Alabama wird ein "kleines Detroit"
1. September 2003Es kann schon vorkommen, dass Bill Taylor zu einem Meeting etwas abgehetzt erscheint. Dann hat er wieder mal einen Parkplatz am hinteren Ende des Mercedes-Werks in Tuscaloosa (US-Bundesstaat Alabama) bekommen und musste entsprechend lange laufen. Taylor ist zwar Chef des erfolgreichsten Auslandswerks der Marke mit dem Stern, aber einen reservierten Parkplatz gibt es für die Topmanager nicht. Sie benutzen auch denselben Eingang wie die Fließbandarbeiter, essen gemeinsam in der einzigen Kantine und arbeiten in einem Großraumbüro.
Das sind zwar Äußerlichkeiten, aber sie dürften zu dem besonderen Teamgeist beigetragen haben, der ein wichtiger Teil der Erfolgsstory des einzigen Automobilwerks der Marke Mercedes-Benz in den USA geworden ist. Hier wird in diesen Tagen die 500.000. M-Klasse produziert - der seit 1997 in Tuscaloosa gebaute luxuriöse Geländewagen hat offenbar den Nerv der Kundschaft getroffen. Noch heute gibt es für die Dieselmodelle Wartezeiten, obwohl es kein Geheimnis ist, dass Ende 2004 eine neue M-Klasse das jetzige Modell ablösen wird.
Neues Werk
Unübersehbar steht bereits der riesige Rohbau für das neue Werk neben den deutlich kleineren älteren Gebäuden. Vor genau zehn Jahren entschied sich die damalige Daimler-Benz AG in Stuttgart für den Bau des ersten Werkes im tiefen Süden der USA. Dies glich aus verschiedenen Gründen einer kleinen Sensation. Mercedes gab erstmals das "Made in Germany" zu Gunsten eines "Engineered by Mercedes-Benz" auf, löste sich von den Wechselkursschwankungen und setzte vor allem auf ein neues Produktionssystem mit einer angelernten Belegschaft, die überwiegend fertige Module der Zulieferer montiert.
Was heute in den Beziehungen zwischen Automobilherstellern und Zulieferern gang und gäbe ist, war damals absolut unüblich, erinnert man sich bei dem Friedrichshafener Automobilzulieferer ZF. Das Unternehmen siedelte sich wie viele andere Zulieferer in der Nähe des Werkes an und lieferten komplette Achssysteme, früher eine Kernkompetenz der Autobauer. Die Werkserweiterung schafft auch bei ZF neue Jobs. Jüngster Neuzugang in Alabama ist der Stuttgarter Abgasspezialist Eberspächer.
Ausgerechnet Alabama
Warum ausgerechnet Alabama? Das fragte sich auch Andreas Renschler, heute smart-Chef und damals erster Werksleiter. "Ich war auch negativ voreingenommen", gibt er heute zu. Der Süden war keine Autoregion, das Training der jungen Leute war mühsam, und auch die ersten Produktionserfahrungen ließen niemanden jubeln. Subventionen in stattlicher Millionenhöhe wurden von allen Staaten angeboten. "Wir hatten anfangs Qualitätsprobleme und waren deshalb nicht ganz zufrieden", erinnert sich Mercedes-Chef Jürgen Hubbert.
Aber es gab die Begeisterung von jungen Leuten wie Luella Minor oder Michael Reesha, die als Group Leader oder Assistant Manager in der Produktion arbeiten und schwärmen: "Für uns war es ein Traum, für Mercedes zu arbeiten." Die Arbeitsmoral der Menschen, ihr Engagement und "dass sie halten, was sie versprechen" (Renschler), führte schließlich dazu, dass das Tuscaloosa-Werk kürzlich sogar für seine andauernde Qualitätsoffensive vom Mutterhaus ausgezeichnet wurde.
Japaner ziehen nach
Die Mercedes-Initiative von 1993 war eine Initialzündung für Alabama. Steve Sewell von der Alabama-Wirtschaftsförderung freut sich: "Heute nennt man uns das Detroit des Südens. Nach Mercedes haben sich auch Honda, Hyundai und Toyota hier angesiedelt."
Zur Zeit werden wieder zehntausende Bewerbungen für die rund 2000 neuen Jobs gesichtet, die in dem 600 Millionen Dollar (552 Mio Euro) teuren Werk entstehen werden. Die Kapazität von Tuscaloosa wird von heute über 80.000 auf mehr als 160.000 Fahrzeuge im Jahr gesteigert. Nicht nur eine große und kleine M-Klasse werden dort gefertigt, auch das neue Luxus-Freizeit-Fahrzeug GST wird künftig in Tuscaloosa produziert - wie man hört, ebenfalls in zwei Varianten. Die Werksparkplätze werden also noch größer - schon möglich, dass Bill Taylor künftig noch etwas länger in sein Büro laufen muss. (dpa)