Alkohol für Teenager: Wird begleitetes Trinken verboten?
18. Juli 2024In dem Land, in dem Bier und Wein zum Kulturgut gehören und in dem 1,6 Millionen Menschen alkoholabhängig sind, sagt sich Toyah Diebel eines Tages, dass sich etwas ändern muss. Sie fängt bei sich selbst an. Im November 2018 beschließt die Influencerin nach ihrem letzten heftigen Kater, dem Alkohol abzuschwören. Nicht nur das, seitdem lautet die Botschaft an ihre mehr als 90.000 Follower: "Alkohol ist einfach nicht cool!"
Der DW sagt sie: "Alkohol ist eine Droge. Die ist zwar legal, aber das macht sie nicht ungefährlicher. Mich stört der Umgang in unserer Gesellschaft mit dem Alkohol. Deutsche wachsen mit Alkohol auf, ich würde fast sagen, es liegt schon in unserer DNA. Zum guten Ton gehört, Alkohol zu trinken und das auch schon ab dem frühesten Lebensjahr, weil es absolut verharmlost und normalisiert wird."
Sehr liberale Gesetzgebung in Deutschland
18-Jährige dürfen in Deutschland jeden Alkohol kaufen und öffentlich trinken. Mit 16 oder 17 Jahren ist es bereits erlaubt, Bier oder Wein zu kaufen und zu trinken. Und schon Jugendliche ab 14 Jahren können sich ein Bier genehmigen, sofern die Eltern in der Nähe sind. "Begleitetes Trinken" heißt das, Karl Lauterbach ist dies schon lange ein Dorn im Auge. Der Bundesgesundheitsminister will das Jugendschutzgesetz ändern und das begleitete Trinken verbieten.
Toyah Diebel glaubt nicht, dass das begleitete Trinken Deutschlands größtes Problem ist. Vielmehr sollten sich die Politiker lieber auf die Jugendlichen konzentrieren, die sich bereits in jungen Jahren - ohne ihre Eltern - volllaufen lassen. Denn die gute Nachricht, dass Kinder und Jugendliche hierzulande immer weniger Alkohol trinken, ist leider nur die halbe Wahrheit: Jahr für Jahr landen knapp 2000 Jugendliche unter 15 Jahren wegen einer Alkoholvergiftung in der Notaufnahme.
"Wie kommen die so einfach an Alkohol?", wundert sich Diebel. Es sei absolut normal, dass Jugendliche herumexperimentieren und entdecken wollen, gerade Substanzen, die vielleicht verboten sind, das gehöre zum Erwachsenwerden dazu. Aber: "Es kann nicht sein, dass der Staat so tut, als wäre Alkohol nur ein Genussmittel. Wenn man Leute in Deutschland fragt, was ist Alkohol, würden die meisten wahrscheinlich auch sagen, es ist genau das: ein Genussmittel. Aber es ist eine Droge." Sie fordert: "Wir müssten mehr über die Risiken reden, wie das mit Tabak ja auch passiert ist. Da gab es ja auch einen Wandel, warum nicht mit Alkohol?"
"Gehört nicht in Hände von Kinder und Jugendlichen"
Das fragt sich auch Burkhard Blienert. Der SPD-Politiker ist seit Januar 2022 der Beauftragte für Sucht- und Drogenfragen der Bundesregierung. Er hatte schon lange gefordert, das "begleitete Trinken" zu verbieten - und freut sich, dass neben Bundesgesundheitsminister Lauterbach auch einige Bundesländer mitziehen wollen. Gegenwind gibt es nur von der CDU - sie argumentiert, dass das begleitete Trinken im familiären Umfeld Jugendlichen helfe, einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol zu erlernen.
Blienert jedoch sagt der DW: "Es ist höchste Zeit, dieses unsinnige 'begleitete Trinken‘ endlich abzuschaffen. Übrigens ist es egal, ob es sich um Alkohol, Cannabis oder Zigaretten handelt, aus gesundheitlicher Sicht gehört nichts davon in die Hände von Kindern und Jugendlichen. Wissen wir doch heutzutage besser als vor 30 oder 40 Jahren: Alkohol ist vor allem für Jugendliche ausgesprochen gesundheitsschädlich."
Das "begleitete Trinken", so Blienert, sei vollkommen überholt und sogar fahrlässig. "Denn nur weil Eltern daneben sitzen, werden Bier und Wein für Jugendliche nicht gesünder. So eine Regelung gibt es außer in Deutschland nirgendwo in Westeuropa."
Alkohol-Studie: Jeder neunte Teenager mit "problematischem Konsum"
Auch Rainer Thomasius ist verwundert, wie lax die deutsche Gesellschaft und die Politik mit dem Thema Alkoholkonsum von Jugendlichen umgehen. Er ist ärztlicher Leiter des Zentrums für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Das Ergebnis seiner jüngsten Studie, einer Befragung von 4000 Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren: Jeder Neunte in diesem Alter weist einen "problematischen Konsum" von Alkohol auf. Bedeutet: Es gibt schon erste Gesundheitsschäden.
Nicht nur diese Studie bereitet Thomasius Kopfschmerzen: "Wir haben in Deutschland ein besonders großes Problem mit dem Alkoholgebrauch bei Jugendlichen. Studien, die in mehreren Ländern Europas durchgeführt wurden, zeigen, dass wir beim Rauschtrinken im europäischen Vergleich auf Platz 1 liegen." Eine wesentliche Folge seien Alkoholvergiftungen, die zu Krankenhausaufenthalten führen.
Gewalt, Angst und Depressionen durch Alkohol
Der Suchtexperte zählt die weiteren Konsequenzen bei den Jugendlichen auf: Junge Trinkerinnen und Trinker sind zum einen impulsiver und enthemmter, aber gleichzeitig auch ängstlicher und depressiver. Die Jungen verursachten häufiger Unfälle und neigten zu Gewalt, Mädchen seien wegen des Alkohols häufiger Opfer von ungewollten sexuellen Handlungen. Vor allem aber sinke die Lebensqualität und werde die neuronale Reifung gestört. Die Folge; Lern- und Intelligenzeinbußen.
Thomasius sagt der DW: "Seit vielen Jahren ist bekannt und auch gut belegt, dass dieser frühe Einstieg in den Alkoholgebrauch zum Zeitpunkt der Pubertät ein ganz wichtiger Risikofaktor ist, später als Erwachsener regelmäßig Alkohol zu trinken." Thomasius warnt: "Diejenigen, die früh mit Alkohol anfangen, haben eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit, später alkoholabhängig zu sein."
Mächtige Alkoholindustrie macht Druck auf die Politik
Könnte Rainer Thomasius das Jugendschutzgesetz ändern, dürften Bier und weinhaltige Getränke nicht vor der Volljährigkeit konsumiert werden. Wenn überhaupt, frühestens mit 16 Jahren. Doch der Suchtexperte macht sich keine Illusionen. Das Thema Prävention würde hierzulande seit langem vernachlässigt.
"Wir haben über Jahrzehnte hinweg in der Alkoholprävention in Deutschland geschlafen. Der größte Gegner der Prävention ist schlichtweg die alkoholproduzierende Industrie, die sehr mächtig ist. Sie hat seit Jahren eine sehr starke Lobby bis in die politischen Gremien hinein. Ich würde beim Alkohol die Steuern sehr stark erhöhen, für die Spirituosen, aber auch für Bier und weinhaltige Getränke. Weil wir wissen, dass wir über die Besteuerung auch einen guten präventiven Effekt aufrechterhalten können."
Verschärfung bei Alkoholwerbung lässt auf sich warten
Toyah Diebel geht noch einen Schritt weiter und erinnert an einen Punkt im Koalitionsvertrag von 2021, den die Regierung aus SPD, Grünen und FDP angehen wollte: "Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis." Passiert ist wenig, die Diskussion über das begleitete Trinken ist daher für die Influencerin eine Scheindebatte, um eine Haltung zu zeigen und "billigen Applaus" zu bekommen.
Was sie stattdessen machen würde: "Ein Werbeverbot für Alkohol ist das allererste. Dann ist es ein Unding, dass Alkohol so günstig ist. Bei uns stehen die Schnäpse in Kinderaugenhöhe an der Supermarktkasse. Alkohol ist überall verfügbar, es gibt keine Regularien, der Steuersatz ist für die Hersteller ein Paradies. Dazu das Problem des Lobbyismus. Da sollte Herr Lauterbach mal hinschauen und nicht bei irgendwelchen 14- bis 16-Jährigen, die bei ihren Eltern am Tisch sitzen."