Wenn das schärfste Schwert gegen Malaria stumpf wird
6. Januar 2023Von ihrem Büro in der Berliner Charité verfolgt Welmoed van Loon einen gefährlichen Trend. Die Forscherin vom Institut für Tropenmedizin beschäftigt sich mit dem berüchtigten Malaria-Erreger Plasmodium falciparum. Der wird von Mücken an Menschen übertragen und löst bei ihnen Malaria aus.
Seit einigen Jahren beobachten van Loon und ihre Kollegen mutierte Erreger, die es in sich haben. "Vor allem in Ostafrika kursieren Parasiten mit Mutationen, die sie gegen Artemisinin resistent machen - also gegen den wichtigsten Wirkstoff in Medikamenten-Therapien gegen Malaria", sagt van Loon zur DW. Was die Forscher besonders beunruhigt: Sie finden nicht nur immer mehr Mutanten, sondern auch an immer mehr Orten.
Keine Alternativen
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist alarmiert. "Wir haben zur Zeit keine anderen Optionen, um Malaria in Afrika zu behandeln. Wenn es zu einer Artemisinin-Resistenz kommt, werden wir mehr schlimme Verläufe und natürlich mehr Todesfälle sehen", sagt Malaria-Expertin Dorothy Achu zur DW.
Noch ist das glücklicherweise nur ein düsteres Szenario. Denn im Moment werden in Afrika Kombinationstherapien eingesetzt, die neben Artemisinin einen weiteren Wirkstoff enthalten. Doch wenn sich Resistenzen gegen Artemisinin ausbreiten und die Parasiten auch noch gegen andere Wirkstoffe immun werden, könnte es richtig gefährlich werden: Forscher des Imperial College in London rechnen in diesem Fall mit 16 Millionen zusätzlichen Fällen und 80.000 weiteren Toten in Afrika pro Jahr.
Bei solchen Zahlen werden dunkle Erinnerungen wach. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden in Afrika immer mehr Erreger gegen die damals gängigen Chloroquin-Präparate resistent. Die galten lange als wichtigste Waffe im Kampf gegen Malaria, Ärzte verschrieben sie als Medikament und zur Vorbeugung. Als sich die Erreger an Chloroquin gewöhnten, hatte das fatale Folgen: Weltweit stiegen die Todesfälle an auf über eine Million pro Jahr.
Falschen Gebrauch von Medikamenten stoppen
So weit muss es diesmal nicht kommen. Der Trend zu mehr Artemisinin-Resistenzen kann gestoppt werden, sagen Experten. Aber dafür müsste ziemlich viel passieren. Zwar sind Mutationen in der Natur normal, aber es gibt Faktoren, die sie begünstigen. "Mutationen entstehen durch die Art und Weise, wie Medikamente in der Bevölkerung genutzt werden. Zum Beispiel, wenn Menschen Medikamente auf reinen Verdacht nehmen, ohne richtige Diagnose. Oder durch den falschen Gebrauch - Menschen beenden die Behandlung vorzeitig oder nehmen Dosen, die für ihr Alter oder ihr Gewicht nicht passend sind", sagt WHO-Expertin Achu.
In ihrem Aktionsplan vom November letzten Jahres fordert die Weltgesundheitsorganisation daher unter anderem, Testmöglichkeiten für Malaria auszubauen. So soll verhindert werden, dass Menschen Medikamente auf Verdacht nehmen. Auch sollen Regierungen gegen gefälschte oder qualitativ schlechte Medikamente vorgehen.
'Bewahren, was wir haben'
Gleichzeitig soll die Prävention ausgebaut werden, damit sich Menschen gar nicht erst anstecken. "Wir brauchen in Hotspots Vektorkontrollen [Bekämpfung der Anopheles-Mücke, Anm. d. Red.] und die Verteilung von Bettnetzen, müssen bestehende Medikamenten-Therapien variieren und über neue Kombinationstherapien nachdenken. Zum Beispiel brauchen wir vielleicht Therapien aus drei statt zwei Medikamenten. Und wir brauchen einen effektiven Impfstoff, den es bisher so nicht gibt", sagt Charité-Expertin van Loon.
Und Wissenschaftler wie WHO sind sich einig, dass die Überwachung besser werden muss. Bisher gibt es nur einzelne Forschungsprojekte in ausgewählten Ländern. Aber niemand erforscht dauerhaft, wie sich die Resistenzen in ganz Afrika ausbreiten.
Neue Medikamente wären eine weitere Lösung. Forschungen laufen - sowohl für neue Artemisinin-Therapienals auch für andere Medikamente. WHO-Expertin Achu aber warnt vor zu viel Optimismus: "Es wird einige Jahre und in manchen Fällen bis zu einem Jahrzehnt dauern, bis sie in die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen werden können. Und bis dahin müssen wir das, was wir haben, mit größter Sorgfalt bewahren."