Sarjono: "Wir können mehr als nur tanzen"
17. Oktober 2015Sie schreiben Gedichte und Theaterstücke. Überdies sind Sie Übersetzer und unterrichten an der Kunsthochschule in Bandung. Schließlich haben Sie auch noch den Verlag Komodo Books begründet. Was ist die Hauptsache für Sie?
Ich bin zuallererst Dichter. Aber ich brauche Geld. Ich gehe gern ins Kino oder ins Theater. Da liegt es nah, auch Theaterkritiken zu schreiben, um damit ein wenig Geld zu verdienen. Und als mir angeboten wurde, an der Kunsthochschule Bandung zu unterrichten, habe ich rasch zugesagt. Die Arbeit in Bandung lässt mir weiterhin Zeit für mein Schreiben, das ist großartig. Und außerdem habe ich so ein festes monatliches Einkommen.
Das heißt, alle indonesischen Schriftsteller haben in der Regel noch einen anderen Beruf?
Ja, in Indonesien ist das unabdingbar. Sonst könnten die meisten Autoren nicht leben. Es ist sehr hart. Viele arbeiten als Journalisten oder unterrichten, wie ich. Nur ganz wenige sind in der Lage, allein durch den Verkauf ihrer Bücher über die Runden zu kommen.
Indonesien ist eines der bevölkerungsreichsten Länder der Welt. Aber Bücher gelten schon ab 10.000 verkauften Exemplaren als ziemlich erfolgreich. Meist liegt die verkaufte Auflage darunter. Warum?
Es gibt keine ausgeprägte Lesebereitschaft in Indonesien. Die Mehrzahl der Menschen kann zwar lesen – anders als in früheren Zeiten –, aber sie wollen nicht. Tatsächlich sind es nur zehn Prozent der Indonesier, vielleicht auch nur fünf, die sich für Bücher erwärmen und diese kaufen. Vielen ist einfach nicht klar, dass Lesen ungeheuer spannend sein kann. Selbst an den Universitäten habe ich das erlebt. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein grundsätzliches Desinteresse gibt, oder ob die Menschen einfach nicht daran gewöhnt sind zu lesen.
Wie meinen Sie das?
Indonesien ist traditionell eine Hörgesellschaft, keine Lesegesellschaft. Die mündliche Tradition ist sehr stark. Rendra, einer unserer berühmtesten Dichter, war ein phänomenaler Vortragskünstler und ungemein populär. Zu seinen Lesungen kamen Hunderte, ja Tausende, sie bezahlten auch durchaus Geld dafür. Denn sie wollten unbedingt seine Performance sehen – und die war wirklich einzigartig. Aber seine Bücher haben die Zuhörer anschließend nicht gekauft, die empfanden sie als schlechter und verzichtbar. Und dann ist da noch das Fernsehen. Viele Menschen widmen ihre Zeit sinnlosen Sendungen, dabei können Bücher viel besser unterhalten.
Wie existieren Verlage in einem solchen Umfeld?
Einige Verleger verdienen eine Menge Geld, indem sie Schulbücher produzieren. Auch religiöse Werke sind ungemein populär. Da sind Auflagen von über einer Million gar nicht ungewöhnlich. Die Mehrzahl aber hat es schwer. Gerade in den zurückliegenden Jahren mussten viele kleine Verlage aufgeben.
Wer kauft die Bücher von Autoren wie Celan und Nietzsche, die in Ihrem Komodo Verlag erscheinen?
Wir veröffentlichen 20 bis 30 Titel pro Jahr, auch indonesische Autoren. Wir machen das, solange das Geld reicht. Präsent sind wir vor allem in den großen Universitätsstädten, also zum Beispiel in Jakarta und Yogyakarta. Auf den kleinen Inseln gibt es meist keine Buchläden. Der größte Händler in Indonesien ist Gramedia, die sind überall vertreten, wo sich der Verkauf von Büchern lohnt. Aber sie lassen unsere Bücher nur einen Monat in den Regalen, dann werden sie in der Regel wieder aussortiert.
Hat der gesellschaftliche Umbruch seit dem Rücktritt Suhartos 1998 entscheidende Veränderungen in Ihrer Arbeit als Schriftsteller und Verleger bewirkt?
Die Produktion ist heute einfacher als unter Suharto, der Verkauf ist ebenso schwierig geblieben. Während der Diktatur gab es eine versteckte Zensur – abhängig von der Willkür der jeweiligen lokalen Behörden. Heute darf jeder sagen und schreiben, was er möchte, aber es kann durchaus vorkommen, dass Druck gemacht wird, zum Beispiel von religiöser Seite.
Machen Ihnen Raubkopien zu schaffen?
Nein. Es gibt keine großen Unterscheide zwischen Raubkopien und anderen Büchern. Der Preis ist sehr ähnlich. Ich glaube, viele indonesische Dichter wären froh darüber, wenn ihre Bücher über Raubkopien Verbreitung fänden. Ich persönlich bin natürlich prinzipiell gegen Piraterie. Aber wenn ein Verlag mein Buch veröffentlicht, ohne mich zu fragen und ohne dass ich etwas daran verdiene, der Titel aber 50.000 mal verkauft wird, dann macht mich das dennoch glücklich. Hauptsache, viele Leute lesen mein Buch. Wenn derselbe Verlag dann das nächste herausbringt, würde ich gern am Gewinn beteiligt sein.
Indonesien ist die viertgrößte Facebook-Nation der Welt. Wie erklären Sie sich die enorme Begeisterung?
Es ist fürchterlich. Überall kann man Leute beobachten, die irgendein elektronisches Gerät in der Hand halten, Bücher hingegen sind selten zu sehen. Ich weiß nicht, was diese Menschen tun. Aber sie wirken abwesend. Auch wenn Leute zusammen am Tisch sitzen und sich unterhalten, sind sie oft zugleich mit ihren Smartphones beschäftigt.
Sie haben Goethe übersetzt und jetzt ein deutschsprachiges Sonderheft der Lyrikzeitschrift "Jurnal Sajak" herausgebracht. Woher rührt Ihre besondere Verbindung zum Deutschen?
Ich war einmal in den Niederlanden zu Gast. Auf einem Flohmarkt in Leiden bin ich zufällig auf deutsche Bücher gestoßen. Ich konnte kein Deutsch, und trotzdem hat mich etwas daran gefesselt. Später habe ich dann Einladungen aus Deutschland zu verschiedenen Literaturfestivals erhalten und schließlich den Indonesien-Spezialisten Berthold Damshäuser von der Universität Bonn kennengelernt. Mit ihm zusammen gebe ich eine Reihe deutschsprachiger Lyrik in indonesischer Übersetzung heraus.
Was versprechen Sie sich von der Frankfurter Buchmesse?
Wir in Indonesien kennen Deutschland ganz gut. Wir gucken die Bundesliga, drücken Bayern München oder Borussia Dortmund die Daumen. Aber umgekehrt wissen die meisten Menschen in Europa nur sehr wenig über uns. Die Welt denkt, wir sind ein Volk, das nur tanzen kann. Aber wir bringen unsere Bücher mit nach Frankfurt und zeigen, dass wir nicht nur tanzen, sondern auch schreiben können.