzvideos dann in den sozialen Medien zu veröffentlichen. Die DW hat natürlich eine viel größere Plattform. Aber wie beim Dokumentarfilm auch, wollte ich partout keine Kamerateams dabei haben. Bei den Webvideos war das Dilettanten-Feeling ausdrücklich erwünscht.
Man sagt heute, dass zu einem erfolgreichen Produkt - etwa einem journalistischen Beitrag oder einem Film - 30 Prozent Qualitätsarbeit und 70 Prozent Marketing gehören. Gilt das auch für den Klassikbetrieb? Verbringen Sie und Ihre Kollegen viel Zeit damit, Ihre Produkt zu erklären und zu verkaufen? Und ist diese Zeit gut investiert?
Das gilt so nicht für mich. Ich verbringe etwa 90 Prozent meiner Zeit bei der Arbeit und zehn Prozent mit Vermarktung. Ich mache einfach das, was Sie mittels Kamera sehen: Mache einfach mein Ding weiter, es wird dokumentiert und fertig.
Es tauchen immer mehr Dirigentinnen auf den Bühnen der Welt auf. Es ist nicht mehr so ungewöhnlich wie es einmal war. Werden Sie selbst denn noch mit der Tatsache konfrontiert, dass Sie eine Frau am Pult sind?
Ja, es ist immer noch ein Thema, vor allem bei Interviews.
Wie diesem?
Nein, Sie haben die Frage anders formuliert. Aber in 99 Prozent der Interviews stellt man mir Fragen, die meine männlichen Kollegen nie beantworten müssten. Ich werde sogar etwas Interessantes darüber machen. Es wird ein großer Spaß, Sie werden sehen!
Aber nun ja, es gibt einfach kein Entkommen vor diesen seltsamen Fragen, die fast immer gestellt werden.
Wie zum Beispiel?
"Meinen Sie, dass die Musiker durch Ihre Schönheit abgelenkt werden?" Das würde man Paavo Järvi nie fragen! Oder Simon Rattle oder Daniel Barenboim. Oder etwa: "Wie schaffen Sie es zeitlich, Mutter und gleichzeitig Dirigentin zu sein?" Nun: All diese männlichen Dirigenten haben auch Kinder und sie müssen dazu keine Fragen beantworten, nicht wahr?
Fragen wie diese sind nicht beleidigend. Nur lächerlich, denn ich möchte über die Stücke reden, an denen ich arbeite, über deren Herausforderungen und deren Philosophie. Ich bin genauso intensiv wie meine Kollegen mit der Musik befasst, die ich mache. Aber in Interviews muss ich generell die meiste Zeit über andere Sachen reden. Das frustriert.
Wie wir wissen, ist die klassische Musik eine Erlebniswelt aus männlichen und weiblichen Einflüssen - trotzdem war sie bisher von Männern dominiert. Wurde aus diesem Grund das Männliche in der Musik bisher zu sehr betont?
So habe ich nie darüber nachgedacht. Möglich wäre es. Aber für mich hat jeder Dirigent - jeder Mensch eigentlich - männliche wie weibliche Eigenschaften und beim Dirigieren braucht man beide, weil die Musik sie vorsieht. Also wenn Sie einen großen Dirigenten sehen, der auch ein Mann ist, sehen Sie immer auch seine femininen Qualitäten. Und auch umgekehrt.
Für mich setzt sich die Empfindsamkeit und Sensibilität eines Menschen aus einer Mischung von Geschichten, Hintergründen, Gefühlen - sogar auch aus Chemie zusammen. Das ist es, was man sieht und hört und was einen Dirigenten oder Künstler einzigartig macht. Ich glaube, dass die meisten großen männlichen Dirigenten auch weibliche Eigenschaften innehatten. Wir haben diese bisher nicht einzeln identifiziert, aber sie sind durchaus da.
Was halten Sie für wichtiger: Live-Aufführungen oder ihre mediale Verbreitung?
Das sind zwei sehr unterschiedlichen Dinge. Für mich ist eine Live-Aufführung die zauberhafteste und schönste Erfahrung, einfach unvergleichlich. Mit all den technologischen Entwicklungen der heutigen Zeit finde ich es ein wunderbares Erlebnis, in einen Saal zu gehen, mit 2000 anderen Menschen still dazusitzen und zuzuhören, wie 100 andere Menschen Musik machen - mit ihren Stimmen, ihrem Atem, mit Armen, Händen, Fingern, Augen, ihrer ganzen Energie - und dass diese Musik ununterbrochen fließt, dann verklingt und nie wiederkehrt. Das ist einfach magisch. Und nachdem wir immer müder von den unmenschlichen Aspekten des modernen Lebens werden, wird die Musik als Live-Konzerterlebnis immer mehr geschätzt.
Andererseits finde ich es aber auch unglaublich, dass Technologie eingesetzt werden kann, um das Konzerterlebnis mehr Menschen zugänglich zu machen. Es ist einfach aufregend, wenn man bedenkt, dass Menschen wo auch immer auf der Welt dasselbe hören können, was irgendwo stattfindet und dass sie damit irgendwie verbunden sind. Die mediale Verbreitung ist also sicher ein Gewinn, wird das Live-Erlebnis aber nie ersetzen können.
Das Gespräch führte Rick Fulker.
"La Maestra - Alondra de la Parra" ist eine Koproduktion von Bernhard Fleischer Moving Images und ZDF/Arte in Kooperation mit der DW. Sie wird ab dem 17. Februar im deutschen TV-Programm der Deutschen Welle zu sehen sein, ab dem 18. Februar auf Englisch und später auf Spanisch und Arabisch.