Aldi für die Eidgenossen
23. Juli 2004"62,80 Franken" leuchten an der Supermarktkasse. Ein Blick auf das soeben Erstandene ist ernüchternd: Der Wagen ist gerade halbvoll, der nicht eben üppige Einkauf schlägt beim Schweizer Lebensmittelriesen Migros trotzdem mit gut 40 Euro zu Buche. In Deutschland dürfte das gleiche Gedeck ohne große Mühe für etwa die Hälfte zu haben sein. Teurer Schweizer Alltag.
Turbulenzen auf dem Lebensmittelmarkt
Das Supermarkt-Beispiel bestätigt, was die Statistiker schon lange wissen: Die Eidgenossen leben auf einer Hochpreisinsel. Sicher, sie verdienen mehr als die deutschen Nachbarn - im Durchschnitt etwa 25 Prozent - allerdings sind ihre Lebenshaltungskosten auch deutlich höher. Praktisch alles ist teurer: Miete, Elektronik, Autos, Restaurantbesuch oder Bekleidung. Manches weltweit agierende Textilunternehmen macht sich noch nicht einmal die Mühe, den höheren Schweizer Preis zu verbergen. Das Preisschild offenbart dann, dass das gleiche Hemd fast überall auf der Welt weniger kostet als in der Schweiz.
Zwei deutsche Discounter sorgen nun für Unruhe auf dem Schweizer Markt. Aldi und Lidl planen den Sprung über die Grenze. Allein die Ankündigung der beiden Billigketten sorgte in der Schweiz für Aufruhr. "Jetzt purzeln die Preise", verkündete der Zürcher "Tagesanzeiger" schon Mitte Juni, obwohl es nach wie vor noch keinen konkreten Termin für die Expansion gen Süden gibt.
Migros und Co. beherrschen den Markt
Bislang beherrschen die beiden Einzelhandelsriesen Migros und Coop den Schweizer Markt. "Im Lebensmittelsegment haben beide zusammen einen Marktanteil von rund 70 Prozent", erklärt der Schweizer Einzelhandelsexperte Peter Fuhrer. Zum Vergleich: In Deutschland kommen die fünf größten Anbieter zusammen auf rund 60 Prozent. Das Discounter-Segment spielt in der Eidgenossenschaft bislang keine große Rolle. Die Umsätze von Ketten wie Pick Pay oder Denner, die wegen ihrer großen Produktpalette und den geringen Preisunterschieden auch keine klassischen Discounter sind, sind verschwindend gering. In Deutschland kommen Aldi, Lidl und Co. schon jetzt auf 38 Prozent - Tendenz steigend.
Was genau Aldi und Lidl planen, ist derzeit noch einigermaßen unklar. Beide Unternehmen gehen - freundlich ausgedrückt - sehr zurückhaltend mit Informationen um: Sie geben einfach keine. Mehrere Versuche, eine Auskunft zu erhalten, scheiterten. Entweder, weil die jeweils befugten Gesprächspartner gerade Ferien machen oder schlicht nicht erreichbar sind. Das wenige, was bislang bekannt wurde, ist schnell zusammengefasst: Bei Aldi-Süd soll das Projekt Schweiz schon seit langem geplant worden sein, vor wenigen Wochen gab Konzern-Chef Karl Albrecht endlich grünes Licht. Nach Informationen des "Handelsblattes" will Aldi rund 70 Millionen Euro investieren und in möglichst kurzer Zeit bis zu 60 neue Märkte errichten.
Verkaufsflächen sind rar
Schnäppchenpreise also auch bald in der Schweiz? Experte Fuhrer will sich der Euphorie nicht anschließen. Er sieht die Chancen der beiden Discounter skeptisch. "Für Aldi und Lidl wird sich ein Markteintritt in die Schweiz nur rechnen, wenn sie flächendeckend auftreten können", sagt Fuhrer im Gespräch mit DW-WORLD, der sich seit Jahren mit dem Thema Discounter in der Schweiz beschäftigt. "Das aber wird ihnen nicht gelingen."
Fuhrer sieht das größte Problem im Erwerb geeigneter Verkaufsflächen. Entsprechende Grundstücke seien rar, viele davon schon heute in der Hand von Migros oder Coop, die in der Schweiz praktisch flächendeckend filialisiert sind. "Weitere Bewilligungen lehnen die Gemeinden häufig ab, weil sie eine Zunahme des Verkehrs befürchten - und die heimische Wirtschaft schützen wollen." Und selbst wenn die Behörden sich in Einzelfällen zu Baubewilligungen durchringen könnten - in der direkt-demokratischen Schweiz könnte Volkes Einspruch die Entscheidung über ein Baugesuch um Jahre verzögern. Welcher Konzern kann sich so etwas leisten? Mit welchen Problemen der Schweizer Markt aufwartet, erlebte vor einigen Jahren der französische Einzelhandelsriese Carrefour. Zehn neue Märkte sollten innerhalb kurzer Zeit eröffnet werden. Bis heute gibt es einen einzigen.
Chancen räumt Fuhrer den beiden Discountern allenfalls im grenznahen Raum zu Deutschland ein. Für alles andere müssten in der Schweiz eigene Verteilzentren errichtet werden - das Problem, dafür ausreichend große Grundstücke zu finden, bestünde da erst recht.
Aldi ist nicht gleich Aldi
Auch wenn Aldi und Lidl den Sprung über die Grenze machen - der Einkauf in der Schweiz dürfte auch in Zukunft um einiges teurer sein als der in Deutschland. Grund dafür sind unter anderem die hohen Zölle, die die Schweiz nach wie vor auf Agrar-Importe erhebt - als Schutz für die heimische Wirtschaft. Aldi wäre also noch lange nicht gleich Aldi. Teurer Schweizer Alltag.