Agrarminister: Den Hunger in der Welt bekämpfen - aber wie?
20. Januar 2024Sieben Ernten, mehr Zeit bleibt nicht mehr, um die Ziele zu erreichen, die sich die Vereinten Nationen (UN) mit ihrer Nachhaltigkeitsagenda 2030 für eine soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung gesetzt haben. Ganz oben auf der 2015 beschlossenen Agenda steht die Ernährungssicherheit. "Zero Hunger", eine Welt ohne Hunger soll geschaffen werden. Doch stattdessen hat sich die Zahl der hungernden Menschen weiter erhöht.
Die Fakten sind ernüchternd: Von den acht Milliarden Menschen, die inzwischen auf der Welt leben, leiden mehr als 800 Millionen akut Hunger. Das sind 120 Millionen Hungernde mehr als vor der Corona-Pandemie. "Allein 23 Millionen Menschen sind dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine geschuldet", sagt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Mehr als zwei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Nahrung leisten.
Traditionelles Treffen der Agrarminister in Berlin
Drei Tage lang war Özdemir Gastgeber des Global Forum for Food and Agriculture (GFFA), einer internationalen Konferenz zu zentralen Zukunftsfragen der weltweiten Land- und Ernährungswirtschaft. Sie findet traditionell parallel zur weltweit größten Agrarmesse statt, der Grünen Woche in Berlin. Bei der Konferenz berieten Landwirtschaftsminister aus rund 65 Staaten über die dramatische Welternährungslage.
Immer neue und immer größere Hürden tun sich auf. Der Klimawandel, die Folgen der Corona-Pandemie, Artensterben, Kriege und Konflikte. Der Krieg in Gaza sowie der Bürgerkrieg im Sudan treiben die Zahl der hungernden Menschen weiter nach oben. Rund fünf Millionen Menschen zusätzlich wurden 2023 allein in dem afrikanischen Land vertrieben, etwa 20 Millionen der 45 Millionen Einwohner sind auf Hilfe angewiesen - mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.
Die Ukraine liefert wieder Getreide
Die Agrarkommissarin der Afrikanischen Union, Josefa Sacko, wies bei der Konferenz in Berlin auf die Schocks der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs für die Ernährungslage in Afrika hin. Inzwischen schafft es die Ukraine zwar trotz des Krieges, wieder so viel Getreide zu exportieren wie vor dem russischen Überfall. Doch der Ausfall hat erneut gezeigt, wie fragil internationale Lieferketten sein können.
Hunger kann auch auch Nährboden für Krieg und Gewalt sein, kann Flucht und Migration auslösen. "Die nachhaltige Ernährungssicherung ist immer auch Sicherheitspolitik, das wissen wir aus vielen Konflikten in der Welt", so Özdemir.
Zusammenarbeit unter Druck
Erstmals arbeitete das GFFA in diesem Jahr mit der Münchener Sicherheitskonferenz zusammen, um Wissenschaftler und Politiker aus den Bereichen Landwirtschaft und Ernährung mit Sicherheitsexperten zu vernetzen. Es gehe um Wissenstransfer, betont der deutsche Minister.
Sich auszutauschen, verschiedene Perspektiven zu verstehen, das sei sehr wichtig. Vor allem auch, weil die Bereitschaft von Staaten und Regierungen, gemeinschaftlich an Lösungen zu arbeiten, weltweit abnimmt. "Der Ton wird rauer", so Özdemir. "Der Multilateralismus als ein klassisches Lösungsinstrument gerät zunehmend unter Druck."
Klimawandel größte Bedrohung für Ernährungssicherheit
Zum Abschluss ihrer Konferenz verabschiedeten die Agrarministerinnen und Agrarminister ein gemeinsames Kommuniqué, in dem sie darauf drängen, die weltweiten Ernährungssysteme stabiler zu machen, die Landwirtschaft nachhaltig umzubauen und die Verschwendung von Lebensmitteln zu halbieren. Landwirtschaft trägt erheblich zum weltweiten CO2-Ausstoß und damit zum Klimawandel bei. Vor allem wegen der Tierhaltung, aber auch, weil aus mit Stickstoff gedüngten Böden Lachgas austritt. Verschärfend wirkt, wenn Wälder gerodet werden, um die Flächen für die Landwirtschaft zu nutzen.
"Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für die Landwirtschaft auf der gesamten Erde", konstatiert Özdemir. "Im Kreis der Kolleginnen und Kollegen merkt man, die Luft brennt und man kann das durchaus wörtlich nehmen, denn mancherorts verdorrt das Getreide geradezu am Halm."
Ausreichend Nahrung für zehn Milliarden Menschen
Landwirtschaft ist weltweit der größte Beschäftigungsbereich und bietet gegenwärtig 40 Prozent der Weltbevölkerung ein Einkommen. Umso wichtiger ist es, die Agrarwirtschaft an die veränderten klimatischen Bedingungen anzupassen. Wichtig ist auch, die Verluste bei Ernten und in der nachfolgenden Produktion zu vermindern. Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums werden zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen allein durch Lebensmittelverluste und Verschwendung verursacht.
Hungersnöte seien keine Konsequenz eines Mangels an Lebensmitteln, sagte Jyotsna Puri von der NGO International Fund for Agricultural Development (IFAD) bei der Konferenz. "Wir produzieren genug für zehn Milliarden Menschen, aber wir verlieren ein Drittel davon durch Verluste."
Zu viele Lebensmittel werden weggeworfen
Laut Statistik landen weltweit rund 17 Prozent aller produzierten Lebensmittel im Abfall. 2021 bezifferte der "Food Index Report" der UN die Verschwendung auf schätzungsweise 931 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr. In den Industrieländern mit viel Überfluss landet nicht verwendetes Essen vor allem in privaten Haushalten im Müll.
In den Entwicklungsländern Asiens und Afrikas hingegen fallen 90 Prozent aller Abfälle während der Ernte und Produktion, beim Transport und im Handel an. Um das zu ändern, muss in die Verarbeitung, in Lagermöglichkeiten, Verpackungsmaterial und Logistik investiert werden.
Weniger Geld für Entwicklungshilfe
Dabei hilft auch Deutschland. Allerdings soll wegen der knappen Haushaltslage der Etat für Entwicklungshilfe im Bundeshaushalt 2024 um rund zehn Prozent gekürzt werden. Mehr deutsche Bürger als noch vor fünf Jahren finden das richtig.
"Ich höre zunehmend den Ton, der sagt, deutsches Geld muss in Deutschland bleiben", erwidert Landwirtschaftsminister Özdemir. "Aber indem wir anderen helfen, helfen wir uns selber. Wer sich nicht um die Welt kümmert, muss damit rechnen, dass die Welt zu uns kommt. Wer also möchte, dass weniger Menschen in Not sich auf den Weg zu uns machen, muss einen Beitrag dazu leisten." Dazu gehöre die Bekämpfung der Klimakrise, der Einsatz für liberale Demokratie und eben auch die Unterstützung der Landwirte. "Und zwar nicht unterstützen im Sinne der Alimentierung, sondern dass sie ihre Arbeit machen können als Landwirtinnen und Landwirte. Was anderes wollen sie gar nicht."