Alarm im Wattenmeer
1. August 2002In Deutschland wurde die Krankheit bisher bei sechs toten Tieren nachgewiesen. Die Seehunde wurden kürzlich an der ostfriesischen Küste entdeckt und obduziert. An der englischen Küste wurden in der vergangenen Woche acht kranke Jungtiere gefunden. Das Staupe-Virus grassiert bereits seit Monaten an der dänischen Küste und ist nun offenbar übergesprungen.
Erster Ausbruch in den 80er Jahren
1988 hatte die Seuche erstmals an der Nordseeküste ein dramatisches Seehundsterben ausgelöst: Rund 8.600 Tiere fielen damals im dänisch-deutsch-niederländischen Wattenmeer der Krankheit zum Opfer - 60 Prozent des geschätzten Bestandes. Insgesamt starben in der Nordsee und im Kattegat/Skagerrak zwischen Norwegen und Schweden etwa 18.000 Tiere. Nach Angaben des World Wide Fund For Nature hat sich der Bestand im Laufe der Jahre wieder regeneriert. Die Population wuchs rasch: Heute leben im gesamten Wattenmeer mehr als 20.000 Seehunde.
14 Jahre später wütet der Virus nun zum zweiten Mal. In Dänemark sind in diesem Jahr bereits 2.200 Tiere gestorben. Im Gespräch mit DW-WORLD erklärt Dr. Helmut Grimm, stellvertretender Leiter des schleswig-holsteinischen Nationalparkamtes, dass er in nächster Zeit auf jeden Fall mit weiteren Todesfällen rechne. Ob es erneut zu einer Epidemie gleicher Größenordnung wie 1988 kommen werde, sei allerdings ungewiss. Noch schreitet die Seuche bedeutend langsamer voran als damals. Grimm hofft, dass ein verbesserter Umweltschutz in den vergangenen Jahren die Lebensbedingungen der Seehunde soweit verbessert hat, dass sich die Epidemie in Grenzen hält. Die Tiere seien heute weniger schadstoffbelastet und machten insgesamt einen gesünderen Eindruck.
Seehund-Staupe – was ist das?
Die Seehund-Staupe ist sehr ansteckend und wird durch Tröpfcheninfektion übertragen. Sie schwächt das Immunsystem und macht die Meerestiere für andere Krankheiten empfänglich. Nach einer Inkubationszeit von nur wenigen Tagen werden zunächst die Lunge, aber auch andere Organe und das zentrale Nervensystem befallen. Die meisten Tiere sterben an Lungenentzündung. Woher das Seehundstaupevirus (Phocine Distemper Virus) kommt, ist nach wie vor ungeklärt.
"In den ersten Jahren nach der 1988er Epidemie war die Immunität des gesamten Nordsee-Bestandes gegenüber dem PDV-Virus relativ hoch", erklärt Grimm. "Im Zuge der natürlichen Bestandserneuerung nahm die Anzahl der Tiere, die Antikörper besaßen, stetig ab. Heute sind die Seehunde deshalb einem erneuten Virus gegenüber relativ ungeschützt."
Grimm hält das Seehundsterben für einen natürlichen Vorgang, da Viren, Bakterien und Parasiten Teil der Natur sind. Er geht nicht davon aus, dass die Seehunde durch die Staupe-Seuche augerottet werden. "Wir können im Vorfeld sowieso nichts gegen den Ausbruch tun. Schließlich ist es unmöglich, alle Tiere im Wasser zu impfen. Wie sollte man sie alle einfangen? Auch eine Behandlungsmöglichkeit kranker Seehunde gibt es nicht. Es ist einfach nicht machbar, Hunderte von Seehunden so lange zu pflegen, bis sie wieder selbstständig in Freiheit leben könnten. Das einzige, was wir tun können, ist die mit dem Virus befallenen Tiere zu töten, bevor sie weitere Artgenossen anstecken", sagt Grimm.
Notfallpläne sind geschmiedet
Die schleswig-holsteinischen Seehundjäger sind gewappnet. Für den Fall einer katastrophalen Ausweitung der Seuche wurde ein Frühwarnsystem eingerichtet und ein Notfall-Plan erstellt. Hierzu gehört auch die umfassende Information der Öffentlichkeit, obwohl die Krankheit auf den Menschen nicht übertragbar und damit völlig ungefährlich ist. In erster Linie wird es - wenn es hart auf hart kommt - allerdings darum gehen, die Seehund-Kadaver möglichst schnell zu beseitigen.