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Studie: Rassismus gegen Schwarze in Deutschland

30. November 2021

Menschen mit schwarzer Hautfarbe fühlen sich diskriminiert. Anti-Schwarzer Rassismus ist für sie eine Alltagserfahrung. Das ist das Ergebnis einer nicht-repräsentativen Umfrage.

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Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd durch einen Polizisten in Minneapolis fand unter dem Hashtag BLM Black Lives M
Bild: Ralph Peters/imago images

Berlin-Fennpfuhl am vergangenen Freitag. Familienvater Adegbayi B. ist mit seiner einjährigen Tochter unterwegs. Der Mann mit nigerianischen Wurzeln wird plötzlich von einer Frau bespuckt und heftig rassistisch beschimpft. Der Mann filmt den Vorfall, lädt das Video hoch und meldet den Angriff der Polizei.

Die Täterin kann kurz darauf festgenommen werden. In mehreren Interviews erklärt Adegbayi B, dass ihn Rassismus in Deutschland ständig begleite. Zwei bis drei Mal im Monat werde er rassistisch beleidigt. Seine Tochter, so Adegbayi B., sei seit dem Vorfall in der vergangenen Woche traumatisiert.

Rassismus in Deutschland

Kein Einzelfall. Immer wieder passiert es Menschen mit schwarzer Hautfarbe, dass ihnen ungefragt in die Haare gegriffen wird. Sie werden nach Drogen gefragt oder sexistisch angepöbelt. Die Polizei kontrolliert sie häufiger als weißhäutige Menschen. Eine Wohnung zu bekommen - für People of Color kann das schwierig sein.

Viele Menschen mit schwarzer Hautfarbe in Deutschland haben solche Erfahrungen gemacht. Rund 6000 von ihnen haben das in einer Online-Befragung so zu Protokoll gegeben. Die anonyme, freiwillige Umfrage lief vom 20. Juli bis zum 6. September 2020. In einem 300-seitigen Bericht sind die Ergebnisse zusammengefasst.

  

"Es war ein wirklich langer Weg. Es war ein Kampf", sagt Rassismusforscher Daniel Gyamerah von der Organisation "Each One Teach One" bei der Online-Präsentation der Forschungsergebnisse. Von "schmerzhaften Erfahrungsberichten" spricht er. Die bisherige Bundesregierung habe sich nicht besonders um eine Erhebung solcher Daten gekümmert, "wie es eigentlich ihre menschenrechtliche Verpflichtung wäre", ergänzt Gyamerah. "Anti-Schwarzer Rassismus ist nicht unser Problem. Wir haben ihn uns nicht ausgedacht und nicht erfunden, sondern das Problem ist strukturell."

Erste systematische Untersuchung zu Anti-Schwarzem Rassismus

Repräsentativ ist die Befragung nicht, aber sie zeigt doch Tendenzen auf - und schildert bittere Erfahrungen von Menschen, die in Deutschland immer noch diskriminiert werden. Durchgeführt hat sie ein gemeinschaftliches Projekt von "Each One Teach One" und "Citizens for Europe", zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich für Vielfalt und Demokratie einsetzen. Mit rund 150.000 Euro wurde das Projekt aus Geldern der Antidiskriminierungsstelle gefördert, die zum Bundesfamilienministerium gehört. Bernhard Franke ist kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle: "Die Ergebnisse des Afrozensus zeigen eindrücklich die Erscheinungsformen und Auswirkungen von Diskriminierung und Anti-Schwarzem Rassismus in Deutschland."

Daniel Gyamerah - Citizens for Europe
Daniel Gyamerah - Aktivist und WissenschaftlerBild: Séverine Lenglet

"Was ist denn das Problem? Gibt es euch überhaupt?" Immer wieder seien ihm solche Fragen - auch von Politikern - gestellt worden, sagt Rassismusforscher Daniel Gyamerah der Deutschen Welle im Interview. Auch das hat ihn bei dem Projekt angetrieben.

Ja, es gibt sie. In Deutschland leben über eine Millionen Menschen, die auffallen, weil sie eine schwarze Hautfarbe haben. Es sind Journalistinnen, Musiker, Forscherinnen und Forscher, Reinigungskräfte und Rentner und noch viel mehr. Viele von ihnen fühlen sich in Deutschland von staatlichen Institutionen und im Alltagsleben benachteiligt und Rassismus ausgesetzt. Über 42 Prozent der Teilnehmer der Online-Befragung erleben das so.

Infografik Anti-Schwarzer Rassismus DE
Nur rund jeder Fünfte erlebt keinen oder selten Anti-Schwarzen Rassismus

So etwas wie den Afrozensus hat es bisher nicht gegeben. In Deutschland ist die statistische Erfassung von Bürgern nach ethnischen Kriterien eher ungewöhnlich. Das hat auch mit der Kolonialgeschichte und der Zeit des Nationalsozialismus zu tun.

Mit-Initiator und Wissenschaftler Daniel Gyamerah entgegnet auf Einwände gegen die Erhebung dies: "Es gibt immer wieder die Angst, dass man durch Forschung erst diese Communities kreieren würde", sagt er der Deutschen Welle. "Aber wir sind hier. Wir sind Teil der Gesellschaft und lassen uns nicht verleugnen."

Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen

Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Anti-Schwarzer Rassismus über drei Mechanismen wirkt. Die Exotisierung ist dabei der wohl wichtigste Faktor. 90 Prozent der Befragten haben angegeben, dass ihnen ungefragt in die Haare gegriffen wird. Aber auch die Sexualisierung schwarzer Menschen ist eine häufige Erfahrung. Insgesamt geben fast 80 Prozent an, auf Dating-Apps sexualisierte Kommentare bezüglich ihres Aussehens oder ihrer "Herkunft" erhalten zu haben.

Infografik Relative Häufigkeit von eigenen Diskriminierungserfahrungen Afrozensus 2020 DE
Der Afrozensus macht klar: Diskriminierung ist Alltag - in fast allen Bereichen

Auch die Kriminalisierung spielt ein Rolle. Rund 56 Prozent der Befragten geben an, gefragt zu werden, ob sie Drogen verkaufen. Ebenso viele wurden ohne erkennbaren Grund von der Polizei kontrolliert. Zwei Drittel der Afrozensus-Befragten (67,6 Prozent) glauben, dass sie aufgrund rassistischer Zuschreibungen in der Schule oder Universität schlechter beurteilt werden als ihre Mitschüler oder Kommilitonen.

Wenn sich schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen gegen Diskriminierung wehren, machen sie oft schlechte Erfahrungen. Über 90 Prozent geben an, dass ihnen nicht geglaubt werde, wenn sie Rassismus ansprechen. 75 Prozent der Betroffenen würde Rassismusfälle erst gar nicht melden. Außerdem heiße es oft, man solle sich nicht so anstellen. Dabei werden nach Erkenntnissen des Potsdamer Vereins Opferperspektive täglich mindestens drei bis vier Menschen in Deutschland Opfer rechter Gewalt. Rund zwei Drittel aller Angriffe seien rassistisch motiviert.

Wie schwarze Menschen ihre deutsche Heimat erleben

Der Afrozensus - nur ein Anfang

Bernhard Franke von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt sich zufrieden mit dem Afrozensus. Und er findet lobende Worte für die künftige Bundesregierung. Die wolle für Diskriminierungsfälle künftig Polizeibeauftragte einsetzen.

Für die Autoren des Afrozensus war diese Untersuchung nur ein Anfang. Sie wollen ihre Forschungsarbeit fortsetzen und die Ergebnisse auch in englischer und französischer Sprache publizieren. Außerdem fordern sie mehr Communities-Zentren, Beratungszentren und staatliche Aktionspläne zur Bekämpfung von Anti-Schwarzem Rassismus. Dass die nötig sind, zeigt auch der rassistische Angriff in Berlin-Fennpfuhl.

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online