1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Al-Maliki will keinen irakischen Frühling

Birgit Svensson29. Januar 2013

Die Regierung ist in Auflösung, der Präsident in Deutschland zur medizinischen Behandlung und das Parlament hat für 2013 immer noch keinen Haushalt verabschiedet. Im Irak spitzt sich die politische Krise zu.

https://p.dw.com/p/17OpR
Source News Feed: EMEA Picture Service ,Germany Picture Service Iraqi Sunni Muslims wave Syrian opposition flags (back L) and both the previous (R) and current (front C) Iraqi national flags during an anti-government demonstration in Falluja, 50 km (30 miles) west of Baghdad, December 28, 2012. Tens of thousands of protesters from Iraq's Sunni Muslim minority poured onto the streets after Friday prayers in a show of force against Shi'ite Prime Minister Nuri al-Maliki, keeping up a week-old blockade of a highway. Around 60,000 people blocked the main road through the city of Falluja, setting fire to the Iranian flag and shouting "out, out Iran! Baghdad stays free" and "Maliki you coward, don't take your advice from Iran". Many Sunnis, whose community dominated Iraq until the fall of Saddam Hussein in 2003, accuse Maliki of refusing to share power and of favouring Shi'ite, non-Arab neighbour Iran. REUTERS/Thaier Al-Sudani (IRAQ - Tags: POLITICS CIVIL UNREST)
Irak Sunniten DemonstrationBild: Reuters

Sie kamen in leuchtend gelben Häftlingsanzügen aus dem Tor des Bagdader Gefängnisses, das früher Abu Ghuraib hieß. Bevor die Männer und Frauen den Weg in die Freiheit antreten konnten, erhielt jeder Entlassene einen Koran und Süßigkeiten. Einige saßen seit Monaten, wenn nicht Jahren in dem Gefängnis ein, das durch den Folterskandal US-amerikanischer Soldaten traurige Berühmtheit erlangt hat. Nach dem Abzug der US-Truppen erhielt Abu Ghuraib einen neuen Farbanstrich und einen neuen Namen. Doch die Praktiken innerhalb der Gefängnismauern sollen noch dieselben sein. Immer noch wird im Irak systematisch gefoltert, werden Menschen ohne Anklage und juristischen Beistand festgehalten.

Verantwortlich für die größte Amnestie seit Jahren: Hussein Sharistani, der stellvertretende Premierminister. Von Premierminister Nuri al-Maliki hatte er den Auftrag erhalten, die Forderungen von Tausenden Demonstranten zu untersuchen. Sharistani entschuldigte sich "für den irakischen Staat" bei denen, die zu lange fest gehalten wurden - wegen "bürokratischer Hemmnisse in unterschiedlichen Regierungsämtern". Beobachter gehen davon aus, dass man den zumeist wegen Terrorverdachts Inhaftierten keine Straftaten nachweisen konnte und sie unschuldig sind. Vor allem weibliche Gefangene, die für ihre Ehemänner oder Söhne verhaftet wurden, standen im Fokus wochenlanger Proteste. Ob die Amnestie für landesweit 335 Gefangene die politische Situation beruhigen kann, ist allerdings unklar.

Ein Buchhändler auf der Rashid Street in Bagdad (Foto: DW/ Munaf Al-Saidy)
Perspektivlosigkeit: In der Bevölkerung wächst der ProtestBild: DW/ Munaf Al-Saidy

Protest gegen "iranische Agenda"

Die Abu Hanifa Moschee im Bagdader Bezirk Adamiya ist im Verlauf der Proteste besonders in den Fokus gerückt. Nach den Freitagsgebeten in dem für Sunniten wichtigsten irakischen Gotteshaus rief die Menge laut: "Raus mit Iran! Raus mit Maliki! Wir haben genug!" Und als ob der Ruf über das Gebetshaus hinaushallte, gingen wochenlang Tausende von Irakern auf die Straße - vor allem in der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz Anbar, die im Nordwesten an Bagdad grenzt.

In Ramadi und Falludscha, einstige Hochburgen des Widerstands gegen die amerikanische Besatzung, wurden die Demonstrationen gegen den schiitischen Premier al-Maliki und seine Regierung immer größer. Zehntausende schwenkten Fahnen aus der Ära Saddam Husseins, als noch die drei grünen Sterne des Panarabismus das Nationalbanner zierten. Nach dem Sturz des Diktators hatte das erste frei gewählte Parlament in zähen Debatten entschieden, zwar die Fahne der Saddam-Ära zu belassen, aber die Sterne als eindeutigen Hinweis auf die verhasste Baath-Partei zu entfernen. In Ramadi und auch in anderen sunnitisch geprägten Teilen des Landes erleben sie gerade eine Renaissance.

Aufnahme der Zerstörungen nach einem Autobombenanschlag in Bagdad (Foto: Mohammed Ameen / Reuters)
Rückschläge auf dem Weg zum Frieden: Zerstörungen nach einem Bombenanschlag in Bagdad (22.1.13)Bild: Reuters

Verwickelt in terroristische Aktionen

Begonnen haben die Demonstrationen gegen die Führung in Bagdad Ende Dezember, unmittelbar nach der Festnahme der Leibwächter von Finanzminister Rafa al-Issawi, der gleichzeitig auch einer der Stellvertreter Malikis war. Issawi ist nach Vize-Präsident Tarek al-Hashemi der hochrangigste sunnitische Politiker in der irakischen Führung. Ihm widerfährt nun ein ähnliches Schicksal wie vor zwei Jahren Hashemi. Auch die Leibwächter des Vize-Präsidenten wurden festgenommen. Ihnen und ihrem Chef werden Verwicklungen in terroristische Aktivitäten vorgeworfen.

Hashemi soll Todesschwadronen unterhalten und ein Komplott gegen Maliki geplant haben. Hashemi wies diese Anschuldigungen zurück, setzte sich dann aber über die autonomen Kurdengebiete in die Türkei ab. In Abwesenheit wurde er von einem Gericht in Bagdad zum Tode verurteilt. Beobachter gehen davon aus, dass Finanzminister Issawi das gleiche Schicksal fürchten muss. Maliki wolle mit allen Mitteln seine Machtposition festigen. Die Sunniten klagen ohnehin darüber, dass sie im schiitisch regierten Irak Nachteile auf dem Arbeitsmarkt hätten, dass Gesetze zu ihren Ungunsten angewandt werden und Premier Malikis Regierung unter der Herrschaft Irans stünde. Jetzt machen sie ihrem Ärger darüber Luft. Sie fordern ein Ende der Diskriminierung. Als dann auch noch der bekannte Parlamentarier Eyfan al-Issawi aus dem Stamm des Finanzministers durch einen Selbstmordattentäter in Falludscha getötet wurde, musste Maliki Zugeständnisse machen, um einen Flächenbrand zu verhindern.

Droht bewaffnete Auseinandersetzung?

Doch nicht nur Sunniten protestieren gegen den Premier - auch viele Kurden. Seit einem Vierteljahr stehen sich zentralirakische und kurdische Truppen der Regionalregierung Irak-Kurdistans vor Kirkuk gegenüber. Es droht eine bewaffnete Auseinandersetzung. Hintergrund ist ein Gebietsstreit, der sich vor allem um die Ölstadt Kirkuk dreht. "Maliki hat es sich mittlerweile mit allen verdorben", kommentiert der Herausgeber und Chefredakteur der irakischen Tageszeitung "Al Sabbah al Jadeed", Ismael Zayer, die brenzlige Lage in seinem Land.

Im Zentrum der Kritik: Premier al-Maliki
Im Zentrum der Kritik: Premier al-MalikiBild: bidadnews.com

Die Kritik am Regierungschef schweißt Aktivisten aus verschiedenen politischen Lagern zusammen. Auch schiitische Geistliche aus der Stadt Nadschaf haben sich solidarisch mit den Protestierenden gezeigt. Und Anhänger von Schiitenprediger Moktada al-Sadr, dessen Partei mit Maliki in der Regierung koaliert, gingen ebenfalls gegen den Premier auf die Straße. Ist die Arabellion nun im Irak angekommen?

Bevölkerung wartet ab

Bis jetzt sind die Demonstrationen fast ausschließlich politisch motiviert und von Parteien organisiert, die auf der Klaviatur der Ethnien und Religionen spielen. Nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten in den ersten Jahren nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein verweigern ihnen heute viele Iraker die Gefolgschaft. Der Protest wird bislang nicht von einer breiten Bevölkerungsschicht getragen. So ist der Konflikt um Kirkuk vor allem ein Streit zwischen Politikern in Erbil und der Zentralregierung in Bagdad. Umfragen in Irak-Kurdistan zeigen, dass die Einwohner dort mehrheitlich keine neuen Spannungen mit Bagdad wollen.

Durch die Demonstrationen in Anbar haben die sunnitischen Stämme der Region ihren Pakt mit der Regierung Maliki aufgekündigt, den die Amerikaner zur Bekämpfung des Terrors durch Al Kaida geschlossen hatten. Die Sahwa-Allianz oder "Söhne Iraks", wie die US-Truppen die sunnitischen Verbündeten im Anti-Terror-Kampf nannten, existiert nicht mehr.