Algeninvasion zerstört Frankreichs Strände
22. August 2017Als Vincent Petit sein Pferd am Strand von Saint-Michel-en-Greve in der französischen Bretagne entlang führte, musste er ganz plötzlich um sein Leben bangen. "Mein Pferd und ich sind auf einmal durch den Boden gebrochen", erinnert er sich. "Wir sind in ein Loch voller Sand, Wasser und verrotteten Algen gefallen."
Dort steckten sie fest: "Es war unmöglich, herauszukommen. Innerhalb von zehn Sekunden wurde mein Pferd bewusstlos", erzählt Petit. Er selbst konnte gerade noch um Hilfe rufen, bevor auch er in Ohnmacht fiel. Glücklicherweise war damals vor acht Jahren gerade jemand in der Nähe, der den Hilferuf hörte: ein Mann, der den Strand von Algen säuberte. Er rettete Petit. Das Pferd allerdings starb an dem giftigen Schwefelwasserstoffgas, das aus dem verfaulten Schlamm entwich.
Vermutlich sind inzwischen zwei weitere Menschen und eine Gruppe Wildschweine an dem Gas gestorben; die Regierung hat dies jedoch nicht offiziell bestätigt.
"Es war unglaublich", so Petit. "Niemand würde erwarten, an einem Strand in Frankreich solchen Gefahren ausgesetzt zu sein." Grünalgen sind an sich völlig ungefährlich. Gefährlich werden große Ansammlungen aber, wenn sie nicht rechtzeitig abtransportiert werden und ungehindert verfaulen. Denn dann entsteht giftiger Schwefelwasserstoff.
Ein weltweites Problem
Solche Gefahren tauchen immer häufiger auf - und das weltweit. Algen gedeihen, wenn Nitrate aus Düngemitteln von landwirtschaftlich genutzten Flächen ablaufen und sich in Flüssen, Seen und Küstengewässern ansammeln.
Die schlimmsten Ausbrüche der Algenplage sind demnach in den Teilen der Welt zu finden, in denen Ackerbau sehr intensiv betrieben wird, unter anderem in Nordamerika, Europa und Teilen Asiens. Der See Okeechobee in Florida sowie die Küstengewässer im US-Bundesstaat Georgia sind besonders von der Algenplage betroffen. Teile des Golfs von Mexiko wurden bereits als "tote Zonen" bezeichnet, weil die Algen sich so schnell vermehrt und ausgedehnt haben und dabei sämtlichen Sauerstoff im Wasser verbraucht haben.
Die Algen sollen auch für den Tod von rund 23 Millionen Lachsen in Chile letztes Jahr verantwortlich sein. Und Touristen auf den kanarischen Inseln wurden jüngst gewarnt, wegen den Algen nicht ins Wasser zu gehen.
In der Bretagne, die berühmt ist für ihre malerischen Felsenbuchten, sind bereits acht Strände von den Algen befallen. Alle acht Strände befinden sich in kleinen Buchten, in denen das Wasser nicht leicht abfließen kann.
Dünger für die Tierzucht
Der einzige Weg, die Algenblüte zu stoppen? Weniger Nitrat, also weniger Dünger. Doch die Landwirtschaft ist einer der größten Arbeitgeber in der Bretagne. Die Nitrate sind Bestandteil der Dünger, die die lokalen Bauern nutzen, und die dann ins Wasser sickern.
Der Dünger sei wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben, sagt Laurent Guernion, der um die hundert Kühe auf seiner Farm in der Nähe der Küstenstadt Saint-Brieuc hält. "Wenn wir keinen Dünger benutzen, können wir nicht genug Futter für unsere Tiere produzieren", sagte er der DW. "Wir müssten Futter kaufen und das würde unseren Gewinn weiter schmälern. Wir haben's ohnehin schon schwer - der Milchpreis ist in den letzten zwei Jahren von 300 auf 250 Euro pro Tonne gefallen."
Guernion sagt, er kalkuliere ganz genau, wie viel Dünger seine Pflanzen brauchen, damit nichts davon in die natürlichen Gewässer gelangt. Aber das Korn wächst ab August nicht mehr. Dann zieht es auch nicht mehr das Nitrat aus dem Boden; dieses wird stattdessen in Flüsse und das Meer geschwemmt.
Ein Anti-Algen-Plan
Laurent Guernion versucht, die Düngemenge weiter zu reduzieren. Er ist einer der Bauern, die sich dem Anti-Algen-Plan der Region verschrieben haben. 80 Prozent der Bauern hier machen mit. In den vergangenen fünf Jahren hat die Regierung 40 Millionen Euro ausgegeben, um das Algen-Problem zu lösen. Dabei entschädigt sie auch die Bauern für ihre entgangene Produktivität.
Die Summe wird nun mit weiteren 55 Millionen aufgestockt, sagt Thierry Burlot, Vize-Präsident der regionalen Regierung, der sich um Umweltbelange kümmert. "Wir werden den Anteil an Nitrat im Wasser weiter senken", sagt er. "Wir werden damit weitermachen, Land umzugestalten, damit das Wasser leichter abfließt. Die Bretagne ist im Wandel - wir passen unsere Landwirtschaft an."
Der erste Anti-Algen-Plan kann schon Erfolge vorzeigen. Die Wasserqualität hat sich verbessert und der Durchschnittswert für Nitrat liegt nun bei 30 Milligramm pro Liter anstatt bei 50. Wissenschaftler sagen, man brauche einen Wert unter 10 Milligramm, um die Algen wirklich auszurotten.
In diesem Frühling haben die Algen stärker geblüht als in den vergangenen 15 Jahren. Denn relativ hohe Temperaturen folgten einem milden Winter mit wenigen Stürmen. Wissenschaftler prognostizieren, dass solche Bedingungen in Zukunft immer öfter vorkommen werden - ein Ergebnis der Erderwärmung.
Landwirtschaft im Wandel
Yves-Marie Le Lay, Vizepräsident der Organisation "Stop the Green Tides" und ein Kind der Bretagne, möchte, dass auch seine Kinder und Enkel mit sauberen Stränden aufwachsen. Er glaubt, dies werde nur mit einer radikalen Kehrtwende in der Landwirtschaft funktionieren. "Wir müssen das Landwirtschaftsmodell der Bretagne gründlich überarbeiten", sagt er der DW, während er Gaswerte an einem der Strände misst. Diese Messungen macht er seit sieben Jahren, um ein Bewusstsein für das Algenproblem zu schaffen.
Le Lay betont, eine neue Art der Landwirtschaft würde nicht das Ende für die lokalen Bauern bedeuten. "Die Bauern sollten auf Qualität und nicht Quantität setzen", sagt er. "Sie bräuchten dann auch weniger Dünger. Und sie würden noch nicht mal Verluste machen, weil Bioprodukte einen höheren Preis erzielen."
Aber Bauern wie Guernion sagen, diese Strategie sei ihnen zu riskant. "Die Preise für Bioprodukte unterliegen den Schwankungen der Weltmärkte genauso wie konventionelle Produkte", sagt er. "Wir hätten keinerlei Garantie, dass wir unseren Lebensunterhalt verdienen könnten, indem wir weniger produzieren - selbst wenn es bessere Qualität wäre."
Bislang waren die Regierungsinitiativen gegen Algen allesamt freiwillig. Zu begeisterten Biobauern haben sie die Anwohner der Region offensichtlich nicht gemacht.