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Alles nur geklaut

23. Februar 2010

Plagiat oder Remix-Kunst: die Gretchenfrage im Feuilletonstreit um Helene Hegemanns Roman "Axolotl Roadkill". Der Verlag hat nun umfangreiche Quellenangaben nachgelegt - aber hat sich damit die Plagiatsdebatte erledigt?

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Fotomontage Computertastatur, Hand, Daten
Bild: BilderBox

Es ist ein altes Gespenst, das im Kulturbetrieb des Internetzeitalters zunehmend für Furore sorgt: das Plagiatsgespenst. Die junge Autorin Helene Hegemann, gerade erst 18 Jahre alt geworden, hat gleich ganze Absätze bei anderen Autoren abgeschrieben. Doch schon im vergangenen Dezember machte in der deutschen Presse das Gerücht die Runde, der Hamburger Regisseur Fatih Akin habe für seinen Film "Soul Kitchen" womöglich beim Kneipenroman "Hotel Monopol" von Alexander Wall abgeschrieben. Im Januar gab es Gerüchte, wonach der Schriftsteller Uwe Tellkamp sich für seinen Bestseller "Der Turm" beim Dresdener Autor Jens Wonneberger bedient haben soll. Und nun, im Februar, wirft man nicht nur Shootingstar Helene Hegemann, sondern auch der Erfolgsautorin J.K. Rowling öffentlich Plagiat vor: Rowling steht demnächst sogar vor Gericht, weil sie für ihren Roman "Harry Potter und der Feuerkelch" beim Autor Adrian Jacobs abgekupfert haben soll.

Schmaler Grat zwischen Plagiat und Inspiration

Buchcover Helene Hegemann: Axolotl Roadkill (Ullstein)
Plagiat des Monats: Axolotl Roadkill

Tatsächlich hat das literarische Schreiben notwendig immer etwas von Abschreiben an sich. Denn jeder Autor ist auch ein Leser, sagt der Schriftsteller und Schreibdozent Roland Koch, der Creative Writing an der Universität Siegen unterrichtet. "Alles, was ich lese und im Alltag wahrnehme", meint er, "rauscht durch mich hindurch und kommt auch irgendwann wieder schreibend aus mir raus."

Die Grenze zwischen ruchbarem Plagiat und erlaubter Inspiration ist von daher fließend. Denn nicht immer wisse man als Schreibender, bekennt Koch, woher genau man seine Einfälle habe. Kürzlich etwa hat er eine Kurzgeschichte geschrieben, die er dem Schriftsteller Frank Schulz gewidmet hat. Denn sie ist von dessen Roman "Das Ouzo-Orakel" beeinflusst. "Ich habe das Ouzo-Orakel vor langer Zeit mit Vergnügen gelesen, und meine eigene Geschichte spielt nun auch am Meer und hat eine ähnliche Atmosphäre," sagt Koch, "und ich weiß nun gar nicht genau, ob ich vielleicht auch unabsichtlich etwas aus dem Buch übernommen habe, aber das natürlich etwas Anderes, als sich hinzusetzen und wortwörtlich abzuschreiben."

Thomas Mann lesend an seinem 80. Geburtstag, 6. Juni 1955. (AP Photo)
Mit fremden Federn gespickt: Thomas Mann und sein 'Doktor Faustus'Bild: AP

Tod des Autors als alleinige Schöpfungsinstanz

Die romantische Idee vom Autor als einsames Genie, das seine Werke ganz allein und nur aus sich selber schöpft, ist spätestens mit der Postmoderne zweifelhaft geworden. Schließlich strotzt die Literaturgeschichte nur so vor berühmten Autoren, die sich mehr oder weniger bewusst bei anderen Schreibkollegen bedient haben. Georg Büchner etwa griff für seinen "Lenz" nachweislich auf Notizen des Pfarrers Oberlin zurück. Walter Kempowskis "Echolot" ist ohne die Briefe und Tagebucheinträge fremder Zeitzeugen gar nicht denkbar.

Und Thomas Mann verfasste sogar ein ganzes Buch darüber, welche anderen Autoren er für seinen "Doktor Faustus" genau verwendet hat. Der Gedankenklau war unter Schriftstellern also schon immer gang und gäbe. Doch macht ihn das besser? Beziehungsweise: Ist der Schutz auf geistiges Eigentum damit von vorneherein hinfällig und nicht mehr zeitgemäß?

Die Berliner Autorin Helene Hegemann hinter einem Vorhang langer Haare / Foto: Mae Ost, Copyright: Ullstein Verlag
Copy & Paste: Helene HegemannBild: Verlag Ullstein

Kavaliersdelikt des Internetzeitalters

Wahrscheinlich war es noch niemals zuvor so schwer, das Urheberrecht von Autoren zu schützen wie heute. Denn der Copyright-Verstoß ist im Internetzeitalter längst zum Kavaliersdelikt herabgesunken, das nur noch eines Mausklicks bedarf. Nicht umsonst sprach Hegemann selbst davon, dass sie sich als Autorin wie ein DJ begreift, der "alles mit allem mischt", wie einer ihrer Protagonisten in "Axolotl Roadkill" es ausdrückt. "Originalität", so Hegemann im Interview, gebe es doch sowieso nicht mehr, sondern "nur Echtheit". Und trat kurzerhand für eine "Ablösung vom Urheberrechtsexzess" ein. Andere Kritiker sprangen der Autorin bei, indem sie das Plagiat als avantgardistisches "Copy/Paste"-Verfahren rehabilitierten und als zeitgemäße Kunst des literarischen "Remix".

Unbegrenztes Right to copy?!

Heiner Müller 1986
Zitat als Stilmittel: Heiner MüllerBild: dpa

Doch kann für die Literatur der Zukunft wirklich ein unbegrenztes Right to copy gelten? Zumindest juristisch betrachtet, ist das zweifelhaft. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht im Juni 2000 die wörtlichen Brecht-Zitate in Heiner Müllers Theaterstück "Germania 3" als künstlerisches Stilmittel anerkannt. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Autor in Zukunft andere Autoren ungenannt kopieren kann. Denn selbst, wenn es sich bei fremden Zitaten um das Stilmittel der "Intertextualität" handelt, muss immer noch die Quelle angeben werden, sagt der Kölner Medienanwalt und Urheberrechtsexperte Josef Limper. Genau das aber hat Hegemann in ihrem Roman "Axolotl Roadkill" versäumt – ganz egal, ob man dessen umstrittene Zitate nun als Plagiat oder als künstlerisch erlaubtes Sampling begreift.

Quellenangabe zwingend

Inzwischen hat sich Hegemann bei den Verfassern der kopierten Passagen entschuldigt (hauptsächlich beim Berliner Blogger Airen, aus dessen Roman "Strobo" sie allein zwanzig Stellen aufführt, die sie für ihr Buch verwendet hat). Und auch der Ullstein-Verlag hat reagiert, indem er "Axolotl Roadkill" in der vierten Auflage mit sechsseitigem Quellenanhang abdruckt. Und damit könnte die Plagiatsdebatte um Hegemann eigentlich beendet sein, hätte die nicht sowieso etwas von einem Scheingefecht an sich gehabt.

Denn im Kern, das jedenfalls glaubt der Literaturredakteur Hubert Winkels, ging es vielen Kritikern gar nicht um die Frage nach der literarischen Qualität von Hegemanns Roman. Viele Rezensenten hätten die Entlarvung der Autorin als Plagiatorin nur betrieben, weil sie persönlich enttäuscht gewesen wären, dass Hegemann offensichtlich gar nicht so ein wildes Partyleben geführt hat wie ihre junge Heldin "Mifti" im Buch.

Der Techno-Club Berghain im Berliner Stadtteil FriedrichshainFoto: Xamax +++(c) dpa - Report+++
Echt: der Berliner Club 'Berghain', wo nicht Helene H., sondern Airen in Sex & Drugs eintauchteBild: dpa

Psychosexueller Untergrund?

"Diese ganze Aufregung hatte nur damit zu tun, dass einige Rezensenten zuerst gedacht haben, boah, ich bin da ganz nah dran am wilden Leben dran", glaubt Winkels, "und dann im einem zweiten Akt wurden sie enttäuscht und sagten, oh, ich habe ja nur wieder Literatur gelesen. Das ist der ganze Vorgang." Nach Winkels Meinung hat die Plagiatsdebatte von daher "einen psychosexuellen Untergrund." Einige Literaturkritiker hätten zunächst geglaubt, mit "Axolotl Roadkill" etwas "vom Leben an sich" gelesen zu haben, "von der heutigen Jugend in ihrer ganzen Verworfenheit – und dann war es doch nur wieder Literatur-Literatur. Und da fühlten sie sich dann so betrogen, dass sie versucht haben, der Autorin den Strick zu drehen." Die öffentliche Hegemann-Hysterie des übereifrigen Lobens und Verdammens zeige die deutsche Literaturkritik - so Winkels - "von ihrer schlechtesten Seite."

Eigentlich ist die Plagiatsfrage ein altes, aber längst noch nicht ausdiskutiertes Thema. Doch im deutschen Feuilleton war es wohl nur ein Sturm im Wasserglas.

Autorin: Gisa Funck

Redaktion: Aya Bach