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Afghanistan: Nährboden für Falschmeldungen

Ahmad Wali Achakzai | Tetyana Klug
10. September 2021

Während die Taliban den Krieg in Afghanistan inzwischen für beendet erklärt haben, geht der Kampf um die Deutungshoheit in den sozialen Netzwerken weiter. Eine sehr häufig eingesetzte Waffe dabei sind Falschmeldungen.

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Ein Talibankämpfer mit einer großen Waffe, im Hintergrund eine Menschenmenge an einem Zaun
Seit der Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan grassieren im Internet Falschmeldungen zuhaufBild: Gibran Peshimam/REUTERS

45 Sekunden lang erhellen Geschosssalven den Nachthimmel. Im Hintergrund ist schemenhaft eine Berglandschaft zu sehen. Dieses am 7. September 2021 auf Twitter veröffentlichte Video wurde angeblich in der Nacht davor im Distrikt Rukha in der afghanischen Provinz Pandschir aufgenommen. Diese galt als die letzte Bastion des Widerstands gegen die Taliban in Afghanistan.

"Terroristen der Taliban zielten auf Zivilisten. (…) Wir haben den Zugang zu Pandschir blockiert. Alle Taliban sind in Pandschir gefangen", behauptet in dem Post der Twitternutzer, der sich selbst als Angehöriger des afghanischen Verteidigungsministeriums bezeichnet und mehr als 33.000 Follower hat.

Kaum jemand von ihnen zweifelt in den Kommentaren die Echtheit des Videos an. Dabei konnte das Faktencheckteam der DW bei einer Rückwärtssuche der einzelnen Bilder aus dem Video schon nach wenigen Minuten dasselbe Video entdecken: Es wurde bereits am 23. Februar 2020 veröffentlicht. Dieser Fund alleine spricht dagegen, dass das Video aktuelle Ereignisse in Afghanistan zeigt. Inzwischen weist auch Twitter unter dem Video daraufhin, dass das Video aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Es wurde mehr als 43.000 Mal abgespielt.

Desinformation bedient alte Narrative

Die Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan wird von Fakes und Desinformation begleitet, so wie es bei vielen anderen Konflikten zuvor zu erleben war. Viele der Fakes zielen darauf ab, vermeintlich zu belegen, dass Pakistan unter anderem an der Eroberung des Pandschir-Tals durch die Taliban beteiligt gewesen sein soll. Besonders indische Medien verbreiten diese Ansicht. 

Der Grund dafür ist die seit 70 Jahren andauernde Rivalität zwischen Pakistan und Indien und die Tatsache, dass solche Meldungen bei den Mediennutzern gefragt sind, erklärt Shamil Shams von DW Asien. "In Indien herrscht die Meinung vor, dass Pakistan die Taliban finanziell, militärisch und diplomatisch mit allen Mitteln unterstützt", so Shams. "Nun nutzen viele indische Medien, wenn auch nicht alle, die Möglichkeit, solche Nachrichten über die sozialen Netzwerke, Presse und digitale Medien zu verbreiten, um zu sagen: 'Sehen Sie, unser Narrativ, dass Pakistan die Taliban unterstützt, war richtig'". Auch Journalisten teilten die im Internet kursierenden Fakes, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.

Computerspiel als Vorlage für Fakes 

Die Verbreitung alter Videos und Fotos im falschen Kontext ist ein besonders beliebtes Mittel. So wurde am 6. September auf Twitter ein weiteres Video veröffentlicht, das angeblich den Abschuss eines pakistanischen Jets durch Widerstandskämpfer im Pandschir-Tal zeigt. Auch hier führt die Rückwärtssuche zu einem etwas längeren Video, welches bereits am 6. Oktober 2020 auf Instagram ohne Verweis auf Ort und Zeit gepostet wurde. 

Kombination zweier Screenshots, die dasselbe Video zu unterschiedlichen Zeitpunkten zeigen
Das Video soll angeblich belegen, dass ein pakistanischer Jet abgeschossen wurde - das Video ist jedoch schon deutlich älter - und vermutlich aus einem ComputerspielBild: Twitter/Instagram

In den russischsprachigen Kommentaren wird die Vermutung geäußert, es könne sich um ein Computerspiel handeln. Zum gleichen Zeitpunkt wurde das Video im russischen sozialen Netzwerk VKontakte als vermeintliche Aufnahme eines Flugzeugsabschusses in Bergkarabach verbreitet. Des Weiteren findet man auf YouTube die gleiche Videoaufnahme mit der Überschrift "ZSU-23-4 Shilka Flugabwehrwaffensystem in Aktion", veröffentlicht am 25. Februar 2021. Auch hier wird in den Kommentaren ein Computerspiel als Ursprung der Bilder genannt - Militärsimulation "Arma 3".

Ausgerechnet dieses Video aus dem Computerspiel ist dem indischen Nachrichtensender Republic TV und mehrere weitere indischen Medien zum Verhängnis geworden. Es wurde als exklusiv von Hasti TV zugespieltes Videomaterial aus dem Pandschir-Tal ausgestrahlt, das den Angriff der pakistanischen Luftwaffe beweisen sollte. 

Die Beteiligung des pakistanischen Militärs in Afghanistan sollte auch das am 6. September auf Twitter veröffentlichte Bild (siehe Screenshot)  eines angeblich in Pandschir abgeschossenen pakistanischen Jets belegen. Allerdings stammt das Bild nicht aus Afghanistan und ist schon drei Jahre alt. Es zeigt den im April 2018 in Arizona abgestürzten F-16 Kampfjet der US Air Force, was ebenfalls eine einfache Bild-Rückwärtsuche verrät. 

Screenshots eines Tweets mit einem Foto eines Flugzeugs am Boden
Dieses Foto zeigt einen abgestürzten US-Jet, nicht wie behauptet wird ein abgeschossenes pakistanisches FlugzeugBild: Twitter.com

Der Twitter-Account, der angeblich Ahmad Massoud, dem Anführer des Pandschir-Widerstands und dem Sohn des afghanischen Nationalhelden Ahmad Schah Massoud, gehörte, wurde mittlerweile gelöscht, so dass seine Echtheit sich nicht überprüfen lässt.

Die Vielzahl solcher gegen Pakistan gerichteter Fakes mag den Eindruck erwecken, die Behauptungen, dass Pakistan die Taliban unterstützt, seien unberechtigt. So einfach sei es aber nicht, erklärt Shamil Shams aus der DW-Asienredaktion. "Viele ernstzunehmende und unabhängige Beobachter sagten, dass Pakistan die Taliban unterstützt. 1996 war Pakistan neben Saudi-Arabien eines der ersten Länder, dass das Taliban-Regime anerkannte", so Shams. "Auch das Abkommen zwischen den USA und den Taliban würde ohne Unterstützung von Pakistan nie stattfinden können. Das weiß jeder. Pakistan und das pakistanische Militär haben enormen Einfluss auf die Taliban".

Falsche Profile und Fake-Medien in den sozialen Netzwerken 

Fake-Accounts berühmter afghanischer Politiker und Politikerinnen sind auf den Sprachen Dari und Paschtu ein weiteres sehr verbreitetes Phänomen in den sozialen Netzwerken. Mit ihrer Hilfe werden in der aktuellen Lage viele falsche Botschaften und Aussagen verbreitet. 

Dies zeigt der Fall der afghanischen Geschäftsfrau und Model Fatima Rabbani, unter deren Namen immer wieder falsche Accounts angelegt werden. Ihr Vater, der ehemalige afghanische Präsident Burhanuddin Rabbani, kämpfte Ende der 1990er-Jahre neben dem bereits erwähnten Ahmad Schah Massoud gegen die Taliban. Beide starben bei Anschlägen durch Sebstmordattentäter.

Screenshot eines Beitrags, der einen Screenshot des Profils "Fatima Rabani" zeigt
Viele Nutzer teilten diesen angeblichen Post von Fatima Rabbani - doch er ist nicht echtBild: Facebook

Nun soll sich ausgerechnet die Tochter von Rabbani in einem vielfach als Screenshot verbreiteten Facebook-Post (siehe Screenshot) gegen die Einheit Afghanistans aussprechen. Demnach behauptet sie angeblich, die Menschen von Pandschir seien selbst dafür verantwortlich, dass "niemand sich mit ihnen verbunden" fühle, dass die Bewohner der Region nie den Namen des Staates Afghanistan, die Nationalhymne, die Regierung und nicht einmal das Wort "Afghane" akzeptiert und anerkannt hätten. 

Abgesehen von dem umstrittenen Inhalt und der fehlerhaften Namenschreibung lässt auch ein genauer Blick auf die User-ID bzw. URL des Facebook-Profils von "Fatima Rabani" an seiner Echtheit zweifeln. Die URL verrät den Namen, mit dem das Profil ursprünglich angelegt wurde.

Doch auch auf andere Art und Weise verbreiten sich Falschmeldungen rasant. Auf Facebook gibt es unzählige Profile in den zwei Landessprachen Afghanistans, die sich als Nachrichtenseiten ausgeben, aber meistens nur Fake News verbreiten. Dass viele dieser Seiten dennoch sehr erfolgreich sind, sieht man sowohl an der hohen Zahl der Interaktionen, die ihre Posts generieren, als auch an der hohen Zahl der Follower.

Screenshot eines Facebook-Posts
Facebook-Profile auf Dari und Pashtu verbreiten alte Fotos im falschen Zusammenhang - getarnt als NachrichtenanbieterBild: Facebook

In obigem Beispiel sieht man den Post einer Facebook-Seite auf Paschtu, die erst am 31. August erstellt worden ist, aber schon über 57.000 Follower hat. In diesem Post vom 8. September wird behauptet, dass es "allein diese Woche (seit dem 6. September) in Pakistan fünf große Anschläge" gegeben habe, "die das Land erschüttert" hätten. Es wird zwar, ohne die Quelle zu nennen, zu einem tatsächlichen Anschlag vom 5. September in der Provinz Belutschistan Bezug genommen, die Opferzahlen sind aber im Vergleich zu offiziellen Angaben viel zu hoch. Details zu den vier weiteren vermeintlichen Anschlägen fehlen. 

Zu dem Post gehören drei Bilder und ein Link, der vermeintlich zu "Videomaterial zu drei Autobomben" führen soll.  Eine Rückwärtssuche der Bilder zeigt: Ein Foto zeigt die Explosionskatastrophe vom 4. August 2020 im Hafen von Beirut im Libanon, kein aktuelles Geschehen aus Pakistan. Die anderen zwei Bilder stammen zwar aus Pakistan, jedoch aus den Jahren 2017 und 2020. Der Link führt nicht zum versprochenen Video, sondern leitet auf eine dubiose Internetseite weiter. 

Obwohl sich diese Unstimmigkeiten mit wenigen Klicks aufdecken lassen, wurde dieser Beitrag in den ersten 24 Stunden mehr als 700 Mal geteilt, fast 500 Mal kommentiert und über 2300 Mal geliked.

Fazit

Die Lage für Journalisten wird im Land immer gefährlicher. So misshandelten die Taliban zwei Kabuler Journalisten schwer,  weil sie ihrer Arbeit nachgegangen waren und über Demonstrationen berichtet hatten. Für Afghanen dürfte es immer schwieriger werden, über Medien verlässlich informiert zu werden. Die sozialen Netzwerke sind kein adäquater Ersatz, denn hier kursieren im Land aber auch in der Region viele Falschmeldungen, die unhinterfragt oder gar bewusst weiterverbreitet werden.

Hinweis: Um den Falschmeldungen nicht noch mehr Reichweite durch Klicks zu geben, verlinkt die DW bewusst nicht zu den Originalbeiträgen in sozialen Netzwerken, sondern zeigt anonymisierte Screenshots oder verlinkt auf archivierte Versionen der Beiträge.