Ai Weiwei – der Künstler als Politikum
Dieser Mann polarisiert. Ai Weiwei wird für seine politischen Kunstwerke im Westen gefeiert und in seiner Heimat China als Krimineller diffamiert. Jetzt eröffnet in Berlin seine größte Einzelschau weltweit - ohne ihn.
Superstar und Provokateur
Vielen Chinesen gilt der Bildhauer, Aktions- und Installationskünstler als soziales Gewissen, weil er sich für mehr Meinungsfreiheit in seiner Heimat einsetzt und die politische Unterdrückung dort öffentlichkeitswirksam anprangert. Ai Weiwei darf deswegen China nicht verlassen. Die Behörden weigern sich seit drei Jahren, dem Regimekritiker einen Pass auszustellen.
Titel ist Programm
"Evidence", "Beweis", hat Ai Weiwei seine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau genannt. Der Titel ist Programm. Mit seinen 34 Skulpturen und Rauminstallationen reflektiert der Chinese die gesellschaftliche Realität in seinem Land. Zum Beispiel mit diesen "Wooden stools" im Lichthof des Museums. 6000 Holzhocker, angeordnet nach einem geometrischen Raster.
Tradition und Moderne
Diese Holzhocker stammen aus der Ming- und Qing-Dynastie. Ai Weiwei und seine Mitarbeiter sammelten sie über Jahre in Nordchina. Dort gehörten sie einst zum Standardinventar chinesischer Haushalte. Sie wurden in den Familien von Generation zu Generation vererbt. Seit der Kulturrevolution sind die Hocker nicht mehr Unikate aus Holz, sondern Massenware aus Kunststoff.
81 Tage
Solange wurde Ai Weiwei 2011 in einem Geheimgefängnis außerhalb Pekings festgehalten - ohne Haftbefehl, 24 Stunden bewacht von Kameras und Militärpolizisten. Das Licht war Tag und Nacht an. Man warf ihm Steuerbetrug vor, nahm ihm seinen Pass ab. Erst auf internationalen Druck kam er frei. Für Berlin hat er jetzt die Zelle seiner Isolationshaft eins-zu-eins nachgebaut und das Werk "81" genannt.
Big Brother is watching you!
Nach der Freilassung ging die Überwachung des Regimekritikers weiter. Vor seinem Atelier in Peking sind 17 Kameras installiert. Jeder, der rein- und rausgeht wird von den staatlichen Behörden erfasst. Ai Weiwei drehte nun, zumindest künstlerisch, den Spieß um und ließ für Berlin die Überwachungskameras detailgenau in Marmor meißeln. Die eigene politische Unterdrückung, gefiltert durch die Kunst.
"Souvenir from Shanghai"
Einst wollte auch Chinas Regierung sich im Glanze von Ai Weiweis Popularität sonnen. Er wurde animiert, in Shanghai ein weiteres Studio zu errichten - als Teil eines riesigen Künstlerdorfes. 2011, als seine Kritik der Kommunistischen Partei nicht mehr passte, wurde das fertige Atelier abgerissen. Der 57-Jährige hat nun ein traditionelles, chinesisches Holzbett mit den Trümmerresten aufgefüllt.
Zweideutiges Krabbeln
Aus Protest gegen den Abriss seines Studios veranstaltete Ai Weiwei ein "Flusskrabbenfest" und verärgerte Chinas Führung erneut. Denn das chinesische Wort für Flusskrabbe hört sich phonetisch genauso an wie "He xie", die Bezeichnung für Harmonie. Und die wird von der Regierungspropaganda als Idealbild der chinesischen Gesellschaft gepriesen. Die Krabben gibt's in Berlin aus Porzellan.
Drahtesel - lichtdurchflutet!
Hier ließ Ai Weiwei 150 Fahrradgestelle zu einer imposanten Installation zusammenschweißen. Damit erinnert er nicht nur an die Verdrängung von Drahteseln durch Autos in China, sondern auch an einen spektakulären Schauprozess. Ein junger Chinese war vor einigen Jahren wegen eines nicht registrierten Fahrrads festgenommen und in Haft misshandelt worden. Später verurteilte man ihn sogar zu Tode.
Kommt er, kommt er nicht?
Rund die Hälfte der Werke in Berlin ist eigens für die Ausstellung entstanden. Den Aufbau mussten aber die Mitarbeiter von Ai Weiwei übernehmen. Denn der Künstler darf China nicht verlassen. Deswegen war er zur Eröffnung in Berlin nur mit einem Video zugeschaltet. "Ich hoffe noch, dass ich die Ausstellung sehen und das Erlebnis mit meinem Publikum teilen kann", sagt er. Hoffentlich!