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Afrika: Jagd auf Menschen mit Albinismus

Gudrun Heise
12. Juni 2023

Menschen mit Albinismus verfügen angeblich über geheime Kräfte. Einzelne Körperteile - auch die von Lebenden - sollen Wunder bewirken können. Wegen solcher Mythen werden sie in Afrika gejagt, verstümmelt und ermordet.

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Portraitfoto eines Menschen mit Albinismus
Menschen mit Albinismus werden vielerorts diskriminiert Bild: DW/S. Lutxeque

In afrikanischen Ländern fallen Menschen mit Albinismus besonders auf. Ihre Haut ist fast weiß, genauso wie ihre Haare. Die Augen können rosa oder blassblau-grau sein. In ihrer Heimat werden Menschen mit Albinismus noch immer ausgegrenzt, sind Anfeindungen und Hass ausgesetzt. Viele von ihnen leben in ständiger Angst davor, ermordet oder verstümmelt zu werden. Auch im 21. Jahrhundert ranken sich noch immer Aberglauben und viele Mythen um die Menschen, die so ganz anders aussehen.

Ein weit verbreiteter Mythos: Sie seien Hexen oder verflucht, und aus ihren Knochen ließen sich Heilmittel gewinnen. Fischer glauben, dass sie einen besseren Fang haben werden, wenn sie die weißen Haare von Menschen mit Albinismus in ihre Netze knüpfen. Und Knochenpulver soll sich in Diamanten verwandeln, wenn man es eingräbt. Amulette aus einzelnen Körperteilen sollen einfach nur eines bringen: Reichtum. Deswegen werden Menschen mit Albinismus in einigen Gegenden regelrecht gejagt und verstümmelt.

Der komplette Körper eines Menschen mit Albinismus – egal ob tot oder lebendig – bringt den Menschenjägern auf dem Schwarzmarkt Gewinne von bis zu 65.000 Euro ein, ein einzelnes Bein etwa 2.000. Auch wenn die Jagd auf Menschen mit Albinismus zumindest in Tansania mittlerweile verboten wurde, bangen noch immer viele um ihr Leben. Weltweit wird etwa einer von 20.000 Menschen mit dem Gendefekt geboren. In Afrika sind es wesentlich mehr. Laut der Organisation "Under the same Sun" ist es in Tansania etwa einer von 1.400 Menschen.

Albinismus: Ein Mangel an Melanin

Menschen mit Albinismus  haben einen Gendefekt. Ihr Körper bildet kein Melanin. Das aber ist wichtig, um uns vor UV- und Sonnenstrahlung zu schützen. unabhängig von unserer Hautfarbe. Gebildet werden diese rötlichen, braunen oder auch schwarzen Pigmente in den sogenannten Melanozyten der Haut, in der Netzhaut und in der Iris des Auges. Der Anteil an diesem Pigment bestimmt, ob wir dunkelhäutig sind, helle Haut haben oder eben selten auch weiße Haut und damit keinen natürlichen Sonnenschutz durch Melanin haben.

Beim Albinismus leiden die Menschen unter extremer Lichtempfindlichkeit damit unter einem erhöhten Risiko, an Hautkrebs zu erkranken. Für Betroffene kann Sonneneinstrahlung tödlich sein. Starker Sonnenschutz ist für sie überlebenswichtig.

Albinismus tritt in zwei Grundformen auf: Die eine ist der sogenannte oculocutane Albinismus, abgekürzt OCA. Dabei sind Haut und Haare betroffen, aber auch die Augen. Bei der ersten Untergruppe dieser Art von Albinismus; OCA 1, bilden die Menschen kein - oder nur sehr wenig - Melanin, die Pigmentierung ist gestört. So kommt es zu den typischen, weißen Haaren und der extrem hellen Haut. Beim Typ OCA 2 kann im Laufe des Lebens häufig eine geringe Pigmentierung nachgewiesen werden. Bei der dritten Form des oculocutanen Albinismus, OCA 3, verfügen die Menschen über eine Restpigmentierung.

Die zweite Hauptform ist der oculäre Albinismus, abgekürzt OA, der auf die Augen schlägt. Viele der Betroffenen leiden unter erheblichen Sehstörungen. Beim Rest des Körpers aber gibt es keine auffälligen Merkmale.

Bislang ist Albinismus nicht behandelbar und auch nicht heilbar, die Lebenserwartung aber ist die gleiche wie bei Personen, die nicht unter dieser Erbkrankheit leiden. Beide Elternteile müssen das Gen in sich tragen, um es weiterzugeben. Sie selbst müssen nicht betroffen sein.

Kind mit Albinismus und afrikanisches Kind mit dunkler Haut
In afrikanischen Ländern fallen Menschen mit Albinismus besonders aufBild: Eva Krafczyk/dpa/picture-alliance

Sündenbock gesucht

Menschen mit Albinismus werden gerne für Dinge verantwortlich gemacht, die nicht augenscheinlich nachvollziehbar sind. So wurde sie beispielsweise zu Sündenböcken für die Corona-Pandemie gemacht. Schließlich sollen sie nach Ansicht einiger über geheime Kräfte verfügen. So heißt es in einem UN-Bericht:

"Bereits während früherer Epidemien hat der Glaube ans Übernatürliche zugenommen. In Afrika war dies zuletzt während der Ausbrüche von HIV/Aids und Ebola der Fall." Und laut Michelle Bachelet, bis 2022 Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen, hat sich seit 2020 beispielsweise in Malawi die Zahl der Angriffe auf Menschen mit Albinismus verdreifacht.

Menschenrechtsexperten der UN und der Afrikanischen Union entwickelten 2019 einen Fünf-Jahres-Plan, dessen Ziel es ist, die Lebensqualität für Menschen mit Albinismus zu verbessern. Um über Menschen mit Albinismus weltweit zu informieren, haben die Vereinten Nationen den Internationalen Tag der Aufklärung über Albinismus ins Leben gerufen.

Zum ersten Mal fand er am 13. Juni 2014 statt. Dieser Tag soll dabei helfen, Menschen mit Albinismus weltweit zu integrieren, sie nicht wie Aussätzige zu behandeln. Aktionen sollen vermitteln, wie Albinismus entsteht, welche Auswirkungen die Erkrankung hat und was es für Betroffene bedeutet, damit zu leben. 

Filmcrew am Set - Afrika Filmproduktion Nigeria Nollywood
Seit den 1990er Jahren werden in Nigeria sogenannte Nollywood-Filme produziertBild: Getty Images/AFP/F. Plaucheur

Nollywood-Filme haben großen Einfluss

Seit Anfang der 1990er Jahre werden in Nigeria die sogenannten Nollywood-Filme produziert. Meist befassen sie sich mit spirituellen und mystischen Themen und das in einer oft überzeichneten Darstellung. Für die Zunahme der Ritualmorde macht die nigerianische Regierung unter anderem diese Filme verantwortlich. Der Vorwurf: Junge Menschen könnten durch Nollywood-Filme dazu angestiftet werden, die Filme als Vorlage für Ritualmorde zu nehmen, um damit das schnelle Geld zu machen. Auch im von Nigeria weit entfernten Malawi, in Südostafrika, sind so manche der Ansicht, Nollywood-Filme könnten ein Grund sein, dass die Zahl der Morde wieder zunimmt, so auch das Ergebnis einer Umfrage der DW für die Sendung "The 77 Percent".

Die Menschen in Malawi glaubten daran, was sie in den Nollywood-Filmen sehen, so eine der Befragten. Ein anderer ist davon überzeugt, dass einige der Filme das Töten von Menschen mit Albinismus anheizten und dass die Filme einen großen Einfluss auf die Menschen ausüben. Es seien vor allem die Szenen, in denen es um Ritualmorde, um Mythen und Aberglaube gehe, die einige dazu anstifteten zu töten.

Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein: Dann versuchen die Filmemacher, das Bewusstsein für Albinismus zu fördern, Vorurteile abzubauen und Diskriminierung zu beenden.

Sänger Salif Keita aus Mali mit Gitarre
Salif Keita feiert internationale Erfolge.Bild: Mehmet Kaman/AA/picture alliance

Mit Songs gegen Vorurteile

Jemand, der es geschafft hat, sich trotz Albinismus durchzusetzen, ist der mittlerweile international gefeierte Salif Keita. Seit Jahren schon ist er ein Star der afrikanischen Pop-Musik und gibt Konzerte auf der ganzen Welt. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, in Afrika mit dem Gendefekt Albinismus aufzuwachsen. Er ist selbst von diesem Gendefekt betroffen.

Geboren wurde Keita im August 1949 in Mali. 1984 dann ging er nach Paris. Er singt zum größten Teil in Bambara, einer in Mali weit verbreiteten Sprache. Die internationale Musikkritik hat ihm den Beinamen die "goldene Stimme Afrikas" gegeben – glockenhell und doch kräftig. Er hat den Afro-Pop in die Welt getragen und Albinismus einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht.

Mit seinen musikalischen Erfolgen hat Keita viel zum Verständnis über Menschen mit Albinismus beigetragen, nicht zuletzt mit Songs wie "La Difference", der Unterschied, in dem es heißt: "Ich bin ein Schwarzer, meine Haut ist weiß. Ich bin ein Weißer, mein Blut ist schwarz." Dabei geht es nicht nur um seine eigene Geschichte. Es geht auch um die Geschichte vieler, die mit Albinismus geboren wurden und von denen viele noch immer Angst um ihre Leben haben müssen.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich am 13. Juni 2022 veröffentlicht und am 12. Juni 2023 aktualisiert.

 

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