Al-Shabaab rekrutiert auch in Europa
27. September 2013Kenia trauert um die Opfer des Massakers im Westgate-Einkaufszentrum von Nairobi. Noch ist nicht abschließend klar, wie viele Menschen bei der Terrorattacke der somalischen Islamisten-Miliz Al-Shabaab in der kenianischen Hauptstadt ums Leben gekommen sind. Und auch nicht, wie viele der Angreifer während der dreitägigen Belagerung des Westgate-Shoppingcenters unerkannt fliehen konnten.
Laut Präsident Uhuru Kenyatta gibt es "Geheimdienstinformationen, die nahe legen, dass eine britische Frau und zwei oder drei US-Bürger an dem Angriff beteiligt gewesen sein könnten". Am Donnerstag (25.09.2013) war ein Brite kurz vor der Ausreise nach Somalia am Flughafen von Nairobi verhaftet worden. Er soll Schnittwunden im Gesicht gehabt und eine Sonnenbrille getragen haben. Mitreisenden war er verdächtig vorgekommen. Obwohl er ein Visum für Kenia besaß, konnte er keinen Einreisestempel vorweisen.
Er sei nicht überrascht, dass einige Europäer in den Reihen der Shabaab-Miliz kämpfen, so der EU-Antiterrorbeauftragte Gilles de Kerchove im DW-Interview: "Das ist nicht neu. In der Vergangenheit gab es eine kleine Zahl von Europäern, die nach Pakistan und Afghanistan gegangen sind." Er gehe davon aus, dass bis zu 200 dieser selbsternannten Dschihadisten aus Deutschland stammen. "70 von ihnen sind später in den Jemen und nach Somalia gegangen", sagt de Kerchove. In den Reihen der Shabaab-Miliz würden darüber hinaus zahlreiche US-Bürger und Skandinavier kämpfen, die aus der somalischen Diaspora stammen. Schätzungsweise eine Million Somalier leben im Ausland.
Rekrutierung übers Internet
Das Internet und soziale Medien wie YouTube und Twitter spielen eine wichtige Rolle, "um Einzelne zum Aufbruch" zu bewegen, sagt de Kerchove. Bedeutend sei aber auch der soziale Druck innerhalb der somalischen oder islamistischen Gemeinschaft. Als Beispiel nennt er die Organisation Sharia für Belgien. "Die meisten Personen, die aus Belgien in den syrischen Bürgerkrieg gezogen sind, stammen aus den drei Städten, in denen Sharia für Belgien besonders aktiv ist."
Um die oft arbeitslosen jungen Männer von der Ausreise abzuhalten, werde in Belgien überlegt, die Sozialleistungen zu streichen, falls jemand das Land verlässt. In den Niederlanden wie auch in Deutschland hat man Verdächtigen in Einzelfällen die Pässe entzogen, um sie so an der Ausreise zu hindern. Allerdings reicht für die Einreise aus der EU in die Türkei in der Regel der Personalausweis. Die Türkei ist zu einem wichtigen Transitland geworden für Dschihadisten, die in Syrien gegen das Asssad-Regime kämpfen wollen. Die Routen nach Somalia führen teilweise ebenfalls über die Türkei.
Keine deutschen Terroristen beteiligt
Hinweise auf die Beteiligung deutscher Staatsbürger an dem Anschlag auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi gebe es nicht, hieß es aus deutschen Sicherheitskreisen auf Anfrage der DW. Es sei zwar bekannt, dass "einzelne Deutsche in der letzten Zeit nach Somalia gegangen sind", über mögliche terroristische Aktivitäten vor Ort habe man aber keine Erkenntnisse.
Laut dem Terror-Experten Guido Steinberg von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) kämpfen jedoch auch Deutsche für Al-Shabaab. "Ein deutscher Konvertit namens Andreas Khaled Müller soll immer noch als Shabaab-Kämpfer in Somalia sein", sagte Steinberg in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.
Müller soll im April 2012 an einem Anschlag auf eine Kirche in Ngara bei Nairobi beteiligt gewesen sein. Zwei Menschen kamen damals ums Leben, weitere 15 wurden verletzt.
Das Internationale Zentrum zur Untersuchung von Radikalisierungstendenzen (ICSR) in London geht davon aus, dass "über 40 US-Bürger und Dutzende Europäer bereits für Al-Shabaab kämpfen". Auch wenn die Terrororganisation ihre Kämpfer überwiegend aus der somalischen Diaspora rekrutiere, genieße die Gruppe auch "bedeutenden Rückhalt unter radikalisierten Konvertiten im Westen", so das ICSR.
Sorge vor radikalisierten Rückkehrern
Sicherheitskräfte befürchten, dass waffenerprobte Islamisten aus Kampfgebieten wie Syrien oder Somalia zurück nach Europa kommen. "Manche werden stark radikalisiert zurückkehren. Einige könnten sogar von Al-Kaida oder Al-Nusra zurückgeschickt werden, um Anschläge zu verüben", sagt de Kerchove. Eine lückenlose Überwachung dieser Gefährder sei nahezu unmöglich. "Sogar Deutschland ist damit überfordert, zehn oder fünfzehn potentielle Terroristen rund um die Uhr zu überwachen - ein kleines Land wie Belgien erst recht. Ich weiß nicht, wie viele Leute man dazu brauchen würde, aber es sind viele. Und die Ressourcen haben wir nicht."
Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen derzeit aber nicht von einer Gefährdungslage für Deutschland aus. Zwar habe Al-Shabaab Anfang des Jahres den USA, Israel und Europa mit Anschlägen gedroht, das Operationsgebiet der Miliz sei aber auf das Horn von Afrika begrenzt, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Der Anschlag auf das Einkaufszentrum in Nairobi werten die Sicherheitsbehörden in erster Linie als ein "Lebenszeichen" der Shabaab-Miliz. Diese wolle damit Stärke beweisen, nachdem die Terrororganisation Ende 2012 aus der strategisch wichtigen Hafenstadt Kismayo im Süden Somalias vertrieben worden war. Auf Seiten der somalischen Armee hatte sich auch das südliche Nachbarland Kenia mit mehreren Tausend Soldaten an den Kämpfen beteiligt.
Kenia braucht Hilfe
Im Antiterrorkampf brauche Kenia jetzt Unterstützung durch die EU, fordert Gilles de Kerchove. Besonders in der großen somalische Diaspora in Kenia könne sich Al-Shabaab gut organisieren: "Teile von Nairobi werden Klein-Somalia genannt. Da wird viel Geld gewaschen. Das ist eine große Herausforderung für die kenianischen Sicherheitsbehörden und den Geheimdienst."
Hilfe aus dem Ausland erhalten die kenianischen Behörden schon jetzt bei der Aufklärung des Blutbades in der Westgate-Mall. Deutschland hat sechs Experten des Bundekriminalamtes nach Kenia entsandt, um Spuren zu sichern und bei der Identifizierung von Leichen zu helfen.